„Nein ich werde nicht kommen.“
Ich zahlte, steckte das Portemonnaie wieder ein, und wollte gehen.
„Wie wäre es, wenn wir uns morgen mal treffen?“
„Wieso das? Ich denke du feierst morgen Peters Geburtstag.“
„Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und wir können uns doch vor der Feier treffen“, kam es von ihr lächelnd.
Wieso lächelte sie? Das Letzte, was sie mir vor Jahren an den Kopf geworfen hatte, waren ziemlich deftige Beleidigungen gewesen.
Ich war wirklich nicht begeistert, aber ich willigte, warum auch immer, ein. Die Geburtstagsfeier sollte gegen 16:00 Uhr losgehen. Wir verabredeten uns für 14:00 Uhr im „Sachers“, einem Kneipencafé, das direkt am Elbe-Lübeck-Kanal seinen Sitz hat, und wo man direkt am Wasser, draußen im Freien auf einer Terrasse sitzend, den Binnenschiffen und den Ruderern des Ruderklubs, der am gegenüberliegenden Ufer seinen Platz hat, zuschauen konnte, während man aß und trank.
An nächsten Morgen, als ich in meinem Bett aufwachte, war ich auf mich selbst sauer. Wieso hatte ich dem Treffen zugestimmt? Das war doch absoluter Käse. Eine Zeit lang war ich unschlüssig, aber entschied mich dann trotzdem, zum vereinbarten Zeitpunkt im „Sachers“ aufzutauchen. Carola musste ja sowieso zur Geburtstagsfeier von Peter, somit war die Zeit, die das Treffen dauern konnte, ja durchaus überschaubar.
Warum tat ich das? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht weil ich, trotz ihrer bösen Mail sechs Jahren vorher, ein Kribbeln im Bauch spürte. Man konnte eigentlich nicht einmal sagen, dass Carola im klassischen Sinn wirklich schön war. Aber sie hatte etwas an sich, dass mich schon vor sechs Jahren fasziniert hatte und, trotz ihres komischen Verhaltens damals, gleich wieder dieselben Gefühle, wie damals weckte, die ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gespürt hatte.
Vielleicht wollte ich außerdem auch nicht, dass Carola sich bei einigen Leuten beschweren würde, dass ich ein Date, ohne Begründung einfach platzen ließ, und ich in den folgenden Wochen im „Carrickfergus“ Rede und Antwort hätte stehen müssen, warum ich mich nicht wie ein „Erwachsener“ verhalten habe.
Aber im Grunde war es egal, warum ich hinging. Ich ging hin. Das war das Entscheidende.
Um vierzehn Uhr trudelte ich, zugegebener Maßen etwas nervös, bei Sachers ein. Carola saß bereits mit einer weiteren, mir unbekannten Frau auf der Terrasse. Beide hatten ein Glas Dunkelbier vor sich auf dem Tisch stehen.
„Wow“, dachte ich still bei mir. Erst vierzehn Uhr, eine Geburtstagsfeier noch vor sich, subtropische Temperatur, die einem auf den Kopf drückte, und dann schon Starkbier. Keine Ahnung, ob Carola meinen kritischen Blick gemerkt hatte, aber als ich mich mit einem „Hallo“ gesetzt hatte, und die unbekannte Frau, nachdem sie ihr Glas mit einem Zug ausgetrunken hatte, gegangen war, kam von Carola gleich, mit einem Kopfnicken auf das Glas weisend: „Ich musste mir ein bisschen Mut antrinken.“
„Wieso denn das?“
„Nur so.“
Nur so - hmm. Ein komischer Grund sich Mut an zu trinken, dachte ich mir im Stillen.
Später, viele Monate später grübelte ich darüber nach, worüber wir uns in den zwei Stunden unterhalten haben, bis sie von Freunden abgeholt wurde, um zur Geburtstagsfeier zu fahren. Mir fiel es nicht mehr ein. Sicher, Carola versuchte mich noch einmal zu überreden, doch noch zur Geburtstagsfeier mitzukommen. Schließlich waren Peter und ich lange Zeit dicke Freunde gewesen, und er hatte wohl auch am Abend zuvor gegenüber Carola so etwas angedeutet, dass er sich über meinen Besuch freuen würde. Mag sein, dass wir uns auch noch über das „Mutantrinken“ unterhielten. Carola hatte auch kurz erzählt, dass sie jetzt in Hannover wohnt, und nur wegen Peters Geburtstag, über das Wochenende nach Lübeck gekommen sei. Aber diese Themen waren spätestens in fünfzehn Minuten abgehakt. Trotz alledem waren auf einmal zwei Stunden vorbei, und Carola wurde von den Freunden, unter anderem auch von Carmen und Hans, bei denen sie an diesem Wochenende übernachtete, zur Geburtstagsfeier abgeholt. Und ich hatte irgendwie, obwohl es ein harmonisches Treffen gewesen war, das Gefühl, dass Carola immer noch nicht das gesagt hatte, was sie mir eigentlich hätte sagen wollen, und warum sie sich mit mir hier im „Sachers“ verabredet hatte. Was auch immer es gewesen sein mochte, es war etwas, wozu man bei brüllender Hitze, um sich Mut an zu trinken, schon um vierzehn Uhr Starkbier braucht.
„Darf ich dich morgen früh zum Frühstück einladen“, kam es noch, mit einem auffordernden und gleichzeitig zweifelnd fragenden Blick, als sie bereits vom Stuhl aufgestanden war, um zum Wagen ihrer wartenden Freunde zu gehen. „Zehn Uhr, wieder hier, gleicher Ort?“
Ich nickte. „Jo, das geht klar.“ Obwohl mir eigentlich nicht klar war, was eigentlich klar geht. Was wollte sie?
Sechs Jahre vorher waren wir, bevor wir uns überhaupt näher kennenlernen konnten, schon im E-Mail-Streit auseinandergegangen. Die Beendigung einer Beziehung wurde damals sozusagen dem Beginn vorangestellt, was, so wie die Beendigung damals abgelaufen war, wohl auch viel Ärger erspart hat. Danach waren wir uns nie wieder begegnet. Jetzt kam sie, nur für ein kurzes Wochenende, wegen einer Geburtstagsfeier nach Lübeck, wollte die Gelegenheit gleich nutzen, um alte Bekannte zu treffen, und verabredete sich dann mit mir zuerst für den Samstagnachmittag, und da das ihr anscheinend nicht genug war, gleich noch für den nächsten Morgen, statt, den doch nur sehr begrenzten Zeitraum, der ihr hier in Lübeck zu Verfügung stand, mit ihren Freunden, wozu ich nun einmal eindeutig nicht zählte, zu verbringen.
Egal. Ich hatte zugesagt, und ein Frühstück im Freien, von jemand anderem bezahlt, war nicht zu verachten. Und auch wenn ich Monate später nicht mehr wusste, was wir uns an dem Nachmittag alles erzählt haben, waren die zwei Stunden, ohne dass Langeweile aufgetaucht war, ja nun wirklich schnell vorbei gegangen. Ich ging nach Hause, nahm „Den vilden svensken“, einen Roman auf Schwedisch von Ernst Brunner, eine Flasche Multi-Vitamin-Saft, ich hatte bereits im „Sachers“ nur ein Spezi getrunken, da ich irgendwie nicht das Gefühl gehabt hatte mir Mut antrinken zu müssen, und setzte mich an den Kanal unter den Schatten eines Baumes. Ernst Brunner, mit seinen verschachtelten Sätzen, machte mir das Lesen auf Schwedisch wirklich nicht leicht, sodass ich mir über Carola schon bald keine Gedanken mehr machte.
Am nächsten Morgen traf ich pünktlich mit leerem Magen, ausgenommen einem Becher Kaffee, wieder auf der Terrasse vom „Sachers“ ein. Carola saß schon, allerdings ohne Starkbier, sondern diesmal der Tageszeit angepasst, mit einem Becher Kaffee, am gleichen Platz wie gestern.
Auch von diesem Gespräch weiß ich, viele Monate später, keine Einzelheiten mehr. Carola erzählte wohl, dass sie in Hannover dabei war, mit einer Freundin zusammen eine Praxis für Physiotherapie aufzumachen. In den nächsten Tagen sollte sich klären, ob sie die entsprechenden Räume anmieten konnten. Ich erzählte wohl von meiner Firmenpleite und davon, dass nächste Woche ein großes Event von der ARGE sein sollte, bei dem man sich mit vielen potenziellen Arbeitgebern treffen konnte, und man sich dort an einem Sonderstand der ARGE, auch für Bewerbungen ins Ausland erkundigen konnte. Ich wollte versuchen in Schweden, bei irgendeiner Firma, die für ihre deutschen Kunden einen Ansprechpartner mit Deutschkenntnissen suchte, einen Job zu bekommen. Angeblich sollten die Möglichkeiten für so einen Job in Schweden nicht schlecht sein, und da meine Deutschkenntnisse, was für Geschäftsverbindungen von Schweden nach Deutschland ja wichtig war, doch ganz ordentlich waren, sah ich da doch eine große Zukunftschance für mich. Mit meinem Schwedisch war es zwar nicht so toll, aber da ich regelmäßig schwedische Bücher las, und Lern-CDs mir anhörte, entwickelte sich auch das so langsam. Und ich war davon überzeugt, dass, sollte ich erst einmal in Schweden arbeiten und wohnen, die Routine in die schwedische Sprache schnell kommen würde.
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