Der Llanero Esteban Mauricio ritt heran. Der Mann, ein ehrlich aussehender, derber Geselle, war erfreut, einen Caballero als Gast in seinem Hause zu finden und erstaunt gleich seiner Frau, zu sehen, wie zutraulich sein scheues Kind mit ihm verkehrte, und kein Auge von ihm wandte.
Alonzo sagte ihm, wie er hierhergekommen und fügte seine Wünsche hinzu.
Der Llanero erklärte sich alsbald bereit, ihn mit seinen Begleitern nach Cabuyaro zu bringen, und wenn er darauf bestehen sollte, ihm auch Pferde oder Mulos zu dem landesüblichen Preise zu verkaufen.
Mariquita saß still und traurig während dieser Verhandlungen da, und leise sagte sie: "Ich wollte, er ginge nicht."
Als der Llanero gegangen war, um in seinem Corral die Tiere auszusuchen, trat Maxtla zu Alonzo, zu dem er in der Chibchasprache sagte: "Weißt du, junger Adler der Berge, wem sie ähnlich sieht?" Er meinte Mariquita.
"Nun?" fragte Alonzo erstaunt.
"In deines Vaters Hause hing ein Bild von deiner Mutter, das zeigte, wie sie als Sennorita ausgesehen hat."
Wie Schuppen fiel es Alonzo vom Auge. Er sah im Geiste das lebensgroße Ölbild, das seine Mutter als sechzehnjähriges Mädchen darstellte, vor sich - ja - das war's - das hatte ihn so mächtig erschüttert - unbewußt als er das Kind sah - jetzt wußte er es, der Indianer hatte ihm die Augen geöffnet. Es war zehn Jahre her, daß er als zehnjähriger Knabe das elterliche Haus verlassen hatte, und vieles hatten die Gefangenschaft, die Zeit von seinen Jugenderinnerungen verwischt - aber jetzt stand das Bild lebendig vor ihm - und - er richtete einen angstvoll fragenden Blick auf Mariquitas Gesicht. Eine Flut von Gedanken und Ahnungen stieg ihm zu Haupte und betäubte ihn fast.
Erstaunt sah das Kind, das die Worte in der Chibchasprache nicht verstanden hatte, zu Alonzo auf, sie erkannte, wie sehr er bewegt war.
"O, amigo mio, fehlt dir etwas? Bist du traurig?"
"Ja, ja, nein - o welch ein Glücksgefühl durchzieht mich!"
Er riß das Mädchen an sich und küßte es auf die Stirn. - "Ebenbild der Mutter -" hauchte er vor sich hin und sah ihr in das kindliche Gesicht.
Im Hintergrunde stand die Indianerin Mali und schaute bald auf Alonzo, bald auf Mariquita.
Langsam sagte Maxtla, immer sich der Chibchasprache bedienend: "Diese Frau fand jenes Mädchen vor zehn Sommern im Tale der drei Quellen."
Gleich einem Irrsinnigen starrte Alonzo ihn an.
"Fand - im - Tale der - drei Quellen?" wiederholte er leise - "fand?"
"Der junge Adler sinne nach - zwei Schwestern nannte er sein - Maxtla weiß es - er kannte sie alle, die Kinder Don Pedros - zwei Sommer zählte Juana und jene Frau trug sie fort - aus dem Tale der drei Quellen."
Alonzo wurde totenbleich - der starke Jüngling zitterte - und mußte sich setzen.
"Ein großer Krieger muß die Freude ertragen können wie den Schmerz."
Stumm horchte Mariquita, den Blick voll tiefer Teilnahme auf Alonzo gerichtet, Maxtla aber fuhr in der Sprache der Chibcha zu reden fort: "Mali ist eine Chibcha aus den Bergen und schwor, mir die Wahrheit zu sagen bei den alten Göttern ihres Volkes."
Die Sennora trat hinzu und lauschte den ihr unverständlichen Worten, aber niemand achtete ihrer.
Und nun berichtete der Indianer, während die Indianerin mit niedergeschlagenen Augen neben ihm stand, daß sie mit ihrem Gatten auf der Flucht vor den Leuten der Regierung, die alle kräftigen Männer mit Gewalt zu Soldaten aushob, am Abend des Unglückstages über die blutige Stätte in den drei Quellen gekommen sei. Unter den Toten fand sie ein junges, blühendes Leben, ein zweijähriges Kind, das angstvoll um sich schaute. Eine Machete hatte es gestreift und betäubt niedergeworfen, die Mörder hatten es für tot liegen lassen. Mali, der ein Liebling gestorben war, nahm mitleidsvoll das kleine Mädchen mit. Bald aber bemächtigte sich ihrer die Angst, als der Mann erkundete, daß man Indios im Verdacht habe, die Tat vollbracht zu haben, daß man sie für die Täter halten könne, und da Mali von dem kleinen lieblichen Wesen nicht lassen wollte, flohen sie weiter und weiter durch Berge und Wälder, immer in Angst vor den Offizieren der Militäraushebung und den Alguacils, die nach den Mördern forschten.
Der Llanero war zur Laube getreten und lauschte Maxtlas Worten.
So kamen sie zu den hier einsam wohnenden Leuten und nahmen Dienste bei ihnen. Das Kind erklärten sie in einem Kahne auf dem Flusse treibend gefunden zu haben, immer in der Angst, für die Tat auf dem jetzt so weit entfernten Schauplatz verantwortlich gemacht werden zu können.
Sennora Mauricio nahm sich der Kleinen an, alle Nachforschungen nach ihrer Abkunft blieben natürlich vergebens. Spät erst und so entstellt gelangte die Nachricht von dem Morde im Tale der drei Quellen hierher, daß damit die Kleine nicht in Verbindung zu bringen war. Malis Mann, der aus den Llanos stammte, starb - das Kind wuchs im Schutze der kinderlosen Sennora als deren Tochter auf - und - "da steht es, das kleine Mädchen aus dem Tale der drei Quellen. Die Narbe, welche die Machete der Aimaràs zurückließ, ist, wie du siehst, noch zu erkennen."
In der Art und Weise, wie der Indianer sprach, in dem ungewöhnlichen Klange, der seine Worte belebte, lag etwas Feierliches.
Der Llanero, der Chibchasprache mächtig, war sehr bleich geworden und schaute mit Angst auf Mariquita. Als Maxtla schwieg, herrschte tiefe Stille in der Laube.
Da aber vermochte Alonzo sich nicht länger zu beherrschen, der Sturm in seinem Herzen durchbrach alle Schranken, warf allen künstlichen Stoizismus über den Haufen: "O - Gott - o Gott, Schwester - o - du bist gerettet worden - o Schwester -" er kniete neben dem Kinde nieder, schloß es in seinen Arm und weinte in einer Erregung, die sein ganzes Wesen erschütterte.
Ergriffen war Mariquita bei dem Gebaren des fremden, ihr so sympathischen Mannes, und weil sie ihn herzbrechend weinen sah, weinte sie mit.
Stumm stand die Frau, stumm der Herr des Hauses - der sehr niedergeschlagen aussah.
Endlich hatte Alonzo die Kraft zu sagen: "Ich bin Alonzo d'Alcantara - bis zu dieser Stunde glaubte ich all die Meinen im Tale der drei Quellen verloren zu haben - nun sendet mir Gott - die jüngste unseres Hauses - dies ist meine Schwester Juana."
Jetzt erschrak auch die Sennora, deren ganzes Herz an Mariquita hing, und das Kind selbst sah durch seine Tränen fragend bald zu denen, die sie für ihre Eltern hielt, bald zu Alonzo und Mali empor.
"Kind, Mariquita - Juana - du hörst, was ich sage, - daß mich ein gütiges Geschick zu dir - dem Ebenbild unserer Mutter geführt hat. Willst du gern mein Schwesterchen sein?"
"Ja, ja, ich habe dich gleich lieb gehabt."
Und nun gab es ein Fragen und Antworten, Mali mußte ihre Mitteilungen wiederholen, Alonzo sprach von den Seinen und seinem Schicksal, und das tiefbetrübte Llaneropaar mußte erkennen, daß eine höhere Fügung ihren Liebling an das Herz des Bruders geführt hatte.
"Ihr tragt einen großen Namen, Sennor," sagte der Llanero. "Ich habe von Eures Vaters Schicksal gehört, doch keine Ahnung davon gehabt, daß ich seine Tochter in meinem Hause berge. Gottes Wille geschehe - aber das Glück meines Hauses schwindet mit Maruja dahin."
Seine Frau weinte, und das Kind schmiegte sich zärtlich an sie.
"Nein, meine Freunde." sagte Alonzo. "Juana d'Alcantara muß die ihr gebührende Stellung in der Welt an der Seite ihres Bruders einnehmen, aber Ihr sollt sie nicht verlassen, Ihr habt Elternrechte an ihr erworben. Kommt mit an den Ocoa, Ihr sollt Haus und Land dort haben, und wie sich mein Schicksal auch gestalte, Ihr sollt in des Kindes Nähe, das Ihr zu einer schönen Menschenblüte erzogen, bleiben. Willst du mit mir kommen, mit mir, deinem Bruder?"
"Ja," sagte sie - "aber Mama muß auch mitgehen."
"Das soll sie, mein Liebling, mein Schwesterchen. O du holdes, rührendes Bild der teuren Mutter, o - o, wie bin ich glücklich, wie bin ich glücklich!"
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