Er wartete noch eine Zeitlang und als sich nichts rührte, trat er ein. Es war nicht nötig, die Tür aufzubrechen. Wesen wie er machten sich nichts aus Wänden oder Türen. Er glitt in ihr Haus und sah sich in aller Ruhe Raum für Raum an.
Zuerst betrat er ein großes Wohnzimmer, vollgestopft mit Büchern. Nur ein kleiner Fernseher stand verstaubt in der Ecke. Eine große Couch dominierte den Raum und überall lagen Stapel von Büchern. Ohne erkennbare Ordnung waren überall Unterlagen verteilt. Er nahm ein paar Papiere auf und überflog sie. Doch er ließ sie achtlos fallen, als er einige Bilder auf einem der Regale bemerkte. Langsam trat er näher und betrachtete sie. Er sah die Frau und einen Mann lachend in einem Restaurant sitzen. Dann posierten sie zusammen vor einem seltsamen Turm. Auf einem anderen Bild standen sie vor einer riesigen Kirche. Falk nahm die Bilder nacheinander herab und musterte sie genauer. Der Mann schien um einiges älter als sie zu sein.
Voller Neugier betrat er die Küche und ein fast kindlicher Ausdruck überzog sein Gesicht, als er den Kühlschrank öffnete. Denn er roch Fleisch! Gutes Fleisch! Nicht das, was ihn wie sonst zum Würgen reizte! Nein, dieses Fleisch roch gut! Es gefiel ihm hier immer besser.
Auf seinem Rundgang durch das untere Geschoss durchstöberte er noch zwei weitere Räume. In einem waren noch mehr Bücher und ein Computer. Auch hier herrschte ein seltsames Chaos durch die scheinbar wahllos verteilten Bücherstapel.
Doch dann öffnete er die Tür zum letzten Raum und diesmal übertrat er die Schwelle nicht. Denn in diesem Raum herrschte keine Unordnung. Dieser Raum war fast leer. In der Mitte stand ein Ständer mit einem kleinen Heft darauf. Seltsame Zeichen waren darin verzeichnet. Auf dem Ständer lag eine Flöte. Dieses Zimmer war zum Garten hin ausgerichtet und wurde durch eine große Terrassentür abgetrennt. Falk nahm den Frieden wahr, der hier herrschte. Einen letzten Moment nahm er die Stimmung noch in sich auf, dann zog es ihn nach oben.
Im oberen Geschoss fand er das Bad. Schnell checkte er, ob hier Männerutensilien zu finden waren, doch er wusste bereits, dass sie alleine war. Außer dem Bad gab es ein weiteres kleines Zimmer in dem ihr Kleiderschrank stand. Auch hier herrschte ein heilloses Durcheinander. Falk wunderte sich über sich selbst als er erkannte wie viel Spaß ihm das alles machte. Dann stand er vor der letzten Tür. Ohne einen Laut zu machen, öffnete er sie und wieder hielt er inne und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Dieses Zimmer war wunderschön und ebenfalls zum Garten hin geöffnet. Die Tür, die auf einen großzügigen Balkon führte, war offen und die leichten Vorhänge bewegten sich sanft im Wind. Hier waren nirgendwo Bücher verteilt. Hier gab es nur eine Menge Pflanzen und ein Bett mit der Frau, deren Geschmack er immer noch auf den Lippen trug.
Erneut staunte er über sich selbst, doch er gab zu, dass ihm die Stimmung gefiel, in die ihn all das brachte. Er fühlte sich seltsam friedlich und er wollte sie nicht erschrecken. Falk näherte sich ihr und achtete darauf, sie nicht zu berühren. Er legte sich an ihre Seite und betrachtete das schlafende Gesicht. Ihre Haare waren verstrubbelt und er ertappte sich dabei, dass er diese Haare gern berührt hätte. Doch er hielt sich zurück und begnügte sich damit, sie anzusehen. Dabei schweiften seine Gedanken zurück zu der Flöte im unteren Zimmer. Sie machte Musik? Wie sich das wohl anhörte? Er legte sich zurück und wartete.
Als sie bemerkte, dass sie nicht mehr allein war, drang er in sie ein, um ihr den Schreck zu ersparen. Wie ein schwerer Mantel legte er sich über sie. »Hab keine Angst ...«, schnurrte er in ihrem Verstand »Ich bin es nur ...« Erst dann ließ er sie die Augen öffnen und er freute sich über das Zucken in ihren Mundwinkeln als sie ihn erkannte. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch als er den Kopf schüttelte, schwieg sie folgsam. Sie wehrte sich nicht, als seine große Hand sie an sich zog.
....
Als er später, von ihr abließ, dankte er dem Schicksal, das seine Maschine ausgerechnet in diesem Kaff hatte verrecken lassen. Himmel, war die Frau ausgehungert. Sie war unter seinen Händen laut gewesen. Sie wollte angefasst werden und kam nachgerückt, wann immer er nur einen Zentimeter Platz zwischen ihnen ließ.
Zufrieden winkelte er den Arm an, auf dem ihr Kopf lag und holte sie zu sich. Jetzt stöhnte sie leise »Ich will ja ...«, lachte sie »... aber ich kann nicht mehr ...«
Und er lachte mit ihr, drehte er sie auf die Seite und schob sich hinter sie.
»Morgen!«, versprach er und dann schliefen sie ein.
Die Tage danach
Fran fragte sich immer noch, wie das eigentlich alles hatte geschehen können. Er war ein Bild von einem Mann, so etwas hatte sie bisher höchstens in ihren Büchern gesehen. Und nun lag der Mann in ihrem Bett und schien sich dort irgendwie wohl zu fühlen. Er hatte ihr ein »Morgen« versprochen und sein Versprechen gehalten. Und zwar jeden Tag, seit dem er hier aufgetaucht war. Sie verstand nicht, warum er hier war, warum er blieb oder wo er herkam. Und es war ihr auch egal. Frances fühlte sich, als ob Falk all ihre lange verloren geglaubten Gefühle wiederfand und sie ihr zurückgab. Dafür war sie ihm unendlich dankbar. Und so stellte sie die Fragen nicht, die hätten gestellt werden müssen: Wer bist du? Wo kommst du her? Was willst du von mir? Wann wirst du wieder gehen?
Falk mochte ihren Humor. Frances konnte wunderbar über sich selbst lachen und tat das oft und ausgiebig. Sie war tatsächlich so echt, wie es auf den ersten Blick gewirkt hatte. Sie war Kunsthistorikerin. Er hatte keine Ahnung, was genau sie tat und sie machte auch nicht den Versuch es ihm zu erklären. So wie sie ihm eigentlich gar nichts erklärte. Denn es tat nichts zur Sache. Er wollte nichts wissen, und sie verschwendete ihrer beider Zeit nicht mit Geschichten.
Einmal fragte er sie nach dem Sinn der ganzen verstreuten Bücher und sie antwortete schlicht »... man hat mich erzogen Ordnung zu halten, und jetzt« ein wenig hilflos schaute sie sich um und verstand, wie ihre Worte angesichts des Chaos um sie herum wirken mussten, dann lächelte sie ein zaghaftes Lächeln »... und jetzt ist es mir egal ...«, zögernd sah sie ihn an. Sie erwartete eine Wertung, doch er lachte nur. Er mochte sie genau so.
Einmal nur fragte sie ihn »Warum ich? Warum keine junge, keine schöne Frau? So wie du aussiehst, könntest du sie alle ...« Doch er unterbrach sie mit den wenigen echten Worten, die sie verdiente »Weil du dich gut anfühlst!« Ihr verschämter Gesichtsausdruck war so reizend, dass er an sich zog. Danach stellte sie solche Fragen nicht mehr.
Ernst wurde sie nur wenn sie die Flöte zur Hand nahm. Und auch Falk verging dann das Lachen. Wenn sie die Lippen befeuchtete und anfing zu spielen, ergriff ihn eine seltsame Stimmung. Ihre Lieder waren schwer und traurig und manchmal hatte sie nasse Augen wenn sie absetzte.
Nachdenklich sah er ihr zu, wie sie sich um Fassung bemühte. Dann nahm er sie an die Hand und führte sie nach oben. In diesen Nächten schliefen sie nicht miteinander. Die Traurigkeit, die sie dann überkam, war genauso echt wie ihre Gier, ihre Freude und ihr Genuss. Falk saugte auch dieses Gefühl in sich auf wie ein Ertrinkender Sauerstoff. So gingen einige Wochen ins Land, in denen er kaum etwas anderes tat als mit ihr zu schlafen, ihr zuzusehen und ihr Essen zu verschlingen. Sie war eine phantastische Köchin! Fran kaufte ihr Fleisch bei einem Bauern auf dem Land und nicht in einem Supermarkt. Von dort holte sie auch ihr Gemüse und daraus kochte sie Gerichte, die ihm genauso gut gefielen wie der Sex mit ihr.
Wenn Frances kochte, erzählte sie ihm von ihrer Großmutter. In diesen Momenten beneidete er sie um ihre Vergangenheit. Und während sie über ihre Kindheit sprach, erinnerte er sich an die dunkle Zeit seiner ersten Jahre. Er erinnerte sich an die Angst der beiden Alten die ihn großziehen mussten.
Читать дальше