Der »Friendship Store« erschien uns, was den Kondomkauf anging, recht vielversprechend, nur hatten wir mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen, unsere Kaufabsicht zu verdeutlichen. Von Ladentisch zu Ladentisch zogen wir durch das weitläufige Mammut-Kaufhaus, das aus vielen einzelnen Kabinen, Verkaufsständen und Ladentischen besteht, aber niemand konnte uns weiterhelfen.
Wir begannen an den Ständen, die aussahen, als ob sie medizinische Artikel verkauften, hatten aber kein Glück. Als wir die Stände erreicht hatten, deren Angebot sich aus Buchstützen und Eßstäbchen zusammensetzte, wußten wir, daß wir eine Niete gezogen hatten, aber schließlich fanden wir doch noch eine junge Verkäuferin, die englisch sprach.
Wir versuchten ihr zu erklären, was wir wollten, schienen allerdings ziemlich schnell an die Grenzen ihres Vokabulars zu stoßen. Ich holte mein Notizbuch heraus und zeichnete sehr sorgfältig ein Kondom auf, einschließlich des kleinen Zusatzballons am Ende. Sie betrachtete es stirnrunzelnd, begriff aber noch immer nicht. Sie brachte uns einen Holzlöffel, eine Kerze, eine Art Flaschenöffner und überraschenderweise ein kleines Porzellanmodell des Eiffelturms, bevor sie sich schließlich geschlagen gab.
Ein paar andere Mädchen vom Stand versammelten sich hilfsbereit um uns, mußten vor unserer Zeichnung aber ebenfalls die Waffen strecken. Schließlich nahm ich all meinen nichtvorhandenen Mut und gab eine mimische Darstellung der damit verbundenen Aktivität, und endlich fiel der Groschen.
»Ah!« sagte das erste Mädchen und grinste übers ganze Gesicht. »Ah ja!« Sie strahlten uns alle vergnügt an, als sie endlich begriffen.
»Haben Sie es verstanden?« fragte ich.
»Ja! Ja, ich verstehe.«
»Haben Sie welche da?«
»Nein«, sagte sie. »Haben nicht.«
»Oh.«
»Aber, aber, aber...«
»Ja?«
»Ich dir sagen, wohin du gehen, okay?«
»Haben Sie vielen Dank. Danke sehr.«
»Du gehen Nanking Road 616. Okay. Da haben. Du fragen nach ›Übergummi‹. Okay?«
»Übergummi?«
»Übergummi. Du fragen. Sie haben. Okay. Du schönen Tag.«
Dabei giggelte sie fröhlich hinter vorgehaltener Hand.
Wir dankten ihnen noch einmal überschwenglich und machten uns unter viel Gewinke und Gelächle auf den Weg. Die Nachricht schien sich in Windeseile verbreitet zu haben, und alle winkten uns zu. Sie waren offenbar ganz fürchterlich erfreut, daß wir sie gefragt hatten.
Als wir in der Nanking Road 616 ankamen – ein weiteres kleineres Kaufhaus und kein Bordell, wie wir fast befürchtet hatten –, ließ uns unsere Aussprache von »Übergummi« zunächst im Stich und sorgte für eine neuerliche Welle verdatterten Nichtbegreifens.
Diesmal ging ich direkt zu meiner mimischen Darstellung über, die uns vorher soviel genützt hatte, und scheinbar erfüllte sie auch hier ihren Zweck. Die Verkäuferin, eine nicht mehr ganz junge Dame mit strenger Frisur, marschierte schnurstracks auf einen Schubladenschrank zu, brachte von dort ein Päckchen mit und legte es triumphierend vor uns auf die Ladentheke.
Geschafft, dachten wir, öffneten das Päckchen und stellten fest, daß es einen albernen Plastikstreifen mit Pillen enthielt.
»Richtige Idee«, sagte Mark mit einem Seufzer. »Falsche Methode.«
Wir gerieten schnell wieder ins Schwimmen, als wir der jetzt leicht gekränkten Dame zu erklären versuchten, daß das nicht genau das sei, was wir suchten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits eine Menge von ungefähr fünfzehn Schaulustigen um uns versammelt, von denen uns einige meiner Überzeugung nach den ganzen Weg vom »Friendship Store« aus gefolgt waren.
Was man in China sehr schnell herausfindet, ist, daß wir alle irgendwie im Zoo sind. Wenn man sich auch nur eine Minute lang nicht bewegt, versammeln sich die Leute um einen herum und starren einen an. Das Entnervende daran ist, daß sie nicht gespannt oder wißbegierig starren, sondern bloß, oft genau vor einem, dastehen und einen so ausdruckslos ansehen wie einen Werbespot für Hundefutter.
Schließlich schob sich ein junger, käsiger Mann mit Brille durch die Menge und sagte, er spreche ein bißchen englisch und ob er helfen könne.
Wir bedankten uns und sagten ja, wir wollten Kondome kaufen, Übergummis, und wären ihm sehr dankbar, wenn er das für uns erklären könne.
Er warf uns einen verwirrten Blick zu, nahm das von uns abgelehnte Päckchen vom Tisch vor der gekränkten Verkäuferin und sagte: »Nicht wollen Übergummi. Das besser.«
»Nein«, sagte Mark. »Wir wollen unbedingt Übergummi, keine Pillen.«
»Warum wollen Übergummi? Pillen besser.«
»Sag du's ihm«, sagte Mark.
»Um Delphine aufzunehmen«, sagte ich. »Also, eigentlich nicht die Delphine selbst. Was wir vorhaben, ist, die Geräusche im Yangtse aufzunehmen, im ... Sehen Sie, wir brauchen eins, um es über das Mikrofon zu ziehen und...«
»Ach, erzähl ihm doch einfach, daß du jemanden flachlegen willst«, murmelte Chris auf schottisch. »Und daß du's nicht mehr aushältst.«
Aber inzwischen wich der junge Mann schon nervös vor uns zurück, plötzlich begreifend, daß wir gemeingefährliche Irre waren, denen man am besten jeden Gefallen tat und dann aus dem Weg ging. Er raunte der Verkäuferin etwas zu und zog sich eilig in die Menge zurück.
Die Verkäuferin zuckte die Achseln, sackte die Pillen wieder ein, öffnete eine andere Schublade und zog eine Schachtel mit Kondomen heraus.
Wir kauften neun, nur um sicherzugehen.
»Die haben auch Rasierwasser«, sagte Mark, »Falls es dir ausgeht.«
Nachdem es mir bereits gelungen war, eine der Rasierwasserflaschen im Hotel in Peking wegzuwerfen, versteckte ich im Zug nach Nanking eine weitere unter meinem Sitz.
»Weißt du eigentlich, was du da tust?« sagte Mark, als er mich dabei erwischte. Ich hatte geglaubt, er schlafe.
»Ja. Ich versuche, diese blöden Dinger loszuwerden. Hätte ich das Zeug bloß nie gekauft.«
»Nein, es steckt mehr dahinter. Ein Tier, das in einem neuen Territorium herumstreunt, einem, mit dem es nicht vertraut ist, markiert seinen Weg mit Düften, um es für sich zu beanspruchen. Erinnerst du dich an die ringelschwänzigen Lemuren auf Madagaskar? Die haben Duftdrüsen an den Handgelenken. Sie reiben ihre Schwänze zwischen den Handgelenken und schwenken die Schwänze dann durch die Luft, um den Duft zu verteilen und das Territorium so für besetzt zu erklären. Deswegen pinkeln Hunde auch an Laternenpfähle. Du tust nichts weiter, als deinen Weg durch China mit Duftmarkierungen zu versehen. Alte Gewohnheiten sind schwer totzukriegen.«
»Weiß einer von euch zufällig«, fragte Chris, der seit ungefähr einer Stunde, schläfrig gegen das Fenster gelümmelt, dagelegen hatte, »wie Nanjing auf chinesisch ungefähr aussieht? Ich frag bloß, damit wir's wissen, wenn wir da sind.«
In Nanking konnten wir zum erstenmal einen Blick auf den Fluß werfen. Obwohl Shanghai als Tor zum Yangtse gilt, liegt es in Wirklichkeit nicht am Yangtse selbst, sondern an einem damit verbundenen Fluß namens Huangpu. Nanking liegt direkt am Yangtse.
Es ist eine finstere Stadt, oder zumindest kam sie uns so vor. Das Gefühl, in die Fremde verschlagen zu sein, bekam uns fester in den Griff. Die Menschen hier, die wir restlos undurchschaubar fanden, starrten uns entweder an oder ignorierten uns. Ich mußte an ein Gespräch denken, das ich auf dem Flug nach Peking mit einem Franzosen geführt hatte.
»Es ist schwierig, mit den chinesischen Menschen ins Gespräch zu kommen«, hatte er gesagt. »Was einerseits an der Sprache liegt, sofern man nicht chinesisch spricht, aber auch daran, daß sie wirklich sehr, sehr viel hinter sich haben. Deswegen halten sie es für sicherer, einen zu ignorieren. Man zahlt ihnen dasselbe, ob sie nun mit einem reden oder nicht, also... pfffft. Kann schon sein, daß sie vielleicht ein bißchen mehr reden, wenn man sie besser kennt, aber... pfffft.«
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