Vor kurzem wurden zwei voneinander unabhängige, wenn auch nicht bestätigte Sichtungen von weißen Nashörnern im Southern National Park im Sudan gemeldet. Wegen der momentanen politischen Lage dort kann man allerdings nur sehr wenig für sie tun, was letztlich bedeutet, daß lediglich die seit Mitte der achtziger Jahre im Garamba-Park gehaltenen Tiere eine echte Überlebenschance haben. Und obwohl ihre Lage noch immer prekär ist, gibt es zumindest einen Hoffnungsschimmer: sie mit den weiter im Süden lebenden weißen Nashörnern zu kreuzen.
Nördliche und südliche weiße Nashörner gehören zur selben Art, aber ihre Bestände sind schon seit so langer Zeit voneinander getrennt, daß sie eine ganze Reihe von ökologischen und Verhaltensunterschieden entwickelt haben. Wichtiger aber ist, daß die genetischen Unterschiede so gravierend sind, daß Forscher sie als eigenständige Unterarten ansehen und daraus die Vermutung ableiten, daß sie seit über zwei Millionen Jahren voneinander getrennt leben. Heutzutage sind sie durch Tausende von Meilen afrikanischen Regenwaldes, durch Waldgebiete und Savannen permanent voneinander abgeschnitten.
Für einen Laien sind die beiden Arten kaum zu unterscheiden – obwohl der nördliche Vertreter seinen Kopf normalerweise etwas höher trägt als sein südliches Pendant und sie sich auch in den Körperproportionen ziemlich deutlich voneinander unterscheiden.
Zur Zeit ihrer Entdeckung war die nördliche Art wesentlich verbreiteter. Das südliche weiße Nashorn war zwar ein gutes Jahrhundert früher entdeckt worden, galt aber um 1882 als ausgestorben. Um die Jahrhundertwende wurde dann ein kleiner Bestand von etwa elf Tieren in Umfolozi, im Zululand, entdeckt. Um ihr Aussterben zu verhindern, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, und bis zum Beginn der sechziger Jahre war der Bestand wieder auf ungefähr fünfhundert Tiere angewachsen. Das genügte, um mit dem Umsiedeln einzelner Tiere in andere Parks, Reservate und ins Ausland zu beginnen. Über die gesamte Südhälfte von Afrika verteilt, gibt es heute mehr als fünftausend südliche Nashörner, und damit ist die Art nicht mehr unmittelbar bedroht.
Entscheidend ist jetzt, sofort mit der Rettung der nördlichen weißen Nashörner zu beginnen.
Mit der untergehenden Sonne machten wir uns auf den Weg und setzten uns zu den ortsansässigen Flußpferden. An einer breiten Flußbiegung bildete das Wasser ein tiefes, stilles Becken, und in diesem Becken lagen ungefähr zweihundert grunzende und grölende Exemplare von ihnen. Durch die gegenüberliegende, sehr hohe Böschung entstand eine Art natürliches Amphitheater, in dem sie singen konnten, und so verblüffend klar, wie der Klang um uns herumhallte, kann ich mir nicht vorstellen, daß es in ganz Afrika einen besseren Ort gibt, um Flußpferde grunzen zu hören. Das Licht war warm und klar, und ich saß strahlend vor Staunen da und beobachtete sie eine geschlagene Stunde lang. Die Flußpferde, die uns am nächsten lagen, betrachteten uns mit einer Art begriffsstutziger Angriffslust, die wir ja schon von den Flughäfen in Zaire kannten, aber die meisten lagen einfach mit den Köpfen auf den Hinterteilen ihrer Nachbarn da und trugen ein breites, dümmlich-glückseliges Grinsen zur Schau. Auf meinem Gesicht wird sich wohl etwas Ähnliches abgezeichnet haben.
Mark sagte, er habe auf keiner seiner Reisen in Afrika etwas Vergleichbares gesehen. Garamba, sagte er, biete einem einzigartige Freiheiten, wenn es darum gehe, sich Tieren zu nähern und von anderen Menschen zu entfernen. Das hat natürlich auch seine Kehrseite. Vor kurzem hörten wir, daß ein paar Wochen später jemand, der an genau derselben Stelle saß wie wir, von einem Löwen angegriffen und getötet wurde.
Als ich mich an diesem Abend hinlegen wollte, entdeckte ich etwas sehr Interessantes. Beim ersten Betreten meiner Hütte am Vortag war mir aufgefallen, daß man das Moskitonetz über dem Bett zu einem riesigen Knoten zusammengebunden hatte. Ich benutze den Begriff »aufgefallen« im weitestmöglichen Sinne. Es war zusammengeknotet, und als ich ins Bett gehen wollte, mußte ich es auswickeln, um es über das Bett zu drapieren. Weiter hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht.
In dieser Nacht fand ich heraus, weshalb man Moskitonetze zu Knoten zusammenbindet. Es hat einen unangenehm einfachen Grund, und ich mag es kaum zugeben. Man macht es, damit keine Moskitos reinkommen.
Ich kletterte ins Bett und stellte allmählich fest, daß in meinem Netz fast so viele Moskitos waren wie draußen. Das Netz war also ungefähr so sinnvoll wie der wunderbare Zaun, den die Australier quer durch ihren Kontinent gebaut hatten, um die Karnickel fernzuhalten, die sich schon auf beiden Seiten davon tummelten. Nervös leuchtete ich mit meiner Taschenlampe in die Netzkuppel. Sie war schwarz von Moskitos.
Ich versuchte sie rauszufegen und wurde ein paar los. Ich nahm das Netz vom Deckenhaken und schüttelte es energisch aus. Das weckte erstens die Mücken und zweitens ihr Interesse. Ich wendete das ganze Ding, trug es nach draußen, schüttelte es dort noch ein ganzes Stück kräftiger, bis es aussah, als sei ich die meisten von ihnen losgeworden, nahm es wieder mit ins Zimmer, hängte es auf und kletterte ins Bett. Sofort wurde ich von allen Seiten wie wild gestochen. Ich leuchtete mit der Taschenlampe in die Kuppel. Sie war noch immer schwarz von Mossies. Ich nahm das Netz wieder herunter, breitete es auf dem Boden aus und versuchte die Moskitos mit der Kante meines tragbaren Computers abzukratzen, der, da die Batterien rausgefallen waren, ohnehin zu nichts mehr nutze war. Funktionierte nicht. Ich startete einen zweiten Versuch, diesmal mit der Kante meines Schreibblocks. Das war schon etwas wirkungsvoller, hätte mich jedoch gezwungen, in den nächsten Tagen zwischen Dutzenden verschmierter Moskitoleichen zu schreiben. Ich hängte das Netz wieder auf und ging ins Bett. Es war noch immer voller Moskitos, die jetzt allesamt in der richtigen Stimmung waren, kraftvoll zuzustechen. Wütend und aufgeregt summten und sirrten sie um mich herum.
Na gut.
Ich nahm das Netz ab, legte es auf den Boden und sprang darauf herum. Ich sprang so lange darauf herum, bis ich sicher war, mindestens sechsmal auf jeden Quadratzentimeter des Dings gesprungen zu sein, und sprang dann noch ein bißchen weiter darauf herum. Dann fand ich ein Buch und klatschte alles damit ab. Dann sprang ich noch ein bißchen darauf herum, klatschte wieder mit dem Buch auf das Netz, trug es nach draußen, schüttelte es aus, nahm es wieder mit nach drinnen, hängte es auf und krabbelte zurück ins Bett. Das Netz wimmelte jetzt von sehr wütenden Moskitos. Zu diesem Zeitpunkt war es vier Uhr morgens, und als Mark mich um sechs Uhr wecken kam, um zum Nashörnersuchen aufzubrechen, war ich nicht in der Stimmung für wilde Tiere und sagte ihm das auch. Er lachte aufmunternd, wie er immer lachte, und bot mir ein halbes Dosenwürstchen zum Frühstück an. Ich nahm das Würstchen und einen Becher Pulverkaffee und marschierte runter zum ungefähr vierzig Meter weit entfernten Flußufer. Ich stand knöcheltief im kühlen, sanft fließenden Wasser, lauschte den frühmorgendlichen Geräuschen der Vögel und Insekten, biß in mein Würstchen und begann nach einiger Zeit unter die Lebenden zurückzukehren, weil mir dämmerte, wie grotesk ich aussehen mußte.
Als Charles und Annette Lanjouw mit dem Landrover eintrafen, luden wir unseren Kram für den Tag ein und machten uns auf den Weg.
Während wir über die Savanne in das Gebiet holperten und ratterten, in dem wir die Nashörner am Vortag vom Flugzeug aus gesehen hatten, fragte ich ganz beiläufig, ganz sachlich, einfach nur interessehalber, ob Nashörner eigentlich gefährlich seien oder nicht.
Mark grinste und schüttelte den Kopf. Er sagte, wir müßten schon wirkliches Pech haben, um von einem Nashorn verletzt zu werden. Das schien mir zwar die Frage nicht ganz zu beantworten, aber andererseits wollte ich auch nicht unnötig darauf herumreiten. Ich hatte ja nur aus beiläufiger Neugier heraus gefragt. Mark fuhr trotzdem fort.
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