In der Loge genau gegenüber wurde ein Opernglas nicht auf die Bühne gerichtet, um die Kostüme zu studieren, sondern dazu benutzt, aus dem Halbdunkel heraus die Vorgänge in der Wildenbruch-Loge zu beobachten.
Madame de Treville hatte ihre Busenfreundin Müller-Gantermann in ihre Familienloge eingeladen und ihr eine interessant-anregende Extravorstellung versprochen. Dagmar-Schätzchen konnte dem nicht widerstehen.
„Sieh nur, wie gelassen sie tut und zur Bühne schaut, dabei hat sie den jungen Hengst bereits im Griff, wenn Du verstehst, was ich meine.”
„Ob ich verstehe, was Du meinst, Du schlimmes Geschöpf! Genau da, wo sie ihre Hand hat, hätte ich meine jetzt auch gern.”
Die Freundinnen kicherten leise auf.
„Der Junge hat schon die Augen geschlossen − kannst Du es sehen?”
Eleonore de Treville leckte sich die Lippen. Sie wußte, was kommen würde, denn sie hatte par distance den gleichen lustvollen Gedanken.
„Berenice wird bald etwas fallenlassen, und dann abtauchen, um ihn …”
„Sprich es nicht aus, ich bitte Dich, sonst kann ich mich nicht mehr beherrschen.”
„Oh, wie ungeschickt von mir“, schalt Berenice sich mit unterdrückter Stimme. „Jetzt sind mir doch tatsächlich die Bonbons heruntergefallen. … Bemüh’ Dich nicht, mein Lieber, ich mach’ das schon.”
Sie erhob sich, um sich im nächsten Moment zur Seite zu bücken und im Halbdunkel der Loge zu verschwinden. Einen Augenblick später seufzte Alexander leise auf, sog scharf seinen Atem ein, atmete durch die Nase aus und biß sich auf die Unterlippe. Berenice hatte gefunden, wonach es sie gelüstete.
*
Michael hatte sich fesch zurechtgemacht. Er wußte noch nicht, wie seine Partnerin für die nächsten Stunden aussah, wie sie auf ihn wirken würde. Er hoffte insgeheim, sie möge ihm auch privat gefallen, denn als rein mechanisch abarbeitender Jungfernheld war er sich in dem Moment doch etwas zu schade.
Auch die beiden sollten sich vor dem „Chez Alexandre” treffen. Michael bezog gerade Position, als er sie kommen sah. Er hatte nur eine vage Beschreibung erhalten, aber er wußte augenblicklich, daß sie es sein mußte.
Cecilia.
Sie stach unter all den Menschen, die den Platz vor dem großen Bistro belebten oder einfach nur vorbeiliefen, wie ein leuchtendes Signal hervor. Das Mädchen fiel auf, obwohl es das, von seiner Aufmachung her, selbst wohl eher verbergen wollte. Es hätte nur noch gefehlt, daß sie eine altmodische Hornbrille getragen haben würde. Sie kam näher und hatte Michael offenbar als ihr Rendezvous erkannt.
„Verzeihen Sie, sind Sie der Chevalier?” Sie sah ihn mit offenem Blick an, aber Michael bemerkte ihre Zurückhaltung dennoch. Ihr schien nicht wirklich wohl zu sein bei dieser Begegnung. Wer weiß, dachte Michael sich, was ihre Mutter ihr zur Einstimmung auf den Abend und eventuell gar die ganze Nacht an Instruktionen mitgegeben hatte. Er ahnte es nicht. Daß er bereits bezahlt worden war, erfuhr er sogleich.
„Ihre Agentin hat Sie uns vorhin so beschrieben, als Sie bei uns war.”
Die geschäftstüchtige Lou! Sie hatte nichts dem Zufall überlassen und die Peinlichkeit, daß das Mädchen das Geld hätte übergeben müssen, bereits ausgeschaltet.
„Zu Ihren Diensten, mein Fräulein”, verneigte sich Michael und nahm Cecilias Hand. Beider Händedruck war fest. Daß ihrer es war, überraschte ihn ein wenig. Er hatte mit einer gewissen Laschheit gerechnet. Den Handkuß vermied er in der Öffentlichkeit.
„Ich freue mich, daß wir uns gleich erkannt haben”, lächelte er sie an. „Wollen wir uns bei einem kleinen Aperitif im Bistro ein wenig unterhalten?”
Sie nickte, sagte aber nichts. Michael nahm sie bei der Hand und zog sie sanft mit sich.
Im Alexandre fand er zu dieser Stunde noch ein Plätzchen, das ihnen ein gewisses Maß an Intimität beim ersten Kennenlernen bot. Er rückte ihr einen Stuhl zurecht und nahm an dem kleinen Tisch genau ihr gegenüber Platz. Die Bedienung kam schnell, und er bestellte zwei Fruchtsaftcocktails mit etwas Armagnac, wenn es ihr recht sei. Cecilia nickte wieder − stumm.
Michael betrachtete sie. Nicht aufdringlich, aber ein freundliches Interesse signalisierend, das über oberflächliches Kennenlernen hinausging. Er wollte wissen, wen er vor sich hatte.
Cecilia war schwarzhaarig. Sie trug ihre rückenlangen, glatten Haare offen, in der Mitte gescheitelt. Er schätzte ihre Körpergröße auf nicht mehr als 1,74 m. Sie mochte 53, höchstens 54 kg wiegen. Ihre Haltung im Sitzen war gerade und nicht zusammengesunken. Sie hatte eine schöne Büste, aber sie war verhüllt. Cecilia trug ein kurzärmeliges buntes Sommerkleid, mit einem weißen Gürtel um ihre schmale Taille. Ihre schlanken nackten Füße steckten in weißen Pumps. Ihre Hände waren feingliedrig, sehr gepflegt, mit leicht spitz zugefeilten, klarlackierten Fingernägeln. Cecilia hatte schöne, schlanke Arme. Ihr Gesicht war entzückend hübsch, mit einer schmalen, schönen Nase, die sich immer wieder ein wenig kräuselte. Es war wohl ein Zeichen ihrer Nervosität. Ihre leuchteten Augen waren dunkelbraun und hatten einen leichten Schimmer von Traurigkeit. Michael hielt im Moment alle Männer, die dieses Mädchen bisher unbeachtet gelassen hatten, für ausgemachte Esel. Cecilia war zauberhaft. Und sie musterte Michael nicht weniger aufmerksam, als er sie.
Michael konnte nicht glauben, daß er tatsächlich eine Jungfrau vor sich haben sollte, wohlgemerkt eine Jungfrau, keine Sternzeichengeborene. Er wußte plötzlich nicht mehr sicher, wie ihr Status am nächsten Morgen sein würde, aber eines wußte er: sie müßte mehr aus sich machen. Da war eine Menge ungehobenes Potential. Sie müßte andere Klamotten bekommen. Cecilia war offensichtlich nicht geschminkt. Michael mochte allzu deutlich „angemalte” Mädchen und Frauen nicht, aber dezent die Optik zu betonen, das war auch nach seiner Ansicht nie verkehrt.
Da wurden die Cocktails gebracht, und er entschloß sich, den Abstand zwischen ihnen in einem ersten Schritt zu verringern. Er wußte ihren Vornamen und sie sollte seinen wissen. Michael hielt es für zu steif und unromantisch, ein Mädchen entjungfern zu sollen, das ihn selbst in Ekstase nur „Chevalier” nennen könnte. Mit reiferen Frauen würde ihm das vermutlich egal sein, da galt es nicht, eine echte Jungfernschaft zu erobern, aber hier lagen die Dinge anders.
Er erhob sein Glas, stieß mit Cecilia an und stellte sich noch einmal vor.
„Ich heiße Michael. Auf einen schönen Abend für Sie und uns beide.” Dabei sah er ihr fest in die Augen. Sie hielt inne und seinem Blick stand, trank dann aber doch und senkte ihre Augen. Beim Abstellen ihres Glases räusperte sie sich ein wenig. Sie war nervös. Michael gefiel das.
„Was …?” Sie sagten es gleichzeitig, sahen sich an und mußte beide lächeln. Michael empfand es als sehr angenehm, daß sie sich bereits ihr erstes Lächeln schenkten.
„Sie zuerst, Cecilia. Was möchten Sie wissen?”
„Was machen Sie beruflich, Michael?”
Der junge Graf war überrascht. Sie ging offenbar davon aus, daß er kein hauptberuflicher Gigolo war. Michael war plötzlich bereit, mit offenen Karten zu spielen, nur seinen vollständigen Namen würde er ihr nicht sagen. So gab er zu, zu studieren, wobei Cecilias Mimik sich deutlich aufhellte.
Ob er eine Freundin habe und ob er schon mit vielen Frauen geschlafen habe, wollte sie wissen.
Michael hatte Mühe, zu verbergen, wie baff er war. Das hörte sich nicht gerade nach schüchtern an. Die Frage war höchst indiskret, und er wußte von anderen Frauen, daß sie solch eine Frage für ausgesprochen dämlich hielten, aber er fand sie gar nicht so schlimm. Wie sollte sie auch wissen, ob er Erfahrung hätte. Die optische Alterseinschätzung kann da sehr irreführen. Aber was mochte ihre Mutter ihr gesagt haben, was an diesem Abend und der folgenden Nacht stattfinden sollte? Er schmunzelte, verneinte den ersten Teil ihrer Frage und bekannte, er könne es noch überblicken. Michael strich die Vorstellung, sein hübsches Gegenüber sei timide, er vermutete eher, daß sie einmal extrem enttäuscht worden sein müsse und sich daher verschlossen habe. Vielleicht war auch das der Grund, warum sie eher etwas bieder gekleidet war, statt aus ihrem Typ mehr zu machen. Dann erlebte er seine nächste, große Überraschung.
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