„Nicht böse sein, Süße. Aber ich habe auch noch was anderen vor.“
Jetzt dreht sie sich zu Hannah um, ihrer zweitjüngsten Schwester. Sie studiert Design und fühlt sich zwischen Anzugträgern ebenfalls unwohl. Sie umarmt Hannah ebenfalls. „Kein Problem, aber schön, dass du trotzdem gekommen bist.“ Sie schaut ihre Schwester an. Ihre schwarzen Haare trägt sie kurz und stoppelig, was ihr bei dem hübschen Gesicht auch sehr gut steht. Hannah hat eine ähnliche Figur wie sie, schlank und sportlich. Sie trägt eine helle Jeans mit einem rot-schwarzen Karohemd darüber. Ihre Füße hat sie in schwarze Boots gesteckt.
Auch Hannah schaut sie an, als ob sie heute etwas anderes erwartet hat. Kein Wunder, denn wenn es nur um den gewonnenen Fall gegangen wäre, hätte sie ihre Schwestern nie eingeladen.
Unbehagen steigt in ihr auf, was ihre Mutter sofort bemerkt. Sie hatte schon immer ein gutes Gespür dafür, wie es ihren Töchtern geht. „Dann bring uns doch noch zur Tür, Liebes. Ich denke nicht, dass wir noch auf Armin warten müssen, oder?“ Sie blickt zu seinen Eltern, die bestätigend die Köpfe schütteln.
Ihre Mutter geht voraus, und Vivienne bildet das Schlusslicht. Gerade will sie ihrer Mutter die Haustür öffnen, als diese von außen geöffnet wird und Armin und Stefan eintreten, jeder mit einem Kasten Bier bepackt.
„Ach, mein Junge, dann können wir uns ja doch noch von dir verabschieden. Wir wollen das Feiern lieber euch jungen Leuten überlassen. Noch mal herzlichen Glückwunsch.“ Liebevoll umarmt Angelika Armin, und er erwidert diese Geste auf die gleiche Weise, wenn nicht sogar noch inniger. Woran Vivienne erkennt, dass er die eine oder andere Nase schon gezogen hat. Arschloch!
„Danke Mutter, und kommt gut nach Hause.“ Armin nickt seinem Vater und ihren Eltern zu und schenkt ihren Schwestern zum Abschied ein Zwinkern. „Kommt alle gut nach Hause. Ich gehe mich mal wieder um meine Gäste kümmern.“
Und schwups ist er auch schon weg. Als ob seine Verlobte Luft für ihn wäre. Für Vivi ist es nur ein Zeichen, dass er genau weiß, was er verbrochen hat.
Zum Abschied umarmt sie alle noch mal, außer Armins Vater, da er Körperkontakt meidet. Hannah flüstert ihr ins Ohr, dass sie sie morgen anruft.
Seufzend schließt sie die Tür. Selbst Stefan, Armins bester Freund, hat sich schon aus dem Staub gemacht.
Bevor sie sich wieder in die Höhle des Löwen begibt, muss sie zur Toilette. Wobei sie eigentlich keine Lust hat, noch mal ins Wohnzimmer zu gehen, um zumindest ihre Freundinnen und ihren Bruder zu begrüßen.
Nachdem sie länger als nötig im Bad gewesen ist, um ihre brodelnde Wut zu beruhigen, steht sie wieder im Wohnbereich und schüttet sich ein Glas Champagner ein. Sie prostet sich selbst zu. Auf ihre Verlobung, haha. In einem Zug trinkt sie das Glas aus und stellt es wieder auf den Tisch.
Der Ring brennt sich durch ihre Hose an ihr Bein. Mittlerweile hat Armin Musik angemacht, und das Stimmengewirr ist lauter geworden. Das Gelache und Gegröle geht ihr tierisch auf die Nerven, und sie ist eigentlich ganz froh, dass sie auch jetzt noch niemand bemerkt hat. Ein bisschen ist sie enttäuscht, denn keine ihrer Freundinnen hält es für nötig, mal zu ihr zu kommen. Auch wenn Vivi sie eigentlich begrüßen wollte, genauso wie ihren Bruder, nur kann sie sich im Moment nicht dazu durchringen.
Aber wenn es ums Partymachen geht, sind die beiden nicht zu halten. Wahrscheinlich haben sie auch schon von dem weißen Zeug gekostet. Dann vergessen sie eh alles um sich herum. Verübeln tut sie es ihnen nicht, sie macht es selbst oft genug, um den Alltag mal hinter sich zu lassen.
Vivienne braucht dringend eine Zigarette und geht an ihrem Flachbildschirm vorbei, um auf die große Dachterrasse zu treten. Sie raucht nur selten, meistens am Abend, und das auch nicht immer. Aber jetzt braucht sie ganz dringend eine.
Sie geht zu der Ecke der Terrasse, die sie mit einem rot-weißen Strandkorb ausgestattet und davor ein kleines Tischchen gestellt hat. Hier sitzt sie am liebsten. Ihre Terrasse ist von außen nicht einzusehen, da sie erstens höher liegt als alle anderen Häuser und zweitens von einer hüfthohen Steinmauer umgeben ist. Davor hat Vivi Blumenkübel bepflanzt. Eine Aufgabe, die sie nach der Arbeit beruhigt. Neben dem Strandkorb stehen zwei Liegen zum Sonnen. Auf der anderen Seite der Terrasse steht ein großer grauer Gartentisch mit Stühlen.
Nach ihren Zigaretten greifend setzt sie sich in den Korb. Sie hofft, dass sie noch länger allein ist, wobei der ein oder andere zum Rauchen schon hier draußen war, was sie an den vielen Kippen im Aschenbecher erkennt.
Tief inhaliert sie den Qualm, um ihn gleich darauf geräuschvoll wieder auszupusten.
Immer noch kann sie kaum begreifen, was Armin heute abgezogen hat. Und sie dann auch noch zu ignorieren, ist ja wohl die Höhe. Die Wut kocht wieder hoch, sie würde am liebsten zu ihm reingehen und ihm eine klatschen.
Zu ihrer Schande muss sie gestehen, dass sie schon immer gern zugeschlagen hat, dass sie, obwohl sie eine einfühlsame Familienanwältin ist, auch sehr temperamentvoll sein kann. Sie neigt tendenziell zwar nicht dazu, zuzuschlagen, aber Armin hat sie einmal so sehr zur Weißglut getrieben, da hat sie das erste Mal die Hand gegen ihn erhoben …
Sie waren auf einer Party gewesen, wie so oft am Wochenende, und hatten sich ordentlich abgeschossen. Zu diesem Zeitpunkt waren sie zwei Monate zusammen. Armin war schon immer ein Womanizer und hatte ein nettes, aufgeschlossenes Wesen. Er meinte zwar immer, nicht mit den jungen Frauen zu flirten, was sich für Vivienne aber immer so anfühlte.
Sie stand mit ihren Freundinnen rauchend auf der Terrasse und beobachtete Armin, wie er mitten im Wohnzimmer zwischen den anderen tanzte und dabei immer wieder einer Blondine zuzwinkerte, die dann mit wackelnden Hüften auf ihn zugeschlendert kam.
Strahlend hatte er sie angelächelt und ihr seine Hände auf die Hüften gelegt, die weit ausgeprägter waren als ihre eigenen. Hinzu kam, dass sie auch noch zehn Zentimeter größer war als Vivi. Die Blondine, die Vivienne nicht mit Namen kannte, hatte sie schon öfter gesehen, wie sie auf Partys ein Auge auf Armin warf.
Wenn sich Vivienne auch sonst nicht für Typen auf Partys interessierte, hatte sie sich für den einen entschieden und sich auch noch so schrecklich in ihn verliebt, dass sie schnell besitzergreifend und eifersüchtig wurde. Mit Haut und Haaren war sie ihm verfallen. Keine Tussi durfte ihren Armin angraben und in diesem Fall auch noch antatschen. Denn genau das tat dieses Mädchen. Und Armin? Genoss diese Scheiße auch noch! Drückte seine Lenden an ihre und vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Eng umschlungen bewegten sie sich zum Takt der Musik.
Die Schickse trug ein rotes eng anliegendes Minikleid, was ihre Kurven deutlich hervorhob. Seine Finger krallte er genau in diese hinein.
Eifersucht brannte sich wie Säure durch ihren Körper. Sie war so wütend geworden und wollte gerade auf die beiden losstürmen und auf sie losgehen, um sie auseinanderzuziehen und der Tussi ordentlich eine reinzuhauen, da wurde sie an ihrem Oberarm festgehalten.
„Nicht, Vivi. Du würdest dich nur lächerlich machen. Zudem ist Armin total voll.“ Durch einen Schleier hörte sie ihre Freundin Lea.
Miss Rotkleids Hände wanderten zu Armins Po, um sie hineinzukrallen und ihn noch näher an sich zu ziehen.
Vivienne begann vor Wut zu zittern und wollte sich von Lea losreißen. So bloßgestellt hatte sie noch niemand. Was fiel diesem Arsch eigentlich ein? Sie auf dieser Party so vorzuführen, wo doch jeder wusste, dass sie zusammen waren. Fehlte nur noch, dass er diese Schlampe küsste!
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