Da ich zu diesem Zeitpunkt ernstlich luftkrank wurde, machten wir uns auf den Rückweg. Sinn des Ausflugs war ja nur gewesen herauszufinden, wo sich die Nashörner aufhielten, und von der vollständigen Population von zweiundzwanzig Exemplaren hatten wir insgesamt acht gesehen. Am nächsten Tag wollten wir auf dem Landweg aufbrechen und versuchen, uns ihnen auf dem Boden zu nähern.
Was viele Leute, die nichts über weiße Nashörner wissen, an ihnen am interessantesten finden, ist ihre Farbe.
Weiß ist es nicht.
Nicht mal annähernd. Es ist eher ein hübsches Dunkelgrau.
Nicht mal irgendein helles Grau, das man gerade noch als nicht ganz lupenreines Weiß durchgehen lassen könnte, sondern ein schlichtes Dunkelgrau. Aus diesem Grund nehmen manche Leute an, die Zoologen seien entweder pervers oder farbenblind, aber das stimmt nicht; sie sind nur ungebildet. »Weiß« ist eine falsche Übersetzung des aus dem Afrikaans stammenden Begriff »weit«, der »breit« bedeutet und sich auf das Maul des Nashorns bezieht, das breiter ist als das des schwarzen Nashorns. Wie es der Zufall will, ist das weiße Nashorn tatsächlich nur ein winziges bißchen heller als das schwarze Nashorn. Wäre das weiße Nashorn dunkler als das schwarze Nashorn, würden viele Leute wohl ziemlich stinkig werden, was schade wäre, weil man beim Nachdenken über das weiße Nashorn wegen einer ganzen Reihe anderer Dinge stinkig werden könnte – zum Beispiel wegen der Dinge, die mit seinem Horn passieren.
Es gibt einen weitverbreiteten Mythos, der erklärt, wozu man Rhinozeroshörner braucht – genaugenommen sind es zwei Mythen. Dem ersten Mythos zufolge ist gemahlenes Rhinozeroshorn ein Aphrodisiakum. Das ist, wie man wohl ungestraft behaupten darf, genau das, wonach es sich anhört – Aberglaube. Es hat wenig mit irgendwelchen medizinischen Erkenntnissen zu tun, dafür aber eine Menge damit, daß ein Rhinozeroshorn ein großes, hochstehendes, hartes Ding ist.
Der zweite Mythos ist, das so gut wie jeder an den ersten Mythos glaubt.
Wahrscheinlich war die Geschichte eine Zeitungsente oder bestenfalls ein Mißverständnis. Es ist nicht schwer zu verstehen, woher diese Idee stammte, wenn man die Unzahl von Dingen berücksichtigt, die zum Beispiel die Chinesen für Aphrodisiaka halten – Affenhirne, Spatzenzungen, die menschliche Nachgeburt, den Penis von weißen Pferden, Hasenhaare aus alten Pinseln und die getrockneten, anschließend sechs Monate in europäischem Branntwein eingeweichten Geschlechtsteile eines Tigermännchens. Ein großes, hochstehendes, hartes Ding wie ein Rhinozeroshorn ist wie geschaffen für eine solche Liste, auch wenn in diesem Zusammenhang vielleicht nicht mehr ganz so leicht nachzuvollziehen ist, was am Zerstampfen von dem Ding so anziehend sein soll. Tatsache ist, daß es keinen Hinweis darauf gibt, daß die Chinesen Rhinozeroshorn für ein Aphrodisiakum halten. Die einzigen Leute, die es glauben, sind Leute, die irgendwo gelesen haben, daß andere Leute es glauben, und die nur zu gern bereit sind, einfach alles zu glauben, was in ihren Ohren irgendwie prima klingt.
Vom Handel mit Rhinohorn als Aphrodisiakum ist nichts bekannt. (Das ist, wie so vieles, nicht mehr ganz richtig. Inzwischen weiß man, daß ein paar Leute im Norden Indiens es verwenden, aber die tun es auch nur, um andere zu ärgern.)
Häufig findet Horn in der traditionellen fernöstlichen Medizin Verwendung, aber der größte Teil des Handels mit Rhinohorn kommt aus einem wesentlich absurderen Grund zustande, und dieser Grund heißt: Mode. Dolchgriffe aus Rhinozeroshorn gelten im Jemen als außerordentlich modische Schmuckstücke für Männer. Das ist es: Modeschmuck.
Sehen wir uns mal die Auswirkungen dieser Mode an.
Bis zu ihrer Entdeckung im Jahre 1903 waren die nördlichen weißen Nashörner in der westlichen Welt unbekannt. Damals waren sie in fünf verschiedenen Ländern äußerst zahlreich vertreten; im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik, dem Sudan, in Uganda und Zaire. Ihre Entdeckung jedoch beschwor Unheil herauf, denn zu seinem eigenen Unglück hat das weiße Nashorn zwei Hörner – womit es für Wilderer gleich doppelt attraktiv ist. Das vordere, längere Hörn wird durchschnittlich sechzig Zentimeter lang; das Horn des Weltrekordhalters war sagenhafte hundertachtzig Zentimeter lang und bedauerlicherweise um die fünftausend Dollar wert.
Bis 1980 waren bis auf tausend Nashörner alle von Wilderern getötet worden. Trotzdem wurden keine ernsthaften Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen, und fünf Jahre später erreichte die Population einen Rekord-Tiefstand von dreizehn Tieren, die alle im Garamba-Nationalpark lebten. Die Art stand unmittelbar vor dem Aussterben.
Bis 1984 wurde der fünftausend Quadratkilometer große Garamba-Nationalpark nur von sehr wenigen Angestellten beaufsichtigt. Diese Angestellten waren nicht geschult, wurden oft nicht bezahlt und hatten weder Fahrzeuge noch irgendwelche Ausrüstung. Wenn ein Wilderer ein Nashorn töten wollte, mußte er bloß im Park vorbeischauen. Sogar die Zairer aus der Gegend töteten die Nashörner, um kleine Hornteile zu Ringen zu verarbeiten, die sie vor Gift und bösen Mitmenschen schützen sollten. Der Großteil des Horns aber wurde von Wilderern aus dem Sudan eingesackt. Es wurde in den Sudan geschafft und von dort aus auf den illegalen internationalen Markt geworfen.
Seit dem Beginn des 1984 ins Leben gerufenen Rehabilitationsprojekts hat sich die Situation in Garamba deutlich verbessert. Den heute dort beschäftigten zweihundertsechsundvierzig Mitarbeitern stehen elf Fahrzeuge und ein Leichtflugzeug zur Verfügung, und der Park wird rund um die Uhr von Wachtposten und einer mobilen Patrouille kontrolliert, die in ständigem Funkkontakt miteinander stehen. Zwei im Mai 1984, unmittelbar nach der Aufnahme der Rehabilitationsarbeit, gewilderte Nashörner waren die letzten, die im Park getötet wurden. Der Wilderer wurde geschnappt und festgenommen, konnte später jedoch entkommen. Mittlerweile hat sich die Einstellung zu diesem Thema allerdings so grundlegend geändert, daß man ihn heute nicht wieder entkommen lassen würde. Andere Arten werden weiterhin gewildert, aber zumindest zeigen die intensiven Schutzmaßnahmen der letzten fünf Jahre mittlerweile erste Wirkung. Was bedeutet, daß einige Nashörner geboren wurden und die Population jetzt den geringfügig besseren Stand von zweiundzwanzig Exemplaren erreicht hat.
Zweiundzwanzig.
Ein erstaunlicher Gesichtspunkt der Situation ist folgender: Wenn das Rhinozeroshorn aus Afrika ausgeführt und zu einem geschmacklosen Stück Modeschmuck verarbeitet worden ist, mit dem ein junger Jemenit rumprotzen und Mädchen aufreißen kann, hat es einen Endwert von mehreren tausend US-Dollar. Der Wilderer aber, jener Mann also, der in den Park geht und sein Leben riskiert, um eines der Nashörner zu erschießen, die mit viel Mühe, Zeit- und Geldaufwand geschützt werden, bekommt für das Horn zwischen zehn und fünfzehn Dollar. Der Unterschied zwischen Leben und Tod eines der seltensten und herrlichsten Tiere der Welt beträgt demnach nur ungefähr zwölf Dollar.
Da stellt sich natürlich schnell die Frage – die ich auch tatsächlich stellte –, warum man die Wilderer nicht einfach dafür bezahlt, die Tiere nicht umzubringen. Die Antwort liegt auf der Hand. Wenn jemand einem Wilderer, sagen wir mal, fünfundzwanzig Dollar dafür bietet, ein Tier nicht zu erschießen, und ihm dann jemand anders zwölf Dollar dafür bietet, es zu erschießen, wird der Wilderer höchstwahrscheinlich zu dem Schluß kommen, daß er unter diesen Umständen siebenunddreißig Dollar an einem einzigen Tier verdienen kann. Solange die Hörner wert sind, was sie wert sind, wird immer ein Anreiz für irgendwen bestehen, sich das Geld zu verdienen. Also muß die Frage anders lauten: Wie macht man einem jungen Jemeniten klar, daß ein Dolchgriff aus Rhinozeroshorn kein Männlichkeitssymbol ist, sondern nur signalisiert, daß man ein derartiges Symbol nötig hat?
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