„Er wurde verwundet“, gab der Herzog vorsichtig Auskunft.
„In einem Duell, Euer Gnaden?“
„Ja, Hawkins, ganz recht, in einem Duell.“
Das Pferd, das der Herzog zu satteln befohlen hatte, wurde, Sekunden ehe er die Treppe herunterschritt, vor den Eingang gebracht.
Lord Tring war ebenfalls bereit.
Er sah noch immer bleich und mitgenommen aus, aber er hatte seine Haare in Ordnung gebracht und seine Krawatte zurecht gerückt. Der Herzog wußte, daß der junge Mann sich nun zusammengerissen hatte wie vor einem zu erwartenden Gefecht.
„Sollen wir Richard in einem Ihrer Wagen hierher schaffen, oder sollen wir eines meiner Gefährte nehmen?“ fragte der Herzog.
„Meine Wagen stehen zu Ihren Diensten, Sir.“
„Sehr schön. Lassen Sie ein Gefährt anspannen, sobald wir ankommen.“
Sie ritten die von Eichen gesäumte Auffahrt entlang, passierten die großen Tore mit den vergoldeten Spitzen und den Pförtnerhäuschen zu beiden Seiten.
Nachdem sie die Landstraße überquert hatten, ritten sie querfeldein auf direktem Weg auf Tring Castle zu.
Da beide hervorragende Reiter waren und ganz ausgezeichnete Pferde hatten, hörte man unterwegs nichts als das Donnern der Hufe, und die Meilen zwischen den beiden Herrensitzen schmolzen rasch dahin.
Der Mond beleuchtete den Weg und tauchte das alte Schloß, an dem so viele Generationen gebaut hatten, in ein romantisches Licht.
Aber hinter diesen ehrwürdigen, alten Mauern war nun etwas Grausiges und Schändliches geschehen, ein Skandal, den es um jeden Preis zu vertuschen galt.
Ein Duell galt zwar als ehrenhafte Art, einen Konflikt aus der Welt zu schaffen, doch für Mord an einem verheirateten Mann wurde die Todesstrafe verhängt.
Der Herzog wollte nicht, daß Richard für ein Verbrechen büßte, das offensichtlich einzig und allein auf das Konto einer Frau ging, die ihn noch am Verlobungsabend betrogen hatte.
Vor dem Portal angekommen, ließ Lord Tring sich eilig aus dem Sattel gleiten, während der Herzog darauf bedacht war, in aller Ruhe abzusitzen, um den Eindruck von Gelassenheit zu erwecken.
In der großen Eingangshalle warteten zwei Lakaien, die sich beeilten, den Ankömmlingen Hüte und Reithandschuhe abzunehmen.
Lord Tring trug eine abwartende Haltung zur Schau, als bedürfe er für sein weiteres Vorgehen der Anweisungen des Herzogs.
„Wollten Sie nicht einen Wagen vorfahren lassen?“ erinnerte ihn der Herzog.
„Ja, natürlich!“ versicherte Lord Tring.
Er gab die entsprechenden Anordnungen, worauf einer der Lakaien eilig zu den Stallungen lief. Nun erst schritt der Herzog die Treppe hinauf, geleitet von Lord Tring, der ihn zu dem breiten Flur führte, von dem die Herrschaftszimmer abgingen.
Der Herzog fand es überaus geschmacklos, daß man Lady Delyth den Raum überlassen hatte, der der Mutter Lord Trings bis zu ihrem Tod als Schlafzimmer gedient hatte.
Dieser Raum gehörte zu den Sehenswürdigkeiten des Schlosses. Königin Elisabeth sollte während einer ihrer Reisen durch das Land darin übernachtet haben. Man erzählte sich, daß die Vielzahl ihres Gefolges und der Prunk der ihr zu Ehren veranstalteten Festlichkeiten ihre Gastgeber an den Rand des Ruins gebracht hätten.
Lord Tring klopfte an und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Delyth Maulden saß in einem verführerischen Negligé an ihrem Frisiertisch und betrachtete sich im Spiegel.
Das lange, schwarze Haar fiel ihr lose über die Schultern. Ihr Gesicht, das, wie der Herzog sich unwillig eingestehen mußte, hinreißend schön war, wirkte vollkommen beherrscht.
Sir Joceline, den eine Kugel mitten ins Herz getroffen hatte, lag auf dem Bett.
Ohne Lady Delyth weiter zu beachten, trat der Herzog ans Bett, um den Toten näher in Augenschein nehmen zu können.
„Sie müssen ihn ankleiden lassen“, wies er Lord Tring an.
„Dann lassen Sie ihn hinaus auf den Gang schaffen. Laken und Überzüge müssen vernichtet werden. Ihr Kammerdiener muß das erledigen, ohne daß irgend jemand im Haus etwas davon bemerkt.“
Der Herzog wandte sich zum Gehen.
„Ich möchte jetzt Richard sehen.“
„Ja, natürlich“, gab Lord Tring zurück.
„Haben Sie mir denn nichts zu sagen?“ warf Lady Delyth ein.
Der Herzog hielt inne. Nach kurzem Überlegen antwortete er ihr: „Sie werden aussagen, daß auf dem Flur ein Duell stattfand, ein Zweikampf zwischen zwei Herren, die beim Abendessen dem Alkohol zu reichlich zugesprochen hatten.“
Er ließ eine Pause eintreten, ehe er fortfuhr.
„Sie waren zu diesem Zeitpunkt angekleidet. Der Streit begann, als Sie gemeinsam mit den Herren die Treppe hinaufgingen. Der Anlaß war eine Nichtigkeit - sagen wir, ein Streit darüber, wer beim morgigen Ausritt Ihr Begleiter sein würde.“
Der Herzog sah sie eindringlich an, als er weitersprach: „Eines muß Ihnen klar sein: Ich erfinde diese Geschichte keinesfalls, um Ihren Ruf zu retten, sondern nur, um Richard davor zu bewahren, wegen Mordes angeklagt zu werden.“
„Er ist ein hysterischer Narr, weiter nichts!“ rief Lady Delyth geringschätzig aus.
„Da gebe ich Ihnen recht“, erwiderte der Herzog. „Und dazu völlig mit Blindheit geschlagen. Ansonsten hätten ihm die Augen darüber aufgehen müssen, was Sie eigentlich sind - eine Dirne!“
Seine Worte wirkten wie ein Peitschenschlag. Er machte energisch kehrt und verließ das Zimmer, gefolgt von Lord Tring.
Sie betraten nun den Raum, in den man Richard gebracht hatte. Der Herzog sah seinen Neffen angezogen auf dem Bett liegen. Sein Hemd war offen, und man sah, daß er einen Brustverband trug.
Richard war erschreckend bleich. Der Herzog legte ihm seine Hand auf die Stirn und fühlte, daß sie heiß war. Den Pulsschlag konnte er ebenfalls spüren, wenn auch nur schwach.
„Ich werde ihn mit zu mir nach Hause nehmen“, sagte er zu Lord Tring. „Sobald ich weg bin und Sir Jocelines Leiche bekleidet ist, reiten Sie schleunigst zum obersten Sheriff. Er war mit Ihrem Vater befreundet. Bestimmt wird er alles tun, was in seiner Macht steht, um Ihnen zu helfen.“
„Ich werde tun, was Sie sagen. Ich danke Ihnen Sir.“
Der Respekt in seiner Stimme war nicht zu überhören. Lord Tring hatte das Gefühl, sein militärischer Vorgesetzter habe sein Problem gelöst, wie so oft schon in der Vergangenheit.
„Sie müssen darauf achten, daß Ihre Aussagen mit denen von Lady Delyth übereinstimmen. Was Sie sagen, ist dabei nicht so wichtig, weil keiner der beiden Kontrahenten Ihnen widersprechen wird.“
Sein Ton war schroff, denn er hatte Richards Verwundung als sehr schwerwiegend erkannt. Es bestand sogar die Gefahr, daß dieser an der sich selbst zugefügten Verwundung sterben würde.
Obwohl ein Transport nicht ganz ungefährlich war, wollte der Herzog Richard unbedingt in Hawkins Pflege geben.
Zwar war auch Harris, der Kammerdiener Lord Trings, mit seinem Herrn im Krieg gewesen, doch Lord Tring war noch jung, und so war der Herzog davon überzeugt, daß auch sein Kammerdiener weniger Erfahrung in der Krankenpflege hatte als Hawkins. Hawkins diente dem Herzog immerhin schon seit zehn Jahren.
„Würden Sie wohl nachsehen, ob der Wagen schon vorgefahren ist?“ fragte der Herzog laut. „Wenn alles bereit ist, können wir Richard herunterschaffen. Noch etwas, Tring: Wenn der Sheriff kommt und Gadsbys Leichnam untersucht, dann muß dieser eine Duellpistole in der Hand halten, aus der vor kurzem ein Schuß abgegeben wurde. Ist das klar?“
„Sie denken aber auch an alles, Sir!“ rief Lord Tring voller Bewunderung aus.
„Ich versuche es wenigstens“, erwiderte der Herzog.
Auf der langsamen Rückfahrt über gewundene Landstraßen hatte der Herzog mit dem Rücken zum Kutscher im Wagen Platz genommen.
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