Gustav musste nun doch lachen und reichte ihr die Butter.
Dann räusperte er sich verlegen und sagte:
„Gestern Abend übrigens, war es sehr schön mit dir und die Zeit hätte niemals vergehen sollen. Sehr ärgerlich, dass wir so plötzlich getrennt wurden und eigentlich war es sinnlos, denn der geheimnisvolle Briefschreiber ist mir entwischt. Hatte der Junge dir noch etwas erzählen können?“
Ramona sah ihn an und wieder verfärbten sich ihre Wangen.
„Nein, der kleine Hosenscheißer wollte, dass ich die Bettdecke wegziehe. Kaum warst du raus, wurde er auch schon ein wenig anzüglich, weil er sah, dass ich nackt war. Italiener scheinen schon im Kindesalter echte Machos zu sein.“, erzählte sie.
Ungläubig runzelte Gustav die Stirn und Ramona schlürfte schweigend ihren Kaffee.
„Übrigens.“, bemerkte sie, „Im Briefumschlag lag nur ein leeres Blatt.“
Gustav schaute sie verwundert an. Eine Weile lang schwiegen beide und dachten über den gestrigen Abend nach.
„Lass uns durch die Stadt bummeln und in aller Ruhe über diesen Text nachdenken.“, schlug er ihr vor. Sie nickte enttäuscht. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie gleich wieder verführen würde. Gustav hatte aber längst das Schriftstück zur Hand statt ihre kleinen Brüste. Doch der rätselhafte Text war ja auch ziemlich aufregend und so zogen sie gemeinsam durch Florenz.
Ins kleine Altstadtviertel der Buchhandlung wollten sie diesmal nicht. Mit einer Schrotflinte oder der Polizei wollten sie nichts zu tun haben. Sie wollten Ruhe.
In einem schattigen Park setzten sie sich auf eine Bank.
Gustav kaufte am nahen Kiosk zwei Becher Fruchtsaft.
„Hilft auch gegen die Aufregung!“
Er legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte:
„Ich weiß, was der Text bedeutet. Das königliche Tier mit einer Krone ist der Hirsch. Kein Zufall, wenn genau in diesem historischen Dokument eine Geheimschrift versteckt wurde. Als 1696 der Kurfürst den Hirsch erlegte, wanderte das Geweih mit samt dem Schädel in sein Jagdschloss nach Königswusterhausen, südlich von Berlin.“
Ramona sah ihn erstaunt und etwas bewundernd an.
„Du bist wirklich ein schlauer Typ.“, sagte sie, „Woher du solche Dinge weißt, ohne ins Internet zu schauen?“
„Du weißt, dass ich eine Bibliothek besitze. Dort verfüge ich über viele tausend Bücher, ohne dass ich Romane und Ratgeber als Bücher bezeichne. Die Hälfte davon sind Werke über Geschichte und Kultur. Und stell dir vor, mein kleiner Hasenpups, ich habe sie auch gelesen. Sogar Lexika lese ich und es bereitet mit Vergnügen.“, antwortete er mit betonter Bescheidenheit.
„Nenne mich nicht ständig Hasenpups! Scharfes Bondgirl würde mir besser gefallen, wenn überhaupt!“
Ramona stieß dabei ihren Ellenbogen in seine Seite.
„Schon gut, Raaamooonaaa!“, lachte er auf.
Dann wurde er aber gleich wieder ernst und sortierte seine Gedanken weiter:
„Es geht offenbar um eine alte Bibliothek, vielleicht eine bedeutende Sammlung von Schriftrollen aus der Antike. Auf jeden Fall ist sie verborgen und ich glaube, dass es eine Art von Karte gibt, womit man sie finden kann.
Der Hirsch verschlang die Wege, nachdem er gestorben war.
Die Karte wurde im Maul oder im Schädel des erlegten 66-Enders versteckt.“
„Wie jetzt? In Königswusterhausen?“, unterbrach Ramona aufgeregt.
„Nein, nein. Kurfürst Friedrich hatte einen Sohn, der die Soldaten mehr liebte, als die Jägerei und die Jagdtrophäen. Seinen Sohn kennen wir unter dem Namen Friedrich Wilhelm I., auch genannt der Soldatenkönig. Ich glaube, 1728 schenkte er das Geweih dem Sachsenkönig August dem Starken. Der hängte es in sein eigenes Jagdschloss in Moritzburg. Dort kann man es noch heute im Saal der Monströsensammlung besichtigen. Und genau dort sollte man suchen.“, erklärter er.
„Schloss Moritzburg bei Dresden!“
Über Ramona Gesicht huschte ein Anflug von Schatzsuchermentalität. Ihre Augen glänzten vor Begeisterung und sie streichelte Gustav's Oberschenkel, was sie sonst nie tat.
„Höre zu, Ramona! Wir sind hier, weil wir beide gemeinsam eine Urlaubsreise machen wollten. Und das können wir immer noch. Das Buch allein ist eine schöne Rarität für meine Büchersammlung und das handgeschriebene Schriftstück ist fast ein Museumsstück. Eigentlich hatte ich als nächstes Ziel Rom geplant.“, bemerkte er.
„Doppelzimmer oder getrennte Betten?“, fragte sie.
Ramona grinste.
Gustav errötete wieder. Wäre er nur nicht auf dem Gebiet der Verführungen immer so peinlich und leicht durchschaubar gewesen. Er ärgerte sich darüber, dass er immer gleich rot wurde wie ein kleines Schulmädchen. Verdammte Schulmädchen!
„Schöne Zimmer habe ich gebucht.“, antwortete er bockig. „Es geht darum, dass wir, sollten wir uns für die Suche nach dieser geheimnisvollen Bibliothek entscheiden, nach Dresden müssen und unseren Urlaub vergessen können. Nichts mit einer Verlobungsreise zweier Jungverliebten, mein Schatz!“, sagte er.
Nun errötete Ramona. Natürlich konnte sie nicht verleugnen, dass ihr der gestrige Abend Vergnügen bereitete. Sie hatte wohl auch etwas laut gestöhnt vor Wonne. Verdammte Zunge!
„Eine verschollene Bibliothek!“, grübelte Gustav fassungslos.
„Das ist unglaublich!“, pflichtete Ramona bei.
„Es gab schon immer Gerüchte darüber. Wer immer solch eine Bibliothek entdeckt, geht in die Geschichte ein.“, erklärte er.
„Und wir haben einen echten Hinweis gefunden. Das ist aufregend!“, freute sich Ramona und umklammerte seinen Arm.
„Vielleicht gibt es über mich auch einmal ein Buch, als Entdecker der verschollenen Bibliothek.“, schwärmte Gustav.
„Das wäre großartig!“
Beide saßen nun für ein paar Augenblicke schweigend und etwas berührt nebeneinander.
„Dresden ist auch schön und dort bekommen wir bestimmt ein gemeinsames Zimmer. Lass uns nach der Karte suchen, Gustav. Ich verspreche dir, dass ich nicht enttäuscht bin, falls wir am Ende nichts entdecken. Sind wir beide spontan oder was?“, unterbrach Ramona schließlich ihr Schweigen.
Gustav sah sie erfreut an und küsste sie spontan mit einem lauten Schmatz.
„Wir sind spontan! Auf nach Dresden!“, rief er.
Fest hielten sie sich in den Armen. Noch nie empfanden sie so viel Gemeinsamkeit und Zweisamkeit miteinander.
„Deutschland ist viel gesünder für uns. Die kleinen Italiener nerven sowieso und alles ist hier abartig kitschig. Wie kann man hier nur Urlaub machen? Verdammte Touristen!“, sagte Gustav und lächelte, zufrieden mit sich und der Welt, als wäre er mit seiner großen Liebe im romantischen Urlaub im schönen Italien.
Ramona lächelte auch leise in sich hinein. Sie war längst in Abenteuerstimmung.
„Eine verborgene Bibliothek!“, rief sie.
„Stell dir vor, was dort für Schätzen liegen können!“, bestätigte er aufgeregt.
„Verschollene Bücher, Schriftrollen vom Toten Meer, historische Aufzeichnungen!“, sagte Ramona und ihre Augen funkelten wild.
„Der größte Schatz dieser Welt ist das Wissen und wir gehen auf die Suche danach. Ein fantastische Geschichte, die uns passiert. Doch erst einmal müssen wir diese mysteriöse Bibliothek finden und darauf hoffen, dass es sie tatsächlich gibt.“, versuchte er ihre Begeisterung etwas zu dämpfen. Für seinen Geschmack war sie viel zu euphorisch.
„Ich habe daran keine Zweifel!“, erwiderte sie. Ramona war in Hochstimmung.
Anschließend verbrachten sie den Tag mit ausgedehnten Spaziergängen. Überall fanden sie Hinterlassenschaften der Medici. Gustav prahlte ein wenig mit seinem Wissen. Erklärte seiner Begleiterin die Geschichte der Adelsfamilie, die über mehrere Generationen Florenz beherrschte. Wie sie den großen Michelangelo als jungen Künstler förderten und dieser seinen monumentalen David mitten in Florenz aufstellte. Schließlich gelangte er mit seinem Referat zum Petersdom in Rom und zum Papst Julius II. und seine Nachfolger.
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