1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 John bezog das andere Gästezimmer, Marcos altes Kinderzimmer. In dem Moment, als er einschlafen wollte, klopfte es an der Tür. Toni stand davor und winkte John zu, ihm zu folgen. In der Küche saß Marco mit einem Drink in der Hand und wartete bereits auf die beiden. Marco hatte ein paar Cantuccini gebacken, das Aroma von gerösteten Mandeln war köstlich. Die Küche hatte sich völlig verändert. Überall standen technisches Gerät und Monitore. Vor dem Küchenregal stand ein Flipchart, und die beiden hatten schon einige Mindmaps gezeichnet. Nur der Herd musste frei bleiben, damit Marco „denken“ konnte.
Toni begann, auf einem der Laptops Befehle einzugeben, und über einen Beamer, den John nicht einmal bemerkt hatte, wurde eine Projektion an die gegenüberliegende Küchenwand geworfen. Als Erstes tauchte Johns Auszug aus dem Grundbuchamt auf.
„Das war unser Ausgangspunkt“, führte Toni aus. „Wir haben uns die Firma etwas näher angesehen. Eigentümer, Historie, Beteiligungen und die letzten Steuerunterlagen sowie Geschäftsberichte und Konten, in diesem Fall gab es nur eines. Auf den ersten Blick alles unauffällig, würde man meinen. Wir haben solche Untersuchungen schon oft gemacht. Wenn man weiß, wo man suchen muss, findet man aber Erstaunliches. Das Grundkapital besteht aus lediglich 50 000 Dollar, der Eigentümer ist seit 30 Jahren der gleiche, und die letzten Steuerzahlungen gehen nahe null. Die Umsätze der letzten Jahre lagen im niedrigen sechsstelligen Bereich. Der Geschäftszweck ist die Beratung von Transportfirmen im Baugewerbe. Alle Aufträge kommen von nur zwei Firmen, die wiederum alle beide einer der großen Mafiafamilien in New York zugeschrieben werden. Alles gut verschleiert über Zwischenhändler. Wir sind den Geldströmen gefolgt und konnten daher genau herausfinden, wie die Firma das Geld für den Hauskauf zusammenbekommen hat. Sechs Transaktionen je 80 000 Dollar und der Rest in vielen kleinen Chargen. Alle am selben Tag auf dem Geschäftskonto angekommen. Ergeben ziemlich genau die eine Million Dollar. Einfach war es nicht, aber auch nicht zu schwer, weil vier Wochen vorher nichts auf dem Konto passiert ist.“
John war verblüfft, in welcher Geschwindigkeit Toni die Fakten zusammengetragen hatte.
„Absender des Geldes waren eine kleine Baufirma in Jersey und zwei Betonfirmen, ebenfalls in Jersey beheimatet. Beide Firmen gehören der Mafia, würde ich vermuten, angeblich für Beratungsleistungen im letzten Jahr.“
John ließ das auf sich wirken.
„Ihr meint also, Bridgewater and Partner ist nur eine Tarnfirma?“
Marco ging an den Laptop, und nach wenigen Klicks erschien auf der Leinwand ein neues Bild. Es zeigte drei Männer. Einen davon erkannte John sofort, den unfreundlichen, italienischsprechenden Mann aus dem Büro von Bridgewater. Die anderen beiden kannte John nicht, die Namen sagten ihm auch nichts.
„Darf ich vorstellen?“, begann Toni, „Signor Giovanni Botazzo sowie der ehrenwerte Andrea Botazzo, beide gehören dem Belaqua Clan an. Sie sind in Dutzenden Firmen als Geschäftsführer eingetragen, und es gilt als offenes Geheimnis, dass sie exklusiv für Giancarlo Maria Belaqua arbeiten. Man ist ihnen schon seit Jahren auf den Fersen, aber beide sind blütenweiß, selbst die Steuerbehörde hat nichts finden können. Ich schlage vor, wir überspringen die zwei und konzentrieren uns auf das Oberhaupt der Familie, Giancarlo Belaqua.“
Marco schaute John an.
„Wir haben schon darüber diskutiert. Wenn wir uns an die zwei Strohmänner heranmachen, wirbeln wir jede Menge Staub auf, wir müssten einen von beiden entführen und verhören, damit wir einen Schritt weiterkommen. Dann haben wir immer noch eine 50-prozentige Chance, dass wir den Falschen erwischt haben – und im schlimmsten Fall wissen wir danach nicht mehr als vorher. Wer sicher etwas weiß über die Hintergründe, ist immer der Kopf der Familie.“
John versuchte, das Gehörte zu verarbeiten.
„Leute, mir sitzt die Polizei im Nacken, keine Ahnung, wie lange ich hier noch frei herumlaufen kann, für die ist der Fall längst geklärt. Je schneller wir Antworten bekommen, umso besser, dann können wir der Polizei einen neuen Verdächtigen liefern oder wenigstens neue Indizien“, sagte John.
John musste an seine Familie denken und bleierne Schwere befiel ihn.
Toni, der aufmerksam zugehört und die Gemütsveränderung bei John bemerkt hatte, legte die Arme auf den Tisch, wobei jede Menge Tätowierungen zum Vorschein kamen, und sprach ruhig und sachlich wie ein Profi.
„Lass den Kopf nicht hängen, wir helfen dir. Das heißt, wir schnappen uns Giancarlo!“
Alle nickten. John fühlte sich unwohl in seiner Haut und hatte das Empfinden, sein altes Leben endgültig hinter sich zu lassen.
Er hatte keinen Grund mehr, so weiterzumachen wie bisher, alles, wofür er gelebt hatte, war weg. Seine Familie, sein einziger, wirklicher Lebensinhalt war ihm genommen worden, sein Sohn, sein Erbe und der Mensch, für den er alles aufgebaut hatte, war nicht mehr auf dieser Welt. Seine Frau, die ihn immer wieder aufs Neue begeistert hatte mit ihren Ideen und ihrer erfrischenden Sichtweise selbst auf Alltäglichkeiten, würde ihn nicht mehr inspirieren können.
John spürte, dass die beiden anderen ihn beobachteten und eine Entscheidung erwarteten. Schließlich war er es, der ihre Hilfe benötigte, und wenn Marco und Toni den nächsten Schritt unternahmen, war klar, man begab sich in die Dunkelheit und verließ den Pfad ehrlicher Bürger.
Beide würden nicht zögern, zu foltern oder zu töten, beide waren schon häufig in Situationen gewesen, in die normale Menschen niemals kommen würden. Marco und Toni waren sich darüber im Klaren, dass es von jetzt an keinen Weg zurück geben würde. John kam aus einer anderen Welt, ohne Gewalt, ohne Mord und ohne die Gefahr, täglich sein Leben aufs Spiel zu setzen. Alle drei würden zu gesuchten Verbrechern, und nicht nur die Polizei würde sie jagen – das gesamte organisierte Verbrechen von New York würde sich an ihre Fersen heften. Für John begann mit dieser Entscheidung ein neuer Abschnitt seines Lebens, ein dunkler Teil, er wusste, es gab von nun an kein Zurück mehr. Konnte er von seinen beiden Freunden verlangen, diesen Weg mitzugehen?
„Ich weiß das wirklich sehr zu schätzten, was ihr für mich tun wollt. Ich kann euch da aber nicht mit reinziehen. Wenn was schiefgeht und ihr geschnappt werdet, könnte ich mir das nicht verzeihen. Sorry, Jungs, aber ich muss das allein durchziehen!“
Toni und Marco schienen sichtlich überrascht.
„Mach dir mal keine Sorgen um uns, wenn es hart auf hart geht, laufen wir erst zu Höchstform auf. Du weißt, when the going gets tough, the tough get going. Und falls wider Erwarten etwas nicht funktionieren sollte: Wir sind für solche Fälle bestens vorbereitet. Berufsbegleitende Vorsicht.“
John stellte sich vor die Leinwand und sagte: „Vielen Dank, es bedeutet mir sehr viel, ich weiß gerade wirklich nicht, wo mir der Kopf steht, ohne Hilfe bin ich verloren, fürchte ich. Wie gehen wir vor, habt ihr euch da auch schon was ausgedacht?“
„Die Jagd kann beginnen, noch heute Abend legen wir los! Wir müssen unseren Freund nur noch ein paar Tage beobachten, dann schlagen wir zu!“
John ging auf die beiden zu und schloss sie kurzerhand in seine Arme.
Kurz darauf servierte Marco mit einem zufriedenen Lächeln die Panna cotta mit Himbeerpüree und stellte wortlos eine Flasche Grappa auf den Tisch.
Der Kontakt, New York, Frühling 2015
Die finanziellen Sorgen ließen Ronald an diesem Morgen früher als gewöhnlich aufstehen: Er hatte schlecht geschlafen und schlecht geträumt. Seine letzte große Hoffnung war der Kontaktmann in die Unterwelt. Den Anruf wollte er auf keinen Fall verpassen, und so saß er bereits gegen neun Uhr an seinem Schreibtisch.
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