Aus eigener Anschauung wußte er, daß der Herzog, der nur allzu gern genoß, was die Gunst einer Schönen ihm bot, seinerseits nichts zu geben bereit war.
Zwar mangelte es ihm nicht an Großzügigkeit, ganz im Gegenteil, doch die Frauen, die ihn liebten, gaben sich mit Diamanten und Perlen nicht zufrieden, sie wollten sein Herz.
Nie aber hatte er einer Frau erlaubt, es zu besitzen.
Der Herzog erhob sich, so als hielte er das Thema für erledigt. Sein Glas mit dem Brandy hatte er nicht angerührt.
Der Major stand ebenfalls auf. Gemeinsam gingen sie die breiten, mit herrlichen Gemälden geschmückten Gänge entlang in die große Bibliothek, in die der Herzog sich mit seinen engsten Freunden zum Gespräch zurückzuziehen pflegte.
Die großen, behaglichen Sessel, dazu als Hintergrund die Bücherreihen, die den Neid jedes Gelehrten erweckt hätten, die reich verzierte Decke, sowie der mit einer vergoldeten Balustrade versehene Balkon in Etagenhöhe - das alles zusammen bot ein Bild, das dem Auge wohltat.
Für den Major war die Bibliothek einer der schönsten Räume, die er je gesehen hatte, und sie schien ihm der passende Hintergrund für den Herrn des Hauses zu sein.
Der Herzog ließ sich in einem Sessel vor dem steinernen Kamin nieder, welcher zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts aus Italien herbeigeschafft worden war.
Im Kamin brannte ein Feuer, denn die Mainächte waren noch ziemlich kühl.
Der Major hatte sich vor das Feuer gestellt.
„Weißt du, Nolan, ich bedaure, daß ich dir eine schlechte Nachricht überbringen mußte. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte nichts gesagt und du hättest es mit der Zeit selber herausgefunden.“
„Mir ist lieber, ich habe es von dir erfahren als von jemand anderem.“
„Ich hoffte, du würdest das sagen.“
„Wenigstens können wir beide ganz aufrichtig miteinander sein“, meinte der Herzog. „Wir wissen beide, daß Richard bald die Hölle auf Erden haben wird, wenn er Delyth heiratet.“
„Ja, weil er sie liebt.“
„Das sage ich doch! Richard ist vertrauensselig und idealistisch.“ Der Herzog ließ eine Pause eintreten, ehe er mit zynischer Miene fortfuhr: „Als ich in Richards Alter war, hatte ich längst keine Ideale mehr.“
„Und warum nicht? Was war denn passiert?“
„Das werde ich weder dir noch irgend jemand anderem sagen. Jedenfalls kann ich gut verstehen, was er durchmachen wird.“
„Und siehst du eine Möglichkeit, das zu verhindern?“
„Es muß einfach eine Möglichkeit geben!“
Drei Stunden später waren sie nicht viel weiter gekommen, von welcher Seite sie die Sache auch betrachteten. An andere Gesprächsthemen war nicht zu denken, unweigerlich kamen sie immer wieder auf Delyth Maulden und ihre neueste Eroberung zurück.
Delyth hatte ihre Verführungskünste nämlich auch an ihnen ausprobiert.
Der Herzog hatte sich immun gezeigt; die Verlockung ihrer großen Augen und ihrer roten Lippen hatte ihm nichts anhaben können.
Major Haverington war weder reich noch von hohem Rang, darum hatte sich Delyth mit ihm nicht allzu viel Mühe gegeben.
Eigentlich hatte sie damals auf Tring Castle, auf der Gesellschaft, von der der Major gesprochen hatte, nur ein wenig mit ihm getändelt.
Der Major konnte sich genau erinnern, wie bezaubernd sie im Mondlicht ausgesehen hatte, als er sie auf ihren nachdrücklich geäußerten Wunsch hin auf die Terrasse geführt hatte.
Delyth hatte ihn unter ihren langen Wimpern hervor angesehen, und als sich beide über die Balustrade lehnten, war sie ganz nahe an ihn herangerückt, so daß er den verführerischen Duft ihres Haares und das tiefe Dekolleté ihres Abendkleides bemerken mußte.
Er war ihr um ein Haar erlegen und hatte sich ihren Erwartungen entsprechend benommen, doch eine Salve betrunkenen Gelächters aus dem Raum hinter ihnen hatte den Major gerettet.
Fest entschlossen hatte er sie wieder zu ihren Freunden zurückgeführt, obwohl ihr das gar nicht gefiel. Später zeigte sich, daß er sie sich damit zu einer unerbittlichen Gegnerin gemacht hatte.
Die Kaminuhr schlug die volle Stunde, und der Major blickte auf: „Es ist ein Uhr! Wenn du morgen so früh wie üblicherweise mit mir ausreiten willst, dann gehe ich jetzt lieber ins Bett!“
„Gute Idee“, bemerkte der Herzog. „Wir haben heute Abend geredet und geredet und sind der Lösung des Problems keinen Schritt näher gekommen.“
„Vielleicht fällt mir ja im Traum etwas ein“, meinte der Major scherzend, „aber sehr wahrscheinlich ist es wohl nicht.“
Auf dem Weg zur Tür merkte er, daß der Herzog keine Anstalten machte, ihm zu folgen.
„Bleibst du noch auf?“ fragte er.
„Ja, eine Weile. In der Armee mußte ich mit ein paar Stunden Schlaf auskommen. Diese Gewohnheit habe ich beibehalten, besser gesagt, es fällt mir schwer, sie aufzugeben.“
Der Major gähnte.
„Nun, was mich angeht, ich bin müde. Gute Nacht, Nolan.“
„Gute Nacht, Bevil.“
Kaum hatte sich die Tür hinter seinem Gast geschlossen, nahm der Herzog eine Zeitung zur Hand, die auf dem Hocker vor dem Kamin gelegen hatte.
Er blätterte die ,Times' auf, legte sie jedoch gleich darauf auf seinen Schoß und verfiel ins Sinnieren.
Wie konnte er Richard nur davon überzeugen, daß er im Begriff stand, den größten Fehler seines Lebens zu begehen?
Der Junge war für ihn so etwas wie ein Rekrut, dem man noch alles beibringen mußte. Sein Beschützerinstinkt meldete sich, ein Gefühl, das er vielen jungen Männern entgegengebracht hatte, die aus England gekommen waren und unter ihm in Portugal gekämpft hatten.
Sie fürchteten den unbekannten Feind und den Tod, noch mehr aber fürchteten sie, in den Augen der Kameraden feige zu erscheinen.
Er erinnerte sich, wie er sich unter seine Soldaten gemischt hatte, wie er mit ihnen gesprochen, sie ermutigt, ihnen Kraft gegeben hatte. Ein Rekrut mußte Befehlen gehorchen.
Richard dagegen war ein freier Mensch.
Der Herzog sah sich nachdenklich um. Wie schön die Bibliothek war, und wie friedlich.
Um keinen Preis konnte er zulassen, daß die Gesellschaft, mit der Delyth Maulden sich umgab, sein Haus in einen Rummelplatz verwandelte, wie er es des Öfteren in anderen Herrenhäusern beobachtet hatte.
Die Zügellosigkeit der jungen, reichen Nichtstuer, die seit der Jahrhundertwende ständig zugenommen hatte, war von den gesetzteren Mitgliedern der Gesellschaft scharf kritisiert worden.
Sie hatten aber mit ihrer Kritik nicht viel ausrichten können, denn der Prinz von Wales selber hatte dieses Verhalten gefördert, bevor er Prinzregent wurde.
Mit den Jahren war er zwar mäßiger und vorsichtiger geworden, doch die lange Reihe seiner nunmehr ältlichen Geliebten wurde von den Karikaturisten immer noch unbarmherzig gegeißelt.
Die Gesellschaft hatte einen Lebensstil entwickelt, den zu ändern nun sehr schwierig war. Einige der jungen Edelleute legten ein Benehmen an den Tag, das den Herzog wünschen ließ, sie seinem Befehl unterstellt zu sehen, damit er ihnen mit gehöriger Strenge, versteht sich, Lebensart und Manieren beibringen könnte.
Delyth Maulden nun galt als Anführerin einer ganzen Schar schöner junger Frauen, die unter Mißachtung ihrer weiblichen Rolle an wilden Gesellschaften, wahnwitzigen Eskapaden und Ausschweifungen teilnahmen, die in der Vergangenheit ausschließlich Schauspielerinnen und Prostituierten vorbehalten gewesen waren.
Und sie sollte die zukünftige Herzogin von Kingswood sein!
Delyth Maulden wußte nur zu gut, daß eine Ehe mit Richard ihr manche bis dahin verschlossene Tür öffnen würde und daß man sie als Herzogin von Kingswood sogar in Kreisen willkommen heißen mußte, die ihr bisher die kalte Schulter gezeigt hatten.
„Herzogin von Kingswood!“
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