Die große Überraschung war, dass das Management von Runner‘s High meinen Vorschlag großartig fand. Und als ich dann auch noch mit einem bekannten Gesicht aus der Laufszene auftrumpfen konnte, das ich für die Kampagne bereits im Vorfeld gewonnen hatte, war die Sache klar. Mein Vorschlag wurde angenommen.
Die anschließenden Wochen waren der Hammer gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so viel gearbeitet zu haben. Oft saßen wir bis spät in die Nacht hinein in Teamsitzungen oder hatten hitzige Diskussionen mit den Grafikdesignern.
In einer Woche sollte die Kampagne starten. Endlich. Der große Moment. Nervosität und Euphorie waren meine ständigen Begleiter. Und, oh ja, auch Selbstzweifel.
Wie gut tat es da gestern, endlich auf alles anstoßen zu können. Haileys Anruf kam, noch bevor ich meinen Champagner geleert hatte. „Babe, morgen gehen wir aus. Keine Ausreden. Und mach dich schick.“
Und hier stehe ich nun. Und warte auf Einlass. Mir war bei unseren letzten Besuchen gar nicht aufgefallen, wie viele Gäste von der Security abgewiesen werden. Hauptsächlich Männer wie mir scheint, so dass ich schon überlege, ob heute eine Art Ladies Night stattfindet, von der Hailey mir nichts erzählt hatte. Na ja, whatever.
Als ich endlich am Eingang des Clubs ankomme, mustert mich einer der Schlägertypen von oben bis unten.
Mist .
Nicht schick genug? Dabei hab ich mich echt in Schale geworfen. Gut, ich trage kein Kleid, wie die anderen Frauen vor mir, aber ich fand, im Spiegel sah meine Kombination aus enger schwarzer Jeans und cremefarbenem Spitzentop schon sexy aus. Die Pumps sollten das Ganze abrunden. Dazu die langen braunen Haare zu großen Locken gestylt und das Make-up Smokey aber nicht Horny . So wie der Typ mich ansieht, habe ich mich wohl geirrt. Hailey wird begeistert sein, wenn ich ihr gleich am Telefon erklären kann, dass ich nicht reingekommen bin. Sofern ich mein Handy mitgenommen hätte.
Fuck ...
Der Abend war ein wenig stressiger verlaufen als geplant, dabei hatte der Tag eigentlich gut anfangen. Na ja, fast. Ich hatte leider vergessen, meinen Handywecker über das Wochenende auszuschalten und so wurde ich um 5.30 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Da ich dann aber eh schon mal wach war, hatte ich meine Sportsachen angezogen und meine Lieblingslaufrunde gedreht. Die frische Morgenluft war wie ein Kick in den Tag gewesen und als ich gegen Mittag einen kleinen Latte auf meinem Balkon schlürfte, spürte ich zum ersten Mal seit Wochen so etwas wie Ruhe und Zufriedenheit in mir.
An Ruhe und Zufriedenheit ist jetzt gerade aber nicht mehr zu denken. Der strenge Blick der Security ruht noch immer auf mir und verursacht mir ein unangenehmes Prickeln am ganzen Körper.
„Ausweis bitte.“
Ernsthaft jetzt? Ich bin fast 30 und werde nach meinem Ausweis gefragt? Ein wenig schmeichelhaft ist das ja schon, aber ich sehe nun wirklich nicht mehr wie eine 18-Jährige aus.
„Klar, kein Problem.“ Gequält lächle ich ihn an und greife mir an die Gesäßtasche, in der ich grundsätzlich Scheine und Ausweis drapiere. Verdammt , die Hose ist aber auch eng. Hannah, wie wäre es das nächste Mal mit einer Handtasche?
Gerade als ich meinen Ausweis herausgekramt habe und ihm stolz entgegenstrecke, lehnt sich der andere Schrank nach vorne und flüstert dem Ersten etwas ins Ohr. Ein wissender Ausdruck legt sich auf sein Gesicht. Er nickt.
„Schon okay,“, sagt er ohne einen Blick auf meinen Ausweis zu werfen. „Kannst reingehen.“
Was war das denn jetzt? „Äh, okay. Danke“, höre ich mich nuscheln und stecke meine Habseligkeiten wieder ein. Dann betrete ich endlich das All in .
Hämmernde Beats und jede Menge heiße Luft schlagen mir entgegen. Die Kasse im Eingangsbereich ist nicht weniger gut besucht. War ja klar, dass es sich hier auch wieder staut. Wie gerne denke ich in solchen Momenten an die Zeit zurück, als das All in noch eine kleine irische Bar mit übersichtlicher Tanzfläche war, in der man sich am Wochenende gerne eine neue unbekannte Band anhörte, die live auf der Bühne performte. Das Aus kam vor drei Jahren als der Inhaber Francis erkrankte und mit seiner Frau zurück nach Irland ging. Zusammen mit den umliegenden Geschäften und Bars wurde aus dem ehemaligen All for you letztendlich das zweistöckige All in , der Szeneclub unseres Viertels.
Endlich an der Kasse angekommen, die eigentlich mehr einem Tresen gleicht, der unpassenderweise mitten im Gang verbaut wurde, zahle ich den üblichen Eintritt und will gerade Richtung Innenraum, als mich einer der Kassierer am Handgelenk packt und sagt: „Warte, du brauchst noch nen Stempel.“
Stempel? Das war mir neu. Er dreht meine Handfläche nach oben und bevor ich auch nur etwas erwidern kann, hat er mir auch schon einen Abdruck auf mein inneres Handgelenk verpasst. Na toll, sieht wieder jeder tagelang, wo man am Wochenende war. Was mein Chef wohl am Montag dazu sagen wird? Innerlich stöhne ich auf.
„Sorry, ist jetzt Pflicht für alle Gäste.“ Er hebt den Stempel wieder hoch und da ist ... nichts?
„Äh sorry, aber man sieht gar nichts. Soll das so sein?“, frage ich irritiert nach.
„Oh, das ist fluoreszierende Farbe. Die leuchtet nur unter UV-Licht. Soll ja nicht jeder wissen, wo man am Wochenende war.“ Er zwinkert mir zu.
Bevor ich etwas erwidern kann, werde ich schon von den nächsten Gästen zur Seite geschoben. Seltsam, dass er das gesagt hat ...
Nachdem ich meine Jacke an der Garderobe abgegeben habe, dränge ich mich vorsichtig durch die vielen Leute im Eingangsbereich und folge dem langen Flur, bis ich schließlich im Herzstück des Clubs ankomme. Die Musik ist hier wesentlich lauter als vorne und der DJ legt just in diesem Moment einem neuen Song auf.
Rechts an der Bar drängeln sich die Durstigen. Obwohl es noch nicht mal 23 Uhr ist, scheint die Reihe der Wartenden schier endlos. Herrje, das wird ja ein Abend. Auch die Tanzfläche vor mir, die durch einige umliegende Stufen erreicht werden kann, ist rappelvoll.
Wo steckt nur Hailey?
Ein wenig genervt lasse ich meinen Blick immer wieder über die bebende Menge schweifen. Nichts. Normalerweise finden wir uns immer wie von selbst. Das war irgendwie schon immer so.
Hailey . Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an sie denke. Ich weiß noch genau, wann und wo wir uns kennen gelernt haben. Es war auf einer meiner ersten Studentenpartys und es war so unfassbar öde, dass man die Enttäuschung in der Luft fast riechen konnte. Und dann kam eine völlig unangepasste junge Frau auf mich zu und sagte keck: „Boah, hier gibt’s weder was zu saufen noch was zu ficken. Hauen wir ab?“ Und das taten wir. Wir zogen die ganze Nacht um die Häuser und Hailey riss mich einfach mit. Raus aus meinem bis dato tristen Alltag, meinem langweiligen Studentinnenleben, und brachte Farbe in mein Grau. Seitdem ist Hailey fester Bestandteil meines Lebens, meine beste Freundin.
Ein herber Schubser in den Rücken reißt mich aus meinen Gedanken. „Sorry! Das war keine Absicht!“ Große dunkle Augen schauen von oben auf mich herab. Wow . In diesen Augen könnte ich mich verlieren.
„Äh, ja. Kein Problem. Ist ja nichts passiert.“
Ein Grinsen umspielt die großen Augen.
„Hab ja zum Glück nichts in der Hand, was verschüttet werden könnte.“ Ich schiebe ein unsicheres Grinsen hinterher und werde mir vage bewusst, dass zu den großen Augen ein ebenso großer Mann gehört. Kräftige Oberarme lugen aus seinem schwarzen Shirt hervor und im steten Aufblinken der Clublichter lässt sich ein wohl definierter Oberkörper durch den dunklen Stoff erahnen.
Fuck , ist der heiß.
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