Felix Salten - Bambis Kinder
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Bambi ist erwachsen geworden. Nach dem Tod seines Vaters nimmt er die Rolle des Anführers im Wald ein. Mit seiner Freundin Faline hat er Nachwuchs bekommen. Geno und Gurri lernen von ihren Eltern alles über den Wald und erleben wunderbare Abenteuer.
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Bambis Kinder
Felix Salten
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
I
Feierlich war die nächtliche Stille.
Der Wald schlief, die Bäume, die Sträucher schlummerten, die Vögel hatten ihre Köpfe unter den Fittichen versteckt, selbst die Luft der warmen Frühsommernacht ruhte.
Lautlos und duftend atmete der Wald, in dem Traum seines Blühens befangen.
Klang zuweilen der wehmütig schöne Sang der Eule oder das kurze, gellende Schreien, das der Kauz hin und wieder ausstieß, so wurde dadurch die Stille noch tiefer.
Das Wild, Hirsche, Rehe, Hasen, vom Menschen seit undenklichen Zeiten gezwungen, sich tagsüber zu verbergen, streifte in der Finsternis auf Wiesen, Blößen, Schneisen umher und genoß Nahrung in Sicherheit.
Fuchs, Marder, Iltis, Wiesel vollführten ihre Raubzüge. Sie wurden minder gefürchtet als der Mensch, dessen Gegenwart auch sie mieden.
Noch blinkten die Sterne am Himmel, doch sie fingen an zu erblassen.
Ein allererster, fahler Schein frühester Dämmerung lockerte die Schwärze der Nacht, ohne sie merkbar zu erhellen.
»Wer geht denn da?« schäkerte erwachend die Elster.
Ihr Gefährte hob den Kopf aus dem Flügel, darin er ihn während des Schlummers geborgen hatte, und meinte: »Niemand! Wer soll auch jetzt schon kommen? Es dämmert ja kaum. Und ich höre nichts. Keinen Laut!«
Unten, vom Gebüsch her, wisperten die Meisen: »Doch! sicherlich! Jemand ist unterwegs. Das hat uns geweckt. Seltsam! Wir staunen.«
Mit schlaftrunkener Stimme zirpte die Amsel: »Ich wundere mich gleichfalls. So früh! So früh!«
Da kreischte der Häher: »Faline! Hach! Faline und ihre Kinder!«
Jetzt fing der Specht zu trommeln an: »Die brave Faline!« Er lachte gellend. »Die dumme Faline! Zu komisch!« Er hielt nämlich alle Geschöpfe für dumm außer sich selbst, und er trommelte stürmisch; das klang alarmierend.
Aus den Nestern flatterten die Krähen. »Faline!« krächzten sie mißbilligend, »Faline tut, was die Kinder befehlen! Eine Erziehung! Unerhört!« Sie stoben flügelklatschend davon.
In den Baumwipfeln regten sich die Tauben. »Stillsitzen!« mahnten sie einander, »sitzen bleiben, bis es hell wird. Noch lauert die Eule! Noch jagt der Kauz!«
Nun vernahmen alle leise zögernde Schritte.
Auf dem schmalen Pfad bogen sich die Zweige zur Seite; sie hingen schwer von Tau, und dicke Tropfen näßten das Fell der Rehe, die hier täglich gingen.
»Du bist merkwürdig, Geno«, sagte Faline zu ihrem Sohn, »warum drängst du immer so sehr, dich hinzulegen?«
»Weil ich müde bin«, antwortete Geno kurz.
»Er ist gar nicht müde«, ließ sich Gurri vernehmen, die immer dicht an der Flanke Falinens blieb. »Ich hätte noch so gerne draußen auf der Wiese gespielt.«
»Lauf doch hinaus!« rief Geno, »lauf nur! Ich bin müde und schläfrig.«
»Aber nein!« widersprach die Schwester, »das glaub ich dir nicht.«
»Dann laß es bleiben«, murrte jetzt Geno unwirsch.
»Kinder ... Kinder ...«, beschwichtigte Faline.
Die Geschwister neckten einander. Sie waren ganz jung, waren kaum im Begriff, die weißen Sprenkel zu verlieren, die sie bei ihrer Geburt mit auf die Welt gebracht hatten. Ihre roten Röckchen färbten sich um einen Schatten dunkler.
»Boso und Lana sind gewiß noch draußen«, klagte Gurri, »die warten, bis ihnen die Mutter das Zeichen gibt, einzuziehen. Nur du wartest nie! Aber so früh wie heute ...!«
Geno schwieg.
»Tante Rolla wird mit ihnen nun gewiß schon zur Ruhe gehen«, sagte Faline.
»Ach, es ist noch lang Zeit«, plauderte Gurri, »und ich hab die beiden so gerne, Boso und Lana.«
»Ich mache mir gar nichts aus ihnen«, urteilte Geno.
»Sie sind so fröhlich«, wandte Gurri ein.
»Albern sind sie!« beharrte Geno.
»Natürlich! Nur du bist gescheit!«
»Ich? Ich bin ein Kind!«
»Wir alle sind Kinder. Und Boso ist reizend.«
»Meinetwegen.«
»Lana hat ein ... sie schaut entzückend aus.«
»Lana?« Geno wollte spotten, da entfuhr ihm ein Schreckensruf. »Ba –« Er sprang mit allen vier Läufen hoch.
Durch Farne und Lattich raschelte etwas.
»Wer war das?« Geno zitterte am ganzen Leib.
»Nur der Iltis«, gab Faline Auskunft, »der tut dir nichts. Hab keine Angst.«
Doch Geno wurde schwer wieder ruhig; die Witterung atmend, stotterte er: »Dieser Iltis ... riecht fürchterlich.«
Gurri erklärte: »Geno hat immer Angst. Immer ist er bange. Deshalb müssen wir auch gar so zeitig ...«
»Schwatz nicht«, unterbrach sie Geno, »sicher ist sicher. Du wirst noch einmal mit deinem Leichtsinn ins Unglück geraten. Sicherheit bleibt das Allerbeste.«
»Er zittert noch«, lächelte Gurri, »auch auf der Wiese waren wir sicher.«
»Hier sind wir es viel mehr.«
»Als ob hier drinnen nichts passieren könnte!« Gurri lachte. »Wenn der Iltis vorbeihuscht, kannst du dich nicht fassen.«
»Ich bin eben erschrocken«, rechtfertigte sich Geno, »und der Bursche stinkt entsetzlich.«
»Laß deinen Bruder«, mengte sich Faline in das kindliche Geplänkel, »Geno hat recht. Vorsicht ist für uns notwendig. Wachsamkeit bleibt unsere Bestimmung. Die Welt mag wundervoll herrlich sein, aber sie birgt zahllose Gefahren. Wer von uns lange leben, wer sich an der Welt erfreuen will, darf in der hellsten Lustigkeit niemals vergessen, wie viele Gefahren uns umlauern. Beständig müssen wir auf der Hut sein. Dann ist alles schön. Wir können uns nicht sonderlich wehren. Unsere Waffen sind Aufpassen, uns verbergen und rechtzeitige Flucht. Lieber zu früh von der Wiese fort als zu spät. Geno ist klug, und er wird hoffentlich lange leben.«
Die Kinder lauschten.
Geno ging stolz in dem leise schwankenden Schritt ganz junger Rehe.
Gurri ließ die Ermahnungen der Mutter von sich abgleiten; sie nahm das oft Gehörte leicht. Die Stimme der Mutter klang angenehm zärtlich, doch was sie sagte, berührte die Kleine nur oberflächlich, und Gurri blieb heiter.
Nun waren sie angelangt.
Ein enger Platz, umhegt von dichtem Buschwerk, überschattet von hohen alten Eschen, Buchen und Eichen, bot ihnen Heimstätte, gewährte so guten Schutz, wie man nur überhaupt verlangen konnte. Eine hohe Pappel überragte schlank die anderen Bäume. Gleich Mauern standen hier Haselstauden, Holundersträucher, wuchsen Hartriegel, Liguster, und weiches, duftendes Moos deckte die schwarze Walderde beinahe völlig. Hier hatte Faline ihre Kinder geboren. Das Eichhörnchen kam zu dieser schweren Stunde damals neugierig und teilnahmsvoll herbei und blieb seither Faline wie den Kindern freundschaftlich verbunden. Hier unten im Gebüsch, oben in den Wipfeln nisteten noch andere Freunde, die Elster, der Häher, der Specht, die Schar der Meisen, und alle behüteten den Schlaf der Rehe, alle gaben Warnungszeichen, wenn sich jemand näherte, der vielleicht böse Absichten hatte.
Behaglich tat sich Faline nieder; Geno und Gurri schmiegten sich an ihren warmen Leib. Geno bat: »Mutter, erzähl uns etwas.«
»Ich hab' geglaubt«, rief Gurri dazwischen, »ich hab' geglaubt, du bist schläfrig.«
»Was soll ich erzählen?« fragte Faline.
»Erzähle von deinem Bruder Gobo«, schlug Geno vor.
»Ja, ja!« stimmte Gurri ein, »von Gobo, von Gobo!«
»Die Geschichte habt ihr doch schon oft gehört.«
»Das macht nichts«, meinte Geno, »sie ist so spannend.«
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