Er konnte sehen, wie sie versuchte zu verstehen, was er ihr sagen wollte. Doch wenn er ihre Gedanken verfolgte, dann fand er nicht, was nötig war. Sie verstand nicht, wie tragend Dogans Rolle in Draggheda war. Sie verstand nicht, dass Dogan kein menschliches Wesen war. Das er gefährlich war und dass er anfing, sich gegen seinen König zu stellen, seitdem die Frauen auf dem Berg waren. Für Viktor gab es nur einen Grund der so stark war, das Dogan in seiner Loyalität schwankte! Und das musste diese kleine Frau sein! Die Verantwortung, die damit auf ihr lastete, war so offensichtlich, dass sie sie doch fühlen musste! Doch der Blick aus ihren großen Augen zeigte ihm nur Fragezeichen. Viktor war enttäuscht, dass sie nicht verstand. Damit zwang sie ihn, weiter zu gehen als ihm lieb war. Hilflos stocherte er im Feuer herum. Schließlich fuhr er fort »Dogan blieb immer an Farqs Seite. Hat ihn nie in Frage gestellt. Von sich aus wäre er nie auf die Idee gekommen, sich eine Frau zu suchen. Wir älteren Krieger hatten die Wahl. Wir konnten ausziehen und versuchen uns mit den letzten Frauen zu verbinden. Aber er wollte nicht! Er hat eisern an der Seite von Farq ausgehalten.«
Wieder folgte eine Pause, dann gab er sich einen Ruck. »Als Farq mit dieser aberwitzigen Idee kam Frauen zu entführen und ...«, einen Moment lang brach er ab und starrte den Boden an »Da hat Dogan wohl für sich eine Grenze gezogen und beschlossen, dass das mit ihm nicht zu machen ist.«
Er nahm einen Schluck aus dem Becher, lächelte Sian an, die sich zu ihnen gesellte »Aber jetzt seid ihr auf der Bühne erschienen, und wir alle wussten sofort, worauf das hinaus laufen muss. Für Dogan waren all die Dinge, vor denen es ihm graute, plötzlich ganz nah und unausweichlich! Ich glaube, dass er zum ersten Mal in seinem Leben vor einer Situation steht, die er so falsch findet, dass es ihn innerlich zerreißt! Es frisst an seiner Loyalität zu Farq! Es erschüttert ihn bis ins Mark! Verstehst du, was das für einen Mann wie ihn bedeutet?«
Viktors Enttäuschung wuchs, als er ihren unsicheren Blick sah. Sie verstand nicht, worauf er hinauswollte. Und ohne zu ahnen wie furchtbar er sich bei seinen nächsten Worten irrte, wurde er deutlicher »Dogan ist ein grausamer Mann. Das muss er sein und es macht ihm nichts aus. Aber du hast ihn irgendwie angerührt. Und plötzlich fängt er an seinen König in Frage zu stellen!«
Dogan muss schlafen!
Miras Anblick rührte Dogan nicht. Er verursachte Abscheu und Widerwillen. Er sah Viktor mit den Frauen den Berg verlassen, und erleichtert atmete er durch. Er hatte keine Ahnung von dem, was Viktor den Frauen zeigen wollte, und es war ihm auch egal. Ihn beschäftigten heute ganz andere Dinge. Denn er musste schlafen!
Seine Hülle wurde immer dünner, er wurde angreifbarer. Die Dunkelheit in ihm waberte wie dicker Nebel gegen diesen fragilen Schutz. Sie breitete sich in ihm aus wie Faulgase. Sie nahm ihm den Atem und in ihrem schwarzen Nebel verstärkte sich Odiles Stimme. Dogan wusste, dass Schlaf nötig war um wieder zu sich zu kommen. Doch der Schlaf barg für ihn ein Risiko. Wenn er schlief, hielt niemand Wache. Niemand bewachte das, was er so sorgsam in sich verschlossen hielt. In der Vergangenheit hatte Farq diese Wache für ihn übernommen, wenn er sich dieser Grenze näherte. Doch so wie die Dinge jetzt zwischen ihnen standen, konnte er das nicht.
Im Moment musste er sich selbst helfen. Wütend blickte er sich in seinem Kerker um. Das hier, diese Zellen, dieser Keller und die Räume und Höhlen darunter waren sein Zuhause! Und jetzt waren die wenigen Dinge, die dieses Zuhause ausmachten weg! Farq hatte all seine Sachen zu der Frau bringen lassen. Dogan blickte sich um, Wut explodierte in ihm und mit ein paar großen Schritten schoss er nach oben. Ein lauter Pfiff genügte und sofort hörte er einen Fluch und den Schmerzensschrei des Stallmeisters. Dann preschte sein Hengst aus dem Stall und mit einem Satz war Dogan aufgesprungen und aus dem Hof galoppiert.
Farq sah ihm nach. Er hatte versucht, zu Dogan durchzudringen, doch die Wut seines Kriegers verdunkelte alles. Sie erlaubte ihm nicht, ihn zu erreichen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn ziehen zu lassen.
Dogan gab seinem Hengst kein Ziel vor, doch das war auch nicht nötig. Sie verstanden einander blind. Als Dogans Augen wieder sehen wollten, sich wieder auf seine Umgebung konzentrieren konnten, atmete er tief durch. Der Hengst hatte ihn an einen Ort gebracht, an dem er kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte.
Das Dickicht war schier undurchdringlich und Dogan wusste, dass das Tier ihn durch einige schwarze Tunnel außerhalb der unmittelbaren Reichweite seines Volkes getragen hatte. Würde jetzt etwas schiefgehen, hatte er Zeit sich zu fangen. Zeit, den Kampf gegen sich aufzunehmen. Erleichtert ließ er sich vom Pferderücken gleiten. Zur Sicherheit schickte er den Hengst fort und wie immer verstand das Tier und zog sich zurück. Als es außer Sichtweite war, ließ Dogan sich einfach fallen. Er sackte auf die Knie und fiel um. Er fühlte sich schwer und unendlich müde. Das Sonnenlicht brach sich seinen Weg durch das dichte Blätterdach und blendete ihn. Langsam schloss er die Augen und als er die Helligkeit des sonnigen Tages ausschloss, fühlte er die Kälte seiner eigenen Dunkelheit. Sofort mahnte ihn sein Instinkt! Sofort wollte sein Verstand ihn warnen, doch dann berührte ihn etwas, das ihn zum Lächeln brachte: Denn da waren sie, die Schlangen an seiner Seite. Sie waren an seinen Händen, glitten über seinen Körper. Ein glatter Leib schmiegte sich um seinen Hals und er hob den Kopf, um der Schlange den Würgegriff zu ermöglichen. Sofort wurde er ruhiger. Sie würden wachen. Sie würden nicht zulassen, dass die Dunkelheit ihn übernahm. Jetzt konnte er schlafen. Auch unter ihrer Wache durfte er keinen tiefen Schlaf riskieren, doch die Tiere schenkten ihm wenigstens eine kurze Pause.
Falls die Tür in ihm sich öffnete, so waren die Schlangen in der Lage es zu erkennen. Sie würden handeln. Er würde die Welt nicht durch Odiles Augen sehen müssen, solange die Schlangen auf seiner Seite waren.
Endlich schlief der große Mann ein. Sein Atem wurde ruhiger. Seine Hände waren nicht angespannt, seine Finger nicht verkrampft. Die Schlangen wanden sich um seinen Kopf wie seine Zöpfe. Immer wieder glitten sie an den Seiten seines Schädels entlang. Die Schlange, die sich um seinen Hals geschlungen hatte, schien mit ihm zu schlafen. Sie rührte sich nicht. Ihr Kopf ruhte an seinem rechten Schlüsselbein, ihr Körper bewegte sich im Einklang mit seiner Atmung. Ihre Augen waren geschlossen wie die Seinen.
Innerhalb von Sekunden schaltete sich sein Verstand ab. Nun hielt sein Instinkt die Stellung und sandte ihm Bilder von Dingen die er getan hatte. Schlimme Dinge, schwarze Dinge. Dinge die getan werden mussten. Dinge, die nur er tun konnte. Es waren Erinnerung, die ihn nicht beschwerten. Hier und jetzt war er einfach der Schlächter. Hier und jetzt waren seine Schlangen um ihn und niemand anderes. Sie wussten, wer er war. Sie wussten, was er getan hatte, und vor ihnen musste er sich nicht verbergen.
Sie waren um ihn in der dunkelsten Zeit seines Lebens und von ihnen beschützt ruhte er. So konnte er all die Erinnerungen an sich vorbei ziehen lassen. Tief in seinem Inneren hörte er das Toben und Rütteln an dieser verdammten Tür, doch noch hielt sie.
Seine Gedanken wandten sich der Pratze zu. Tamille zu foltern hatte ihm gutgetan. Schon als er die Toten nach der Schlacht mit Luther gesehen hatte, war ihr Tod beschlossene Sache. Diese Toten waren seine Männer und sie waren gestorben, weil er Tamille genau einmal zu viel vertraut hatte. Dafür gab es keine Entschuldigung. Nicht für sie aber auch nicht für ihn. Und ab diesem Augenblick war sie für ihn bereits tot. Als sie dann im Berghof stand, war er versucht gewesen es auf der Stelle und unter den Augen seiner Männer zu tun. Doch er hatte den Blick der fremden Frau in seinem Rücken gefühlt und den seiner Männer. Und das war es, was ihn zurückhielt. Nicht aus Vorsicht oder Rücksicht Mira gegenüber. Nein, sie bedeutete nicht genug, um ihretwegen Umstände zu machen. Nein, es war dabei nicht um Mira gegangen. Es war das zaghafte Lächeln der Pratze gewesen, das ihm Übelkeit verursachte. Er wollte sie leiden lassen! Hier in der Helligkeit würde es zu schnell zu Ende sein. Vor all seinen Leuten konnte er sie nicht in der Gestalt töten, die sie sich verdient hatte. Und so hatte er zugelassen, dass sie sich ein weiteres Mal Zeit erkaufte. Und wie immer hatte er für die Information bezahlt. Wie immer hatte er ihr gegeben, was sie begehrte. Doch danach war er ihr nichts mehr schuldig. Er hatte bezahlt - und sie hatte geliefert. Die Information hatte gestimmt und er hatte den Söldner erhalten.
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