Wiederum zog eine freudige Bewegung durch die Menge.
Athoree stand wie bisher in eherner Haltung da, keine Muskel hatte in seinem Gesicht gezuckt, als das Todesurteil verkündet wurde, keine Bewegung zeigte sich jetzt.
Der Greis ließ ihn zu sich rufen und dicht vor sich hintreten, denn seine Sehkraft war fast erloschen.
Er richtete die trüben Augen auf ihn und fuhr mit zitternder Hand leicht über seine Züge.
»Ich habe den letzten Enkel Meschepesches gesehen, meinen Liebling Athoree. Er soll nicht sterben unter dem Tomahawk der Häuptlinge, er wird laufen um sein Leben und seinem Volke wieder angehören, das ihn vermißte. Ich freue mich, dich zu sehen, Kind, ehe ich zu den Vätern gehe.«
Er legte Athoree, der sich ehrfurchtsvoll geneigt hatte, die abgezehrte Hand auf das Haupt und ließ sich dann zu seiner Hütte zurückführen, begleitet von den ehrfurchtsvollen Blicken aller.
Edgar und seine Begleiter faßten nach dieser Abänderung des Urteils wieder Hoffnung.
Es war ein uralter, wenn auch selten angewandter Gebrauch bei den Huronen, bei einem von ihren Richtern über einen Stammesangehörigen gefällten Todesurteile, ein Fall, der auch nur selten sich ereignete, die Todesstrafe in einen Wettlauf zu verwandeln, der dem Verurteilten die Möglichkeit gewählte, sein Leben zu retten.
Die Richter berieten jetzt, die alten Ueberlieferungen zu Rate ziehend, unter welchen Umständen dieser Lauf ausgeführt werden sollte. Und als dieses festgestellt war, richtete der Vorsitzende die Frage an Athoree, ob er bereit sei, den Lauf ums Leben zu beginnen?
Ruhig entgegnete dieser, er sei bereit dazu, wie auch sein Haupt dem Tomahawk der Richter darzubieten.
Alsbald wurden nun die Vorbereitungen getroffen.
Während dies geschah, trat Edgar auf Athoree zu und reichte ihm die Rechte. [459]
»Gutherz ist immer noch dein Freund und wird es bleiben.«
»Gutherz habe ich dich genannt, du bist es.«
»Willst du den Lauf wagen?«
»Ich will es.«
»Wäre es nicht besser, die Vollstreckung auch dieses Urteils aufzuschieben, bis der Häuptling im Fort gesprochen hat? Ich will ihn für dich anrufen.«
»Er darf nicht einsprechen in das Urteil der Häuptlinge. Athoree wird ihn nicht anrufen, lieber sterben.«
»Nun, so sei Gott dir gnädig.«
»Weißt du, Athoree,« sagte treuherzig Michael, der auch hinzugetreten war, »laufen ist meine Sache nicht, besonders wenn ich's mit euch flinkfüßigen Roten aufnehmen sollte, aber wenn es anginge, den Fall in einen kleinen Kampf mit der Faust oder dem Shillalah zu verwandeln, dann wollte ich deine Sache ausfechten oder dir wenigstens beistehen und wenn es einen gegen zehn ginge. Du hast mir gegen den verwünschten Bären geholfen und ich lasse dich auch nicht sitzen. Verstehst du?«
»Starkhand würde es tun, ich weiß es, er ist Athorees Freund.«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
Auch Johnson richtete einige ermutigende Worte an den Verurteilten.
Dann kam Sumach; alle wichen zurück, und Mutter und Sohn unterhielten sich leise miteinander.
Die Vorbereitungen waren getroffen. Zehn alte Krieger hatten sich je hundert Schritt voneinander in einer Linie aufgestellt, die blanken Tomahawks in der Hand.
Der Todeslauf sollte so vollendet werden, daß Athoree auf der einen Seite dieser Linie hinauflief und an der andern hinab.
Hundert Schritt Vorsprung waren ihm gewährt.
Die zwölf schnellfüßigsten Jünglinge des Stammes waren ausgesucht worden, um die Verfolger zu bilden.
Vor der Eiche stand Hayesta.
Gelang es dem Verfolgten, dessen Hand zu ergreifen, ehe ihn einer der Verfolger, wenn auch nur mit der Fingerspitze, berührt hatte, so war er frei. Berührte ihn indessen eine Hand, so war er rettungslos dem Tode verfallen.
Schon standen die zwölf ausersehenen Verfolger bereit.
Sie hatten sämtlich das Oberkleid abgeworfen und führten keine Waffen. [460]
Athoree warf einen Blick auf sie und erkannte unter ihnen einen Freund seines Bruders, Wayta, das Eichhorn, welcher ihn tödlich haßte.
Dieser war als ein vorzüglicher Läufer bekannt.
Jetzt warf auch Athoree das Jagdhemd ab und zeigte seine schlanken, nervigen Formen, seine wie ein Schild gewölbte muskulöse Brust, welche jedem Bildhauer zum auserlesenen Modell dienen konnte, und trat auf einen Wink Hayestas hundert Schritt vor zu dem ersten der aufgestellten Krieger, welche den Befehl hatten, jedes Durchbrechen der Linie von seiten eines der Verfolger sofort mit der Streitaxt zu ahnden.
Ein Hornstoß sollte das Zeichen zum Beginne des Laufes geben.
Was nur das Dorf an Bewohnern aufzuweisen hatte, war rechts und links an dem Wege, welchen die Läufer nehmen mußten, aufgereiht.
In nicht geringer Aufregung befanden sich unsre Freunde, zwischen welchen Wilhelm, welcher den Vorgängen mit Aufmerksamkeit gefolgt war, stand.
Hayesta hob die Hand, das Muschelhorn ertönte, und der Lauf begann.
Athoree war, wie alle jüngeren Indianer, ein gewaltiger Läufer, seine Kraft gestählt und seine Lungen stark.
Jetzt bewegte er die hurtigen Schenkel, scheinbar ohne sich anzustrengen, und in gleicher Weise folgten ihm die jungen Leute, Wayta mit Blicken tödlichsten Hasses.
Die Entfernung zwischen Athoree und seinen Verfolgern vergrößerte sich bereits, trotz des abgemessenen Tempos, welches die Läufer fast gleichmäßig einhielten, um nicht im Anfang schon sich zu erschöpfen.
Dies bemerkend, nahm Wayta mit zwei raschen Sprüngen die Spitze der Nachsetzenden.
Er beschleunigte seinen Lauf ein wenig und kam so Athoree näher, welcher in gleichem Takte fortlief.
Unmerklich verringerte Wayta immer mehr und mehr den Zwischenraum zwischen sich und Athoree.
Dieser gewahrte es, aber er wußte auch, daß der schwierige Teil des Laufes noch kam, und bewahrte vollständige Ruhe.
Jetzt war er am Ende der Linie, dem zehnten der aufgestellten Krieger, angekommen, bog scharf um diesen herum und gewann mit einigen Sprüngen den verlorenen Raum wieder.
Hinter ihm bog ebenso scharf Wayta um den zehnten der Krieger, einen alten, narbigen Burschen, mußte aber mit diesem in unangenehme Berührung gekommen sein, denn man sah deutlich, wie der
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Krieger wankte und Wayta in seinem Laufe einen Augenblick durch den Anprall gehemmt wurde.
Dieses kleine Begegnis verschaffte Athoree zehn Schritt Vorsprung.
Wayta war den andern jungen Leuten weit voraus und man erkannte, daß der Wettkampf nur zwischen ihm und Athoree ausgefochten werden würde.
Als sie auf dem Rückwege bis in die Hälfte der abgemessenen Entfernung gelangt waren, das ist, noch etwa fünfhundert Schritt zurückzulegen hatten, strengte Wayta seine Kraft an und stürmte rasch vor, Boden gewinnend.
Aber gleich einem Hirsche, den die Wölfe hetzen, flog auch jetzt Athoree über den grasigen Grund.
Hohe Aufregung bemächtigte sich aller Zuschauer bei diesem Kampfe, den Athoree mit der Geschicklichkeit und dem Hasse seines Verfolgers um sein Leben führte.
Gleich dem Sturmwind sauste er einher.
Aber Wayta war nicht umsonst als der beste Läufer der Huronen bekannt, einem Pfeile gleich, den die geübte Hand des Schützen vom Bogen schnellte, eilte er nach.
Jetzt setzte Athoree seine ganze Kraft ein - das Ziel war schon nahe, aber - der Verfolger kam näher.
In Panthersprüngen setzten beide den Lauf fort, der eine ums Leben laufend, der andre vom tödlichen Hasse getrieben.
Atemlos verfolgten alle das Todesrennen.
Athorees Fuß berührt einen Stein, er stolpert - verliert dadurch an Boden - einen gellenden Jubelschrei stößt Wayta aus - er kommt näher - nicht dreißig Schritt mehr ist er von Athoree entfernt.
Athoree, der mit höchster Anstrengung seiner Muskeln vorwärts strebt, muß den Fuß verletzt haben, sein Lauf wird merklich langsamer - nur zehn Schritt trennen den Verfolger von ihm - da stürzt jener der Länge nach zu Boden - ein im Sprunge berührter Ast, den er in blinder Wut nicht beachtet hatte, war unter seinem Fuß fortgerollt und ließ ihn ausgleiten.
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