Mit wenigen Sätzen war Athoree vor Hayesta und ergriff dessen Hand.
Ein Jubelschrei erhob sich ringsumher, auch die Weißen riefen dem Sohne Su-machs »Heil!« zu, nicht zum mindesten Michael, der über eine nicht unbedeutende Stimmkraft verfügte. »Hurra, alter Junge! Hurra! Das nenne ich durchkommen. Hurra! Siehst du, der alte Gott lebt noch. Hurra!«
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Der Häuptling drückte Athorees Hand mit Herzlichkeit.
»Es freut mich, Enkel Meschepesches, daß du deinem Stamme wiedergewonnen bist, wir haben dich schmerzlich vermißt.«
Von allen anwesenden Männern sah sich Athoree alsbald umringt, die alle seine Hand zu drücken begehrten.
Aber der schwer atmende Mann durchbrach den Kreis und eilte auf seine Mutter zu, die mit verhülltem Haupte dagesessen hatte und erst aufblickte bei dem Jubelruf, welcher ihres Sohnes Sieg verkündigte.
Mit freudestrahlendem Antlitz empfing ihn die alte Frau und streichelte sein Haupt und flüsterte ihm zu: »Manitou ist gut. Er hat Athoree zu den Wigwams seines Volkes geführt. Athoree wird einst sterben wie ein Held.«
Mit aufrichtiger Freude wurde nun der Gerettete von allen begrüßt. War er schon früher beliebt gewesen, so hatte sein tollkühnes Eingreifen in den Kampf mit den Saulteux, vor allem aber die mit so großer Kühnheit ausgeführte Entführung der weißen Frau aus der Mitte des feindlichen Stammes heraus, die Bewunderung und Sympathie für ihn wesentlich gesteigert.
Die Befriedigung über diesen Ausgang einer Begebenheit, welche so tragisch zu enden drohte, war allgemein.
Seine weißen Freunde, und vor allem der Graf, beglückwünschten Athoree mit inniger Teilnahme.
Der befiederte Pfeil der Wyandots war seinem Volke wiedergegeben.
Der Abend verfloß in wilder Lustbarkeit.
Um zahlreiche Feuer lagerten die Huronen, schmausten und jubelten bis spät in die Nacht hinein.
Als der Graf sich nach seiner Schwester Wigwam begab, fand er sie sanft eingeschlafen, ihren Knaben im Arm haltend.
Lange betrachtete der Bruder der Schwester edelschönes Antlitz, welches im Schlafe einen so ruhig-glücklichen Ausdruck trug.
»Wird der Geist in diese schöne Hülle je zurückkehren? Warum sollte ich verzweifeln? Tut Gott nicht täglich Wunder, die wir nur als solche nicht erkennen? Schlafe, schlafe, arme Schwester, und ein sanfter Traum gebe dir verlorenes Glück zurück.«
Einundzwanzigstes Kapitel.
Gottes Gericht.
Tage nach diesen Vorgängen finden wir unsre Freunde auf dem Wege nach Fort Mulder.
Der Graf hatte für seine Schwester ein Pferd mit einem Damensattel und durch die Güte der Frau des Kommandanten auch europäische Kleidung vom Fort kommen lassen, unter welchen sich auch ein Reitkleid befand.
Mit kindlichem Erstaunen hatte Luise die so lang entbehrte Tracht angesehen, sich aber dann sofort umgekleidet.
Als ihr Bruder sie in den Sattel hob und ihr die Zügel gab, zeigte sich ein Ausdruck in ihrem Gesicht, der halb Freude, halb Staunen war. Sie warf einen fragenden Blick auf Edgar und ließ dann mit altgewohnter Sicherheit und sichtlichem Vergnügen ihr Pferd ansprengen.
Von den Anstrengungen des Marsches und der tiefen seelischen Erschütterung hatte sie sich erholt, sie sah blühender aus als je.
Nach Walther hatte sie seit dem Aufenthalte in der Höhle nicht wieder gefragt. Aber oftmals sann sie nach oder richtete einen verstohlenen Blick auf Edgar, einen Blick, wie jemand ihn gewahren läßt, der ein bekanntes Gesicht sieht und nicht weiß, in welche Beziehungen er es zu sich bringen soll.
Eines Morgens hatte sie auch zu Edgar gesagt: »Ich habe dich schon gesehen -ich weiß nur nicht wo. Ich suche -?« Dann wurde ihr Antlitz traurig und sie fragte umherschauend: »Wo ist denn nur -?« Aber sie sprach den Namen Walther nicht aus, obgleich ihm sicher ihr Sinnen galt. Es kämpfte und gärte in ihrer Seele, wie in einem in fruchtbares Erdreich gelegten Keim, der seine Hülle durchbrechen und zum Licht durchdringen will. Edgar bemerkte es mit tiefsinniger Freude. [464]
Wenigstens war doch die bisherige Lethargie dieses Geistes in Bewegung umgewandelt.
Sollte er nicht hoffen dürfen?
Von den Huronen hatten sie freundlichen Abschied genommen. Hayesta hatte ihnen zwei seiner Leute mitgegeben, um sie zum Fort zu führen und dort die Geschenke in Empfang zu nehmen, welche der Graf ihnen zugedacht hatte.
Athoree hatte dem Grafen seinen Entschluß kundgegeben, jetzt, nachdem die Wolke verschwunden war, welche düster zwischen ihm und seinem Volke lag, bei den Seinen zu bleiben, ein Entschluß, der nur natürlich war.
Er hatte es sich nicht nehmen lassen, seine weißen Freunde bis zur Küste zu geleiten, und befand sich im Zuge.
Johnson schritt still und einfach wie gewöhnlich einher, er hatte herzlichen Abschied von der alten Indianerin genommen, welche mehrere Jahre sein einsames Leben geteilt hatte.
Auch in ihm hatten die aufregenden Begebenheiten, an welchen er teilgenommen, eine Umwandlung hervorgerufen.
Als Edgar den seltsamen weißhaarigen Mann kennen lernte, schien dieser mit dem irdischen Dasein vollständig abgeschlossen zu haben und Schmerz und Freude nicht mehr für ihn vorhanden zu sein. Apathisch stand er allen Ereignissen dieses Lebens gegenüber.
Daß trotzdem sein seelisches Empfinden nicht erstorben war, daß vielmehr unter der starren Hülle reiches inneres Leben pulsiere, offenbarte nicht nur sein Verhalten gegen die alte Indianerin, auch die hingebende Teilnahme, mit welcher er sich dem jungen deutschen Grafen und dessen Zwecken weihte.
In seinen öfteren Unterhaltungen mit Edgar zeigte er den einsichtsvollen, erfahrenen Mann, den nur ein so grausames Schicksal, wie es ihn betroffen, aus seiner ruhigen Bahn schleudern konnte.
Aber gerade die tiefe Einwirkung dieses Unglücks auf seine Seele verriet, daß hier ein Herz von mächtigem Fühlen getroffen worden war, einer blumigen Wiese gleich, über welche eine vernichtende Lawine stürzte. Dennoch sproßten unter dem Schnee noch schöne Blüten empor.
Nach mehrjähriger, fast menschenfeindlicher Einsamkeit, die ihn selten nur mit Männern seines Volkes zusammenführte, hatte er in den letzten Wochen ununterbrochen in der Gesellschaft des Grafen gelebt und an erschütternden Ereignissen teilgenommen, welche nicht ohne Einwirkung auf seine Seele bleiben konnten.
Mit unvergleichlicher, kaltblütiger Tapferkeit hatte er gefochten, aber seine Todesverachtung bedeutete doch nicht volle Geringschätzung dieses Lebens, wenn auch der freudigste Glanz desselben dahingeschwunden war.
Eine Stunde, wie die im Fort Jackson, in welcher den Verteidigern des Blockhauses der Tod unerbittlich zu nahen schien, geht selbst an einem verhärteten Herzen nicht spurlos vorüber, wie viel weniger an einem, dessen Tätigkeit unter der Wucht eines großen Leidens nur gehemmt war.
Daß unter der ruhigen Außenseite gelegentlich ein Wetter hervorbrechen konnte, hatte der Graf wahrgenommen, als vor Johnsons Ohren von dem Mörder seiner Lieben gesprochen wurde.
Johnson war während seines Verkehres mit dem Grafen lebhafter in seinen Gesprächen geworden und hatte mehr und mehr Teilnahme an den Erscheinungen des öffentlichen Lebens gezeigt. Seine volkswirtschaftlichen und politischen Ansichten, die er dem Grafen gegenüber äußerte, wenn der, wie er in den ruhigen Stunden ihres Verkehrs gern tat, das Gespräch dahin leitete, zeugten von einer ruhigen Klarheit des Denkens und einsichtsvoller Beurteilung der die Zeit bewegenden praktischen Fragen. Wie denn der einfachste Amerikaner bei der so ausgebildeten Selbstverwaltung dieses Volkes mehr Verständnis für die öffentlichen Angelegenheiten hat, als der Angehörige jedes andern Staatswesens.
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