1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal darüber nachdachte, Draggheda zu verlassen! Es gab hundert Gründe dafür und tausend Gründe dagegen, doch so war es schon immer gewesen und immer hatte er getan, was ihm nötig schien. Warum wusste er jetzt nicht mehr ein noch aus? Er kam sich vor wie in einem Sturm. Mal zerrte ihn der Wind in eine Richtung, dann wieder in eine andere! Tiefe Verzweiflung ergriff ihn, als er ein weiteres Mal an den Punkt kam, an dem er verstehen musste, dass er im Moment von dem Draggheda den er so lange geschützt und für den er so lange gekämpft hatte, genauso verraten wurde wie von der Macht, die er so sehr hasste.
Beide verschworen sich gegen ihn und es brauchte nicht mehr als eine kleine Frau, um ihn zu Fall zu bringen.
Nur eine Geste
Viktor wusste, dass er mit Dogan reden musste. In Mira konnte man lesen wie in einem Buch. Ihre Gedanken waren durchdrungen von dem Mann, der sie einfach nicht sehen wollte. Sie hielt nach ihm Ausschau, wartete so sehr auf ein Zeichen. Würde er es geben, käme sie ihm bereitwillig entgegen. Viktor ließ einen Tag vorübergehen, dann ergriff er die nächste Gelegenheit, alleine mit Dogan zu reden.
Ein Bote kam auf den Berg und berichtete von einigen Erkrankungen, die in einem der näheren Dörfer aufgetreten waren. Es gab zwei Männer, die Vergiftungserscheinungen aufwiesen und der Heiler wurde gebraucht. Ruhig hörte Dogan dem Boten zu. Es war klar, dass er aufbrechen würde, um die Giftblenden zu kontrollieren. Viktor sah seine Chance gekommen. Als Dogan gut eine Stunde später aus dem Berg kam, wartete Viktor bereits.
Dogan war noch keine zwei Schritte aus dem Berg getreten, als er aufsah. Viktor folgte seinem Blick und er erkannte Adara an einem der Fenster von Farqs Räumen. Adara und Dogan schauten einander an, und dann ganz langsam und mit ausdruckslosem Blick legte sie ihre Hände auf ihren Bauch.
Beide Männer erstarrten bei dieser Geste. Über Viktors Gesicht glitt ein Lächeln und freudig wandte er sich zu Dogan um. Doch in dessen Gesicht war keine Freude. Ein dunkler Schatten flog darüber und der Ausdruck in seinem Gesicht erschreckte Viktor bis ins Mark.
Es ist nicht mehr nötig, dich anzufassen
Adara wandte sich schweigend ab, als Dogan verschwunden war. Farq hatte sie seit der Unterwerfung nicht mehr angerührt und nun wusste sie auch warum. Sie war schwanger! Er ... es war nicht nötig ... mehr zu tun.
Wenn sie ehrlich war, dann ahnte sie es schon seit Tagen, doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Farq hatte ihrem ihrem Bewusstsein immer mehr Raum gegeben. Nur seine Räume zu verlassen war ihr nicht gestattet. Er erzwang sich Nähe zu ihr, indem er sie von allem abschnitt, was sie vermisste. Sie schliefen nachts im selben Bett, doch er hatte sich ihr nicht wieder aufgezwungen, sie nicht mehr berührt. Kaum ein Wort wechselten sie noch miteinander.
Doch seit diesem Morgen bestand kein Zweifel mehr daran. Sie hatte sich übergeben müssen. Entsetzt presste sie die Hände auf ihren Bauch.
Als sie aufsah, stand er mit breitem Lächeln hinter ihr.
»Du weißt es?«, hauchte sie. Sein Blick voller Genugtuung tat ihr körperlich weh »Vom ersten Moment an!«, flüsterte er »Ich hab es schon gewusst, als Dogan mich von dir runter gezogen hat!« Seine Stimme war so selbstgefällig, dass sie ihn am liebsten angegriffen hätte. »Und wenn du nicht so verbohrt in deiner Ablehnung gewesen wärst, hättest du es auch sofort gewusst!« In abfälligem Ton sagte er »Du solltest zufrieden sein. Damit hast du dir Ruhe erkauft! Mehr wollte ich nicht von dir! Es besteht also für die nächsten Monate kein Grund, dich zu berühren!«
Seitdem saß sie hier und brütete. Nun war es geschehen! Sie saß fest, lebendig begraben! Ihre Gefühle veränderten sich mit der Geschwindigkeit einer Achterbahn. Sie war erleichtert, weil er ihr nun nicht mehr nahekommen musste. Sie war am Boden zerstört, weil er sie nun festhalten würde. Sie hasste ihn! Und so stark wie der Hass sich in ihr ausbreitete, so stark wuchsen auch die völlig unbekannten Gefühle für das Wesen, das sie in sich trug. Sie fühlte es! Fühlte das irrsinnige Bedürfnis, es zu schützen. Adara fing an zu weinen. In ihrer Hilflosigkeit überlegte sie, ob sie noch einmal fliehen konnte. Sie erinnerte sich, dass sie sich nun in genau der Situation befand, vor der sie geflohen war. Doch sie erinnerte sich auch daran, dass diese Flucht ihr nichts von ihrer Freiheit gelassen hatte. In der Welt der Menschen hatte sie ebenfalls aufgeben müssen, was sie sich durch ihre Flucht hatte bewahren wollen.
Und nun trug sie ein Kind. Ein Kind, das hier etwas Besonderes sein würde. Etwas worauf man aufpassen, das man beschützen würde. In anderen Welten würde sie es verstecken müssen. Es würde niemals verstehen dürfen, zu was es geboren worden war.
Du musst mit ihr reden
Für eine ungewöhnlich lange Zeit ritten die beiden Männer schweigend nebeneinander her. Dogans Gesicht hatte sich verdüstert, als Viktor aufgeschlossen war. Sie ritten gut eine halbe Stunde, bevor sie erste Giftblende erreichten, die im dichten Laub des Baumes kaum auszumachen war.
Dogan stellte sich auf den Rücken seines Hengstes, um an den Glaskolben zu gelangen. Es waren kunstvoll geblasene Behältnisse. Sie waren nach oben hin offen und wurden mit einer klaren Flüssigkeit aus einem der Tunnel gefüllt. Unten am Boden des Kolbens war ebenfalls eine Öffnung. Diese führte in einer filigranen Schleife eine dünne Glasröhre durch den Inhalt des Kolbens. Feine Löcher waren in dieser Röhre. So fein, dass Sauerstoff hinein gelangte, aber keine Flüssigkeit austrat. Dogan blieb auf dem Rücken des Pferdes stehen. Er schüttete ein paar Tropfen aus dem Kolben auf seine Handfläche. Nichts geschah. Hier also schien alles mit rechten Dingen zuzugehen.
So ritten sie in den nächsten Stunden noch drei weitere Giftblenden ab. Alle drei waren sauber. Wäre in dieser Gegend Gift ausgebracht worden, hätte die Flüssigkeit wie Säure reagiert. Dogan hatte ihnen das früher einmal an einem Gefangenen demonstriert. Es war kein schönes Schauspiel gewesen. Denn diese Kolben verwandelten das Wasser in Säure, wenn mit Gift versetzter Sauerstoff durch die dünnen Röhrchen in Kontakt mit dem Wasser kam. Hier schien alles in Ordnung zu sein. Doch Dogan brummte nur, anstatt etwas zu sagen. Viktor lächelte. Dogan war genervt von seiner stummen Anwesenheit. Ihm war deutlich anzusehen, dass er auf das wartete, was Viktor ihm zu sagen hatte. Irgendwann riss ihm der Geduldsfaden. »MACH SCHON!«, forderte er »SAG SCHON WAS DU ZU SAGEN HAST!«
»Dogan, wenn du deine Wahl tatsächlich getroffen hast, dann musst du mit der Frau reden!«
»Warum?«
Die Gegenfrage kam so schnell, dass Viktor einen Moment lang perplex war »Weil du ... weil sie ...« Der Blick den Viktor sich mit seinem Gestammel einfing, war dunkel.
»Dogan!«, mahnte er ihn trotzdem »Du hast nachgegeben! Du hast gewählt. Nun musst du überlegen, wie sehr du die Kleine wirklich quälen willst! Rede mit ihr! Finde heraus, ob es nicht doch einen Weg gibt, sie ...«
»... am Leben zu lassen?«, vollendete Dogan den Satz voller Sarkasmus.
»JA VERDAMMT! Genau das! Du wirst sie gefälligst am Leben lassen! Und nicht nur das! Du wirst auch irgendetwas Ähnliches wie eine Beziehung zu ihr aufbauen müssen! Zu ihr und dem Kind das sie trägt, bevor sie deines empfängt!«
Der Schlag war heimtückisch und Dogan steckte ihn mit einem Fluch ein. Viktor sah sein in Gesicht und wusste, dass er nicht nachlassen durfte! Dogan musste annehmen, wozu er sich verpflichtet hatte »Hör auf dich zu wehren! Du hast sie gewählt, jetzt bring es anständig zu Ende!«
Der Blick den Dogan Viktor zuwarf, hatte etwas von dem sorgenvollen Blick eines kleinen Jungen. Viktor fühlte eine tiefe Verbundenheit zu dem großen Mann »Und? Was denkst du sollte ich tun?« fragte Dogan leise. Erleichtert erkannte Viktor, dass Dogan bereit war, ihm wenigstens zuzuhören.
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