„Hein, Günther? Du verstehst, was ich meine, oder?“, fügte Johnny hinzu.
Günther grinste verlegen und hob seine Schultern.
Es war schon sehr dunkel, aber die Lichter, die immer mehr wurden, zeigten an, dass man in Kribi war, nach zwei Stunden Fahrt durch den Regenwald.
Man konnte den weißen Sandstrand und das Meer sehen und hören.
Man roch überall in der Luft den Geruch des Meeres. Es war warm und leicht schwül.
„Weißt du schon wo du unter kommst Johnny? Ich meine in welches Hotel du gehst?“, fragte Stefan.
„Nein. Alles war ein bisschen plötzlich. Ich werde mir, wenn wir an der Busstation angekommen sind, ein Taxi nehmen und ein Hotel suchen – und ihr?“
„Wir haben schon seit einem Monat über einen Mitarbeiter, der hier Urlaub gemacht hat, Zimmer in einem Hotel direkt am Strand reserviert. Ist einfacher so und ohne Stress, weißt du? Wir haben dort ein all-inclusive Hotel genommen, bis auf Carla und Mauritz, die sich noch viel umsehen wollen. Wir wollen nur am Strand liegen, schlafen, essen, lesen, ganz entspannen“, antwortete Stefan.
Johnny kannte das Hotel gut. In den guten Zeiten war er öfter dort gewesen. Die Zimmer waren ziemlich teuer, aber die Qualität war top, wie viele andere Hotels dieses Niveaus in Kribi. Viele dieser Hotels könnten problemlos konkurrieren mit ähnlichen Hotels in Europa oder sonst wo. Ja man konnte alles haben. Es war nur eine Frage des Geldes und genau wegen des Geldes und des schönen Lebens ist er hierher nach Kribi gekommen.
Johnny lachte aber und dachte: die Europäer sind komisch. Wie kann man denn entspannen, indem man jeden Tag vom Hotel zehn Meter zum Strand geht, schwimmt, am Strand liegt, schläft, liest, isst und morgen wieder das gleiche tat, 14 Tage lang? Er konnte das nicht verstehen. Das war doch schlimmer, als zu arbeiten. „Ja schön für euch, aber das wäre nichts für mich, so auf diese Art mich zu entspannen. Ich brauche dazu Musik, Stimmung, Tanzen, Lachen, Sport, Bewegung, umschauen und selbstverständlich auch Intimität. Ihr versteht, was ich meine.“
„Ja Johnny, wir haben gemerkt, dass die Menschen in Kamerun solche Art von Urlaub nicht kennen bzw. nicht mögen und nicht bevorzugen. Ich habe festgestellt, dass meine kamerunischen Kollegen, wenn sie Urlaub machen lieber mit der ganzen Familie zu Opa, Oma, Eltern, Geschwistern, Bekannten, Freunden gehen. Sie entspannen, indem sie in Gruppen sind, und wir entspannen, indem wir allein sind. Komisch, gell?“, sagte Anna.
Günther nickte, er hatte Angst noch was auf den Kopf zu kriegen. Deswegen vermied er es, viel zu reden. Carla fügte zu Annas Aussage sehr idealistisch hinzu: „Ja, davon können wir Europäer eine Menge lernen und wieder sozialer sein. Wir werden in Europa immer einsamer und immer egoistischer. Jeder nur für sich, bzw. höchstens nur für seine sehr nahe Familie, Frau und Kinder, Papa und Mama. Punkt. Das finde ich nicht so gut.“
Der Bus hielt an einer Tankstelle, die links an der Kreuzung der Hauptstraße lag. Geradeaus würde man zum Fischmarkt und zu den Behörden kommen links fuhr man direkt in die Innenstadt.
Es war dunkel und man konnte kaum viel von der Stadt erkennen. Rechts aber sah man das Meer mit seinen Wellen, die bis nah an die Straße kamen. Sie waren am Atlantik.
An dieser Tankstelle stiegen die Leute aus, die in der Nähe wohnten oder Touristen, die ein Hotel am Meer gebucht hatten. Manche konnten zu Fuß zum Hotel gehen, manche mussten mit einem Taxi dahin und andere, meist die Leute aus Kribi, würden ein Mototaxi nehmen, um nach Hause zu kommen.
Einige Leute stiegen aus, auch die Deutschen, aber Johnny blieb im Bus. Er konnte kein Hotel hier am Strand in diesem Touristenviertel bezahlen. Er hatte so wenig Geld in der Tasche. Das reichte höchstens für zwei Tage in einem billigen Hotel in der Stadt. Er musste aber eine Erklärung finden für seine Freunde, warum er hier nicht ausstieg und es vielleicht in ihrem Hotel probierte.
Als ob Stefan ahnte, was in seinem Kopf vorging, schlug er vor: „Johnny, warum kommst du nicht einfach mit? Wir hatten 6 Zimmer reserviert, aber erst heute Morgen haben wir erfahren, dass die zwei anderen, die aus Yaoundé kommen sollten, vielleicht gar nicht da sein werden. Heute, morgen und übermorgen auf jeden Fall nicht. Aber die Zimmer müssen wir trotzdem zahlen. Das ist immerhin pro Zimmer 35 €.“
„Danke Stefan, gib mir deine Nummer, ich rufe dich später an und sag dir, wann und ob ich komme. Muss zuerst einen Freund treffen, der mich zum Abendessen erwartet. Danach sehen wir mal.“
Stefan gab ihm seine Nummer und sagte: „Auch wenn du nicht kommst bzw. nicht in unserem Hotel wohnen würdest, vergiss nicht unser Dinner. Darauf freue ich mich. Bin zwar so dünn, wie du siehst, aber das hat nichts mit Essensmangel zu tun. Ich liebe es kamerunisch zu essen. Das sind vielleicht die besten Gerichte der Welt. Gib mir auch deine Nummer. So bleiben wir in Kontakt.“
Johnny lachte ein bisschen geniert und sagte: „Meine Nummer hat Carla. Habe sie einfach in ihre Hosentasche gesteckt, ich melde mich. Gute Nacht.“ Der Bus rollte schon weiter.
Ja, tatsächlich, kurz bevor sie an der Tankstelle hielten, hatte er eine Karte aus seinem Portemonnaie rausgeholt und ohne Carla zu fragen in ihre enge Jeanstasche gesteckt. Dabei hatte er einen Finger ein bisschen „unabsichtlich“ viel weiter hineingesteckt, als nötig gewesen wäre und hatte sie mit dem Nagel beim rausnehmen des Fingers leicht, aber sehr deutlich gekratzt. Carla war so überrascht gewesen, dass sie nicht reagiert hatte. So etwas, so einen mutigen Mann hatte sie noch nie gesehen, sei es in Deutschland oder in Kamerun.
Johnny wusste, dass er eine Öffnung, eine Bresche in Carla geschlagen hatte. Die nächsten Tage bzw. die nächsten Stunden würden sehr bedeutsam sein für ihr Zusammenkommen.
Ja, Johnny musste ein einfaches, billiges Hotel suchen und morgen war ein anderer Tag. Er wollte schon am nächsten Tag eifrig auf die Suche gehen. Er musste unbedingt einen Job in einem Strandhotel, in dem viele Touristen verkehrten, finden.
Das Hotel, in dem die Deutschen waren, war top. Sauber, Klimaanlage, gute Bedienung usw. Nach dem Duschen und Abendessen ging jeder in sein Zimmer.
Carla lag im Bett, konnte aber nicht schlafen. Sie war durcheinander. Sie dachte an Johnny. Erst war er nett zu ihr, dann ignorierte er sie total, als ob sie was Falsches getan hatte oder sie ihm gar nicht gefallen würde und nun diese Karte. Sie war sich sicher gewesen, wenn eine die Karte bekäme, wäre es Anna. Sie hatte sich so toll mit ihm unterhalten.
Carla wusste spätestens als dieser Finger sie angeblich „unauffällig und unabsichtlich“ gepiekt hatte, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem schwarzen Mann schlafen würde. Es würde dazu kommen, ihre Hormone sagten ihr das und sie wusste auch, wie schade das war, weil sie auch zum ersten Mal in ihrem Leben, seitdem sie mit 16 ihren ersten Freund hatte, jemandem weh tun würde, vielleicht sogar musste. Sie würde fremdgehen. Diese Erkenntnisse machte sie so traurig, weckte Angst und Verzweiflung, aber machte sie auch sehr an. Ihr Freund sollte es nicht rausbekommen. Alles musste geheim und versteckt sein. Diese Gefühlsmischung löste in ihr eine heftige Erregung aus, die sie nie in dieser Form gehabt hatte. Sie zog ihre Beine fest zusammen, was zu einer Spannung der Muskel des Beckens und des Bauches führte. Sie seufzte und stieß einen unkontrollierten Schrei aus. Sie war total feucht. Sie hatte gerade einen Orgasmus bekommen ohne Fremdeinwirkung. Sie verstand ihren Körper nicht mehr. Hatte es mit Johnny als Person zu tun, oder damit, dass er schwarz war? Sie hatte sich vorher nie Gedanken darüber gemacht, ob jemand schwarz oder weiß war. Alles war immer so normal. Nun stellte sie sich seit zwei Stunden alle möglichen Fragen über schwarze Männer. Sie war wie verzaubert. Ihr Körper hatte schon längst entschieden. Sie wollte diesen schokobraunen Body streicheln, kratzen. Sie wollte diesen Körper auf sich, ihn spüren, egal was passierte. Die Konsequenzen würde sie später sehen. Sie konnte einfach nicht anders.
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