Ich wollte auf jeden Fall sehen, wer von den sechs Ex-Bankern wann kam, wollte aus ihren Gesichtern lesen und beobachten, wie sie sich geben, ob sie sich grüßten oder wegsahen oder versuchten, Anzeichen von Stress zu verbergen. Also stellte ich mich mit in die Schlange vor dem Presseeingang und saß als eine der ersten ganz vorn auf den reservierten Stühlen.
Sie sehen sich kaum an
Der bekannteste unter den sechs Angeklagten traf als erster im Gerichtssaal ein: Ex-Finanzvorstand Dirk Jens Nonnenmacher. Betont ruhig bahnte sich der hochgewachsene, schlaksige Mann mit dem gegelten Schopf einen Weg durch die auf ihn gerichteten Kamera-Objektive, vor und hinter ihm schützend ein Anwalt. Hochmütig sah er über die Journalisten hinweg. Im Gerichtssaal schritt er sofort mit einem aufgesetzten Lächeln lässig zum Fenster, maß mit jedem Schritt das Terrain ab. Er nahm sich Zeit. Für was eigentlich? Immer noch lächelnd ging er dann zu seinem Platz in der ersten Reihe, setzte sich aber nicht hin, sondern blieb stehen. Ein typischer Nonnenmacher-Auftritt.
Bernhard Visker, Ex-Vorstand für Firmenkunden, erschien als Nächster. Ein attraktiver, sportlicher Mann mit Glatze und Sinn für modische Details. Eine Anwältin begleitete ihn. Er grüßte Nonnenmacher kurz, strebte zu seinem Platz in der zweiten Reihe und setzte sich sofort hin; blickte ernst und konzentriert. Peter Rieck, Ex-Vorstand Immobiliensparte, folgte auf Visker. Rieck nahm wie Visker sofort Platz. Dann tröpfelten Joachim Friedrich, Ex-Vorstand Kapitalmarkt, und Hans Berger, Ex-Vorstandschef, in den Gerichtssaal. Berger wirkte schmaler als zu seinen Vorstandszeiten, gealtert, dabei ist er erst Anfang 60. Friedrich schien sich wegducken zu wollen, so zurückhaltend ließ er sich auf seinem Stuhl nieder - ein Mann um die 50, elegant gekleidet, sympathische Erscheinung.
Sie alle redeten kaum ein Wort miteinander, manche grüßten sich kurz per Handschlag, keiner wandte sich an Nonnenmacher für einen kurzen Plausch. Als Letzter erschien Hartmut Strauß, Ex-Risikovorstand. Strauß hatte seinen Posten wegen gesundheitlicher Probleme aufgegeben. Zwar wirkte der Ex-Banker zart und klein, krank sah er aber nicht aus. Stracks ging auch er zu seinem Stuhl in der zweiten Reihe. Insgesamt wirkte die Stimmung unter den einstigen Kollegen frostig. Sie schienen sich nicht viel zu sagen zu haben, wechselten nur wenige Blicke. Erst als die Richter und Schöffen den Saal betraten, standen alle sitzenden Angeklagten auf.
Hochkarätige Strafverteidiger
Vertreten werden die Ex-Bankvorstände von erfahrenen und bundesweit bekannten Strafverteidigern. Hans Berger setzt auf den Hamburger Juristen Otmar Kury, derzeit Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg. Peter Rieck und Bernhard Visker greifen auf dieselbe Kölner Kanzlei zurück, das Ehepaar Gatzweiler und Münchhalffen. Und für Dirk Jens Nonnenmacher streitet der emeritierte Rechtsprofessor Heinz Wagner.
Und dann war es so weit. Die Vertreter der Anklage, die Staatsanwälte Karsten Wegerich und Maximilian Fink, betraten den Saal und nahmen links vom Gerichtspodest Platz. Die 8. Große Strafkammer folgte kurz darauf pünktlich 10 Uhr. Mit dabei eine Protokollantin, ein Ersatzrichter und ein Ersatzschöffe. Beinah geräuschlos sortierte sich das Gericht auf seine Plätze. Und auch die Gerichtszeichnerin positionierte sich strategisch günstig schräg gegenüber den sechs Angeklagten, um sie gut sehen zu können. Fotografen und Kameramänner durften noch rasch den Moment festhalten. Und dann eröffnete der Vorsitzende Richter den Strafprozess.

Die Angeklagten stehen in den beiden vorderen Reihen. ©Christian Carisius/dpa
10:00 Uhr
Drei Berufs-, zwei Laienrichter, eine Frau und ein Mann, bilden die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg. Den Vorsitz führt Dr. Marc Tully. Der promovierte Richter gilt als versierter und kenntnisreicher Fachmann, wenn es um Wirtschaftsdelikte geht; er selbst absolvierte eine Banklehre. Zu seiner Richtervita zählen Urteile über die Hamburger Osmani-Brüder wegen Beihilfe zur Untreue und Betrugs und über die Millionen von Alexander Falk, Erbe des gleichnamigen Stadtplan-Imperiums. Tully spricht zu einem vollen Saal, viel Presse, wenige Bürger, unter ihnen der frühere Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Dr. Werner Marnette. Und auch die HSH Nordbank ist vor Ort; sie hat zwei Rechtsanwälte als Beobachter geschickt: einen aus der Bank, einen externen Anwalt. Sie werden den gesamten Prozess begleiten.
10:05 Uhr
Richter Tully nimmt die persönlichen Daten der Angeklagten auf und will gerade das Wort an sie geben, als sich die Strafverteidigerin von Bernhard Visker, Gaby Münchhalffen, meldet und beantragt, die 15-seitige Kurzfassung der Anklageschrift nicht zu verlesen. Sie enthalte wertende Adjektive wie offensichtlich, erkennbar mangelhaft und unangemessen.
10:18 Uhr
Tully unterbricht die Sitzung und berät sich mit seinen vier Richterkollegen etwa zehn Minuten lang. Die Richter lehnen anschließend den Antrag ab. Tully ordnet an: Die Kurzfassung der Klageschrift wird verlesen, wie sie ist.
10:35Uhr
Daraufhin steht Staatsanwalt Karsten Wegerich energisch auf und verliest kraftvoll eine halbe Stunde lang die kurz gefasste Klage.

Die Staatsanwälte Maximilian Fink und Karsten Wegerich (r.)
Die Schrift ist gespickt mit Begriffen der Bankerwelt wie value-at-risk, Liquiditätsfazilität, Single Tranche Collateralized Debt Obligation STCDO, SPV, side letter ... Wegerich rattert Zahlenkolonnen herunter, die wohl kaum jemand im Saal nachvollziehen kann. Die gesamte Anklageschrift umfasst 606 Seiten, hinzu kommt eine Sammlung mit Zeugenaussagen, Dokumenten, eMails und Vernehmungsprotokollen. Zusammen ergibt das mehr als 260 Ordner.
Die Staatsanwälte werfen den sechs Angeklagten im Fall des Finanzgeschäftes Omega55 vor, in der Zeit zwischen dem 17. Dezember 2007 und dem 20. Juni 2008:
„gemeinschaftlich die ihnen kraft Gesetzes und Rechtsgeschäfts obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen hatten, Nachteil zugefügt zu haben, wobei sie einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführten, [...]“
Dirk Jens Nonnenmacher und Joachim Friedrich wird zudem Bilanzfälschung nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG angelastet:
„gemeinschaftlich als Mitglieder des Vorstandes die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand unrichtig wiedergegeben zu haben.“
11:15 Uhr
Richter Tully erklärt, dass die Beklagten zunächst keine Angaben zur Sache machen wollen. Es meldet sich der Anwalt von Peter Rieck, Norbert Gatzweiler, und propagiert eine Stunde lang eine Besetzungsrüge. Er findet, die 8. Große Strafkammer des Landgerichtes sei nicht zuständig für dieses Verfahren. Wegen des Rotationsprinzips hätte eine andere Kammer das Verfahren übernehmen müssen. Alle anderen Verteidiger schließen sich der Rüge an. Der Saal überhitzt immer mehr. Wir Zuschauer stöhnen.
12:32 Uhr
Der Vorsitzende Richter bleibt ruhig, trotz gefühlter 40 Grad im Saal. Besetzungsrügen gehören zu solchen Verfahren wie Pöbeleien zu Bundestagsdebatten. Keck fragt Tully zurück, ob Verteidiger Gatzweiler „herausbekommen hat, welche Kammer zuständig ist“, wenn nicht die Achte, also seine? Gatzweiler antwortet irritiert: „Nein“. Der Saal quittiert das mit Lachen.
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