Es war einige Tage später, als Odile Streit suchte. Sie suchte ihn mit einem abschätzigen Lächeln unter einem fadenscheinigen Grund, und sie suchte die Auseinandersetzung vor dem Jungen. Swiwa versuchte, ihr auszuweichen. Mittlerweile hatte er Angst vor ihrer Macht über den Jungen und vor dem Kind selbst. Denn der Kleine war tagelang nicht von ihrer Seite gewichen. Sein Blick war verhangen und seine Gestalt fing an, die untrüglichen Zeichen eines Brechers auszubilden. Odile wusste um diese Angst und sie nutzte sie schamlos aus. Ihr Lächeln verursachte einen tiefen Schmerz in Swiwas Seele. Dann erhob sie sich und fing an, sich vor dem Jungen auszuziehen. Das Lächeln veränderte sich nicht, als sie ihre Finger bewegte. Wie von Fäden gezogen stand sein Sohn auf. Seine Augen waren voller Freude auf Odile gerichtet. Swiwa erkannte die Gier, die er selbst so oft gefühlt hatte, wenn sie ihn an sich zog. Voller Abscheu beobachtete er, wie sein Sohn sich seiner nackten Mutter näherte und dann voller Inbrunst das Gesicht zwischen ihren Schenkeln versenkte. Swiwa hatte keine Wahl. Sein Körper reagierte einfach. Frontal ging er auf sie los und riss das Kind von ihr fort. Doch anstatt sich zu wehren, lehnte sie sich einfach langsam zurück. Und vor sie schob sich sein Sohn.
So war das letzte was Dogan an diesem Tag sehen sollte, wie der Sohn sich gegen den Vater wandte. Was Augenblicke zuvor noch ein Kind war, hatte sich in einen Brecher verwandelt. Ein Wesen, dessen Bestreben einzig und allein das Blutvergießen war. War ein Brecher erst einmal auf Spur, gab es keine Möglichkeit mehr, ihn vom Töten abzuhalten. Diese Hexenkinder hatte es lange nicht mehr gegeben. Sie waren ausgestorben, als man die Verbindungen zwischen Hexen und Zauberern verbot. Brecher gehörten niemandem. Sie waren mehr Maschinen als lebende Wesen. Sie verschrieben sich keinem König, keiner Aufgabe. Ihr Gott war das Blut, dass vergossen werden musste. Und Swiwa und Odile hatten genau so einen Brecher gezeugt.
Dima würde sich nun nicht mehr von ihm abbringen lassen. All das war Swiwa einem einzigen Moment klar geworden. Doch er brachte es nicht fertig, sich gegen sein Blut zu wenden. Und so ging er langsam zu Boden, während das Kind wie tollwütig auf ihm tobte und seinem Namen alle Ehre machte. Denn er war Dima! Dima der Brecher! Und sein erster Toter würde sein Vater sein.
Wie aus weiter Ferne hörte Swiwa die blubbernden Geräusche die das Kind von sich gab, das wie besessen an ihm riss und ihm seine Eingeweide aus dem Körper brach. Dann hörte er nichts mehr. Für lange Zeit hörte er nichts mehr.
Generationen waren so dahingegangen. Bald erinnerte im Brückenland nichts mehr an den alten Zauberer, als verblasste Wandteppiche und greise Männer, die die alten Legenden erzählten, auch wenn niemand ihnen noch zuhören wollte.
So waren Könige gekommen und Könige gegangen. Und nun war es eben Luther, der regierte. Tagsüber. Und nachts? Da träumte er. Und immer suchte ihn genau dieser alte Zauberer auf. Der letzte er alten Zauberer. An den Morgen danach wusste Luther um die Macht, die ihn erwählt hatte. Und dann tauchten die Rabenbrüder auf. In der Nacht, wenn sie zu ihm durch sein Fenster geflogen kamen und sich nur ihm zu erkennen gaben, war er ein Gott! Der schwarzäugige Rabe sagte ihm genau, was er tun sollte. Der Grauäugige zeigte ihm den Weg und er beschritt ihn gerne.
Auch als sie den fremden Krieger ankündigten, fühlte es sich richtig an. Sein Name war Lasqua und die Raben erklärten Luther, dass er eine große Rolle im unendlichen Spiel spielen würde. Freudig gab Luther ihm Obdach und behandelte seinen Gast und die Männer die er mitbrachte fürstlich. Bald danach erfüllten sich Luthers Träume. Er würde den Tag nie vergessen, an dem Lasqua ihm den alten Zauberer überließ. Aus der fabelhaften Figur die ihm im Traum erschienen war, wurde eine leibhaftige Macht, die sich seinen Wünschen beugte. Lasqua lächelte, als er die Gier erkannte, die den König ergriff. Luther war durchdrungen von seiner Macht, wenn er dem alten Zauberer befahl, ihm zu Willen zu sein! Der Arwadok hatte Recht behalten: Es reichte ein einziger fauliger Apfel um den ganzen Korb zu verderben!
Es war kaum zu glauben, aber Falk hatte in der Welt der Menschen Frieden gefunden. Es war ihm nicht leichtgefallen und es hatte Kraft gekostet, doch nun war er hier und er kam zur Ruhe.
Wann immer sich die Kräfteverhältnisse in Draggheda verschoben, beeinflusste es ihn. Da war der seltsame Kraftverlust von Farq und die Konsequenzen für seine Krieger. Auch das Erstarken des Arwadoks hatte Auswirkungen auf Falk. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis diese Schwingungen die von so weit entfernt auf ihn wirkten, ihn nicht jedes Mal zum Handeln reizten. Er zog sich aus den belebten Gebieten zurück und nach einigen einsamen Monaten in der Wildnis der Berge ließ der Drang ständig um sich zu schlagen, nach. Er hatte viel gesehen, war durch viele Staaten gereist und nun zog es ihn zurück ins Leben. Ihm fehlte Gesellschaft. Vorsichtig näherte er sich den bewohnten Gebieten. Je näher er den großen Städten kam, desto schlimmer wurde der Gestank, desto ärmer wurde die Luft. Also zog er weiter und als der Motor seines Motorrades in einer Kleinstadt mitten in Montana plötzlich anfing zu stottern und schließlich ausfiel, entschied er sich, ein paar Tage zu verweilen. Er suchte eine Werkstatt, gab das Motorrad ab und machte sich zu Fuß auf den Weg.
Das Kaff war nicht allzu groß. Doch es gab einen Stadtkern und an einem so milden Abend wie heute spielte sich dort das Leben ab. Mehrere Restaurants waren um einen schönen Marktplatz angesiedelt. Vor den meisten standen Tische und Stühle und es gab kaum freie Tische.
Falk suchte sich einen dieser Tische aus und sah sich um. Es war ihm völlig gleich, wo er saß. Er hatte nicht vor etwas zu essen, denn egal wo er war, egal wie schön der Ort auch sein mochte, das Essen war einfach überall grauenhaft. Als die Bedienung kam, bestellte er freundlich ein Bier und lehnte sich entspannt zurück. Der Ort wirkte fast schon pittoresk. Überall waren Blumenkästen mit blühenden Pflanzen bestückt. Ein Brunnen mit einem netten Wasserspiel war mitten auf dem Marktplatz aufgebaut. Einige Händler räumten noch ihre Waren ein. Es schien Markttag gewesen zu sein.
Für einen Augenblick ließ er all das auf sich wirken. Das Gemurmel der Menschen um ihn herum war wie das Rauschen von Wellen am Strand. Er nahm es wahr, doch er hörte nicht hin.
Jedenfalls nicht, bis sich einzelne Wörter in seinem Verstand formten. Anfangs noch setzte er sie nicht in einen Zusammenhang und ließ sie einfach kommen. Doch mit jedem Wort wurde die Stimme klarer.Es war eine Frauenstimme und sie sprach die Worte nicht, sie dachte sie.
»... wie er wohl beim Kacken aussieht?«, eine Pause »... wenn er nur endlich still sein ...«, dann laut »HMM - AHA? Das ist interessant ...« Es folgte ein Gedankenfetzen »... was tue ich hier? HIMMEL! Warum hilft mir denn keiner?«
Und laut ausgesprochen »Wirklich? So einfach haben Sie ...« Falk grinste. Es war eine hohe Stimme, die sie unterbrach. Er grinste, weil der Mann sprach, während sie dachte »... das kann der doch nicht ernst meinen. Wie kann er glauben, dass ihm das jemand abnimmt ...«
»... und dann habe ich auf den Tisch gehauen!«, fistelte die männliche Stimme »So nicht - hab ich gesagt ...«, während die Frau dachte »... ob ich mildernde Umstände bekomme wenn ich ihm jetzt einfach die Gabel in den Hals ...«
Dann, in ihren Mordgedanken unterbrochen »Ja, wie ...? Nein, nein, habe ich noch nie ...«
Mit einem Lächeln nahm Falk wahr, dass sie anfing, sich zu ärgern »... warum antworte ich eigentlich? Es interessiert ihn nicht im Geringsten!«, eine kurze Pause, sie kicherte still »... er sieht aus wie ein ... verdammt! An was für ein Tier erinnert er mich bloß?«
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