Wieder betrachtete ich die Augen des Gorillas, weise und wissende Augen, und machte mir meine Gedanken über die Versuche, Affen eine Sprache beizubringen. Unsere Sprache. Wozu? Es gibt doch genügend Mitglieder unserer eigenen Spezies, die in und mit dem Wald leben und diese Sprache kennen und verstehen. Denen hören wir doch auch nicht zu. Wie kommen wir also darauf, daß wir uns ausgerechnet das anhören würden, was uns ein Affe zu sagen hätte? Oder darauf, daß er uns etwas von seinem Leben mitteilen könnte, in einer Sprache, die nicht aus diesem Leben entstanden ist? Vielleicht, dachte ich, ist es gar nicht so, daß sie eine Sprache erwerben müßten, sondern daß wir eine verloren haben.
Unsere Anwesenheit schien den Silberrücken schließlich doch zu ermüden. Er wuchtete sich auf die Füße und schleppte sich gemächlich in einen anderen Teil seiner Behausung.
Auf dem Rückweg zur Hütte entdeckte ich in meiner Kameratasche eine kleine Dose Thunfisch, die wir nach unserer Rückkehr zusammen mit einer Flasche Bier gierig vernichteten, und das bedeutete, um zwei Uhr nachmittags, das Ende der spaßigen Ereignisse dieses Tages, es sei denn, man hält es für spaßig, einem Paar deutscher, Verzeihung, lettischer Studenten zuzuhören, das einem die Vorzüge seiner Taschenmesser auseinandersetze.
Mark wurde dabei langsam ziemlich fuchsig, was sich daran zeigte, daß er seine Bierflasche ausgesprochen fest mit den Händen umklammert hielt und sie dauernd anstarrte. Kurt fragte uns, was wir als nächstes vorhätten, und wir sagten, wir würden zum Garamba-Nationalpark fliegen und mal sehen, ob wir irgendwelche weißen Nashörner auftreiben könnten. Kurt nickte und sagte, er selbst werde wohl heute nacht mal nach Uganda wandern.
Marks um die Bierflasche geschlungene Fingerknöchel wurden weißer. Nun zieht er es zwar wie die meisten Zoologen ohnehin vor, sich mit Tieren und nicht mit Menschen abzugeben, aber in diesem Fall waren wir uns vollkommen einig. Mir kam in den Sinn, daß wir einen Tag damit zugebracht hatten, völlig verzückt ein paar Berggorillas anzustaunen, daß uns besonders ihre scheinbare Ähnlichkeit mit uns Menschen ergriffen hatte und daß wir gerade diese Eigenschaft für eine ihrer faszinierendsten und fesselndsten hielten. Um anschließend herauszufinden, daß ein paar in Gesellschaft von wirklichen Menschen verbrachte Stunden bloß lästig und etwas verwirrend waren.
Drei Tage später fand ich mich auf einem Termitenhügel stehend wieder, von dem aus ich durch ein Fernglas einen anderen Termitenhügel anstarrte.
Ich wußte, daß ich auf einem Termitenhügel stand, war aber enttäuscht, daß das Ding, das ich anstarrte, kein nördliches weißes Nashorn war, weil wir mehr als eine Stunde lang in der Mittagshitze und mitten in einer Gegend, die man wirklich nur Afrika nennen konnte, entschlossen darauf zugewandert waren.
Außerdem war uns das Wasser ausgegangen. Es war kaum zu glauben, daß ich, der ich vollgestopft mit H. Rider Haggard, Noël Coward und »The Eagle« aufgewachsen war, bei meiner ersten Begegnung mit der wirklichen, echten afrikanischen Savanne zuerst mal geradewegs in der Mittagshitze in sie reinmarschierte und mir dann auch noch das Wasser ausging.
Ich gebe es natürlich nur ungern zu, eben weil ich mit einer gehörigen Portion H. Rider Haggard und so weiter groß geworden bin, aber ich hatte wirklich ein bißchen Angst. Der Grund, weshalb einem nicht mitten in der Savanne das Wasser ausgehen sollte, ist nämlich, daß man das Zeug wirklich braucht. Man kriegt von seinem Körper ständig zu hören, daß er es braucht, und nach einiger Zeit wird er ziemlich ausfallend, was dieses Thema angeht. Davon abgesehen, steckten wir meilenweit im Nirgendwo, und obwohl eine ganze Reihe von Theorien in bezug auf den Standort unseres Landrovers herumschwirrten, hatte bis dahin keine von ihnen einer ernsthaften Überprüfung standhalten können.
Ich weiß nicht, wie beunruhigt Mark und Chris zu diesem Zeitpunkt waren, weil man sie – besonders Chris – kaum zu irgendwelchen verständlichen Aussagen bewegen konnte. Chris kommt aus Edinburgh und ist unverkennbar Angehöriger einer nordischen Rasse: rothaarig, bleichhäutig und selig, wenn er, in etwas gehüllt, das wie ein großer, toter Hase aussieht, einen DAT-Recorder und ein Mikrofon durch die schottischen Moore schleppen darf, während Wind und Regen gegen seine zusammengebissenen Zähne klatschen. Die Savanne entspricht nicht ganz seinem Naturell. Inzwischen zog er immer kleiner werdende Kreise, sprach über immer unvernünftiger werdende Dinge und leuchtete wie eine Ampel. Mark wurde rot und einsilbig.
Die beiden Frauen, die uns begleiteten, hielten uns für totale Nieten. Es handelte sich um Kes Hillman-Smith, eine Nashornexpertin, und Annette Lanjouw, eine Schimpansenexpertin.
Kes Hillman-Smith löste mich auf dem Termitenhügel ab. Kes ist eine Expertin für weiße Nashörner, war aber überfordert hinsichtlich des momentanen Aufenthaltsortes der verbliebenen zweiundzwanzig Exemplare in einem Nationalpark, der so groß ist wie Schottland.
Es kann sein, daß ich nicht ganz richtig informiert bin. Was die Größe des Garamba-Nationalparks angeht, scheinen meine Informationen im Widerspruch zu denen anderer Leute zu stehen. Falls es tatsächlich stimmt, daß er nur fünftausend Quadratkilometer groß ist, müßte ich natürlich zugeben, daß er nur so groß wie ein Teil von Schottland ist, aber immerhin groß genug, um zweiundzwanzig Nashörner ausgesprochen wirkungsvoll zu verstecken.
Kes war, wie es sich für eine weltweit anerkannte Nashornexpertin gehörte, von Anfang an sehr skeptisch hinsichtlich des Termitenhügels gewesen, hatte aber, da es die einzige Erscheinung in dem weit entfernten Hitzeflimmern gewesen war, die einem Nashorn zumindest entfernt ähnelte, und wir schon so weit marschiert waren, trotzdem vorgeschlagen, einfach mal hinzugehen.
Kes ist eine imponierende Frau und wirkt, als sei sie gerade aus einem etwas zweifelhaften Abenteuerfilm gesprungen: hager, durchtrainiert, auffallend hübsch und normalerweise mit einem alten Kampfanzug bekleidet, dem eine ganze Reihe von Knöpfen fehlt. Sie kam zu dem Schluß, es sei langsam an der Zeit, sich ernsthaft mit der Karte zu befassen, einer eher holprigen Darstellung der eher holprigen Landschaft. Sie legte unwiderruflich fest, wo der Landrover zu sein hatte, und zwar mit einer derartigen Unbarmherzigkeit, daß der Landrover es kaum wagen konnte, nicht genau dort zu sein – wo wir ihn dann nach einem meilenweiten Marsch auch tatsächlich hinter einem Busch entdeckten, hinter dem er sich mit einer Thermoskanne Tee auf der Rückbank versteckt hatte.
Nachdem wir uns mit einem Becher Tee von der Sorte, die die Wüste zum Blühen und die Engel zum Singen bringt, wiederbelebt hatten, ratterten und rollten wir zurück zu unserer Basis, einem kleinen, nur durch einen schmalen Fluß vom Garamba-Nationalpark getrennten Hüttendorf für Besucher. Wir waren die einzigen Besucher des Parks, der, wie ich bereits sagte, so groß ist wie ein Teil von Schottland. Das ist insofern etwas überraschend, als der Park einer der schönsten von ganz Afrika ist. Er liegt im Nordosten von Zaire, an der Grenze zum Sudan, und ist nach dem Garamba-Fluß benannt, der den Park von Osten nach Westen durchschneidet. Die Vegetation besteht aus einer Mischung aus Savanne, Galeriewald und Papyrussümpfen und beherbergt zur Zeit 53000 Büffel, 5000 Elefanten, 3000 Flußpferde, 175 Kongo-Giraffen, 270 Vogelarten, um die 60 Löwen und einige riesige Elen-Antilopen mit Korkenzieherhörnern. Daß diese riesigen Elen-Antilopen sich überhaupt im Park aufhalten, wissen wir nur, weil wir eine gesehen haben. Zuletzt hatte in den fünfziger Jahren jemand eine dieser Antilopen gesehen. Wir waren hochzufrieden.
Daß der Park nur so spärlich besucht ist, liegt vermutlich zum einen an dem alptraumartigen Verwaltungsirrsinn, der auf jeden Zaire-Besucher einstürmt, zum anderen aber auch daran, daß er vom nächstgelegenen Flughafen, Bunia, mit dem Wagen eine Dreitagesreise weit entfernt ist und sich deshalb nur die wirklich entschlossenen Besucher überhaupt auf den Weg machen.
Читать дальше