»Drei Sommer sind verflossen seit dem Tage, wo Othera erschlagen in seinem Wigwam gefunden wurde, drei Sommer schrie sein vergossenes Blut um Rache, und niemand konnte den Mörder bezeichnen, denn Athoree war verschwunden und seine Mutter stumm.
»Aber Manitou ist gerecht.
»Er sandte den befiederten Pfeil, er sandte Sumach zurück zu den Wyandots, die sie seit drei Sommern suchten, auf daß sie Antwort geben den Fragen der Häuptlinge und klar werde, wer die Streitaxt erhob gegen Othera, die dunkle Wolke.
»In unsrer Mitte steht der befiederte Pfeil und im Namen des Wyandotvolkes frage ich ihn, im Angesicht des großen Geistes: Wer erschlug Othera, die dunkle Wolke?«
Es war so still, daß man kaum einen Atemzug hörte.
Athoree begann deutlich vernehmbar, doch in einem Tone, der tiefe innere Bewegung verriet: »Häuptlinge der Wyandots, Männer meines Volkes, Athoree hat lügen nie gelernt. Othera, die dunkle Wolke, meinen Bruder, erschlug diese Hand,« und er streckte die Rechte empor.
Eine Bewegung, ein leises Flüstern ging durch die Gruppe, doch alsbald war die ganze Aufmerksamkeit der Hörer wieder auf Athoree und die Richter gewandt. [452]
Graf Edgar, als ihm dieses durch den ihm zugewiesenen Dolmetscher übertragen war, erschrak: Das also war's? Ein Brudermord?
»Der befiederte Pfeil sagt es,« entgegnete dem Geständnisse der alte Häuptling, »es ist Wahrheit, was er spricht.«
»Darf der befiederte Pfeil reden?«
»Er rede.«
»Häuptlinge und Männer der Wyandots, öffnet eure Ohren,« begann Athoree mit tiefer Stimme. »Sumach, die Witwe Oskanutos, hatte zwei Söhne, die dunkle Wolke und den befiederten Pfeil, welche sie beide mit gleicher Liebe liebte, ungleich wurde die Liebe von den Söhnen erwidert. Sumach mag sagen, wer sie mehr liebte, Othera oder Athoree. Beide hatten die Pflicht, das Wigwam mit Fleisch zu versorgen, damit die Mutter nicht Hunger leide im Winter, wenn der Schnee die Wälder füllte und der Nordsturm raste. Sumach mag sagen, wer von den Söhnen seine Pflicht erfüllte, wer nicht,
»Oft war Streit zwischen Othera und dem befiederten Pfeil und fast immer war die Sorge für die Mutter die Veranlassung. Die Herzen der Brüder hielten nicht denselben Schlag.
»Da kam eines Tages Athoree, von langer Jagd zurückkehrend, erschöpft und müde in das Wigwam und fand die Mutter hungernd und frierend am Boden. Othera hatte sie während Athorees Abwesenheit verschmachten lassen, und niemand bekümmerte sich um die alte Frau.
»Da wurde Athoree zornig und gab dem Bruder harte Worte.
»Als dieser sie erwiderte und auch Sumach mit wilder Rede beschuldigte, sie sei durch giftige Worte Veranlassung meines Grimmes, und sie dann am grauen Haar faßte und emporriß, so daß Sumach schrie vor Schmerz, da faßte meine Hand nach der Streitaxt, sie entflog meiner Faust und begrub sich im Hirne des Bruders.
»Da erschrak meine Seele und ich entfloh in die Wälder und weiter zu den Leuten weißer Farbe.
»Manitou, du sagst es, Hayesta, hat mich zurückgeführt zu den Feuern meines Volkes, sprich dein Urteil über Athoree, er ist bereit, es zu empfangen.«
Er schwieg und die Häuptlinge flüsterten untereinander. Dann verkündete der Vorsitzende: »Wir wollen Sumach vernehmen, sie soll erscheinen.«
Die alte Frau, welche unweit wartete, wurde in den Kreis geführt.
»Du hast gehört, Sumach, was dein Sohn hier gesagt hat, sprich, hat er mit gerader Zunge geredet?« [453]
Mit zitternder Stimme begann die Frau: »Oskanotos, der früh in die glücklichen Jagdgründe ging, hinterließ mir zwei Söhne, und ob sie gleich unter demselben Herzen gelegen hatten, glichen sie sich wie die Nacht dem Tage gleicht. Der sonnige Tag war Athoree, die finstere Nacht Othera. Er war nicht freundlich gegen die Mutter und schlug sie, wenn Athoree nicht im Dorfe war. Nie hat Sumach es dem jüngeren Sohne gesagt, um nicht Streit zwischen den Brüdern zu erregen, sie trug still die Schmerzen. Sumach litt Hunger, wenn Athoree nicht Beute brachte, auch dies verschwieg sie ihm. Da kam der Tag, wo Othera zornig gegen mich wurde vor des befiederten Pfeiles Augen und mich am grauen Haare riß, da wurde der böse Geist mächtig, der Tomahawk entflog der Hand Athorees und Othera starb. Der befiederte Pfeil ging in die Wälder, um dem Todesstreiche zu entgehen von den Streitäxten der Häuptlinge, und Sumach war einsam im Dorfe der Huronen, und Männer und Weiber sahen sie mit finsteren Blicken an, weil sie glaubten, die Mutter habe des jüngeren Sohnes Zorn gegen den älteren gewandt.
»Da ging auch Sumach fort von den Leuten ihrer Farbe, fort, weit fort, um zu sterben. Jener Mann fand sie auf,« sie deutete auf Johnson, »und rettete die dem Tode schon Verfallene. Bei ihm hat sie gelebt, bis der große Geist Athoree zu seiner
Hütte führte. Der befiederte Pfeil hat die Wahrheit gesagt, Sumach redete Wahrheit, sie hat nichts hinzuzufügen.«
Sie schwieg und augenscheinlich hatten ihre Worte die lebhafteste Bewegung hervorgerufen, denn ringsum war eifriges Flüstern vernehmbar.
Nach einer Weile begann Hayesta wieder: »Hat einer der Männer noch etwas zu sagen, ehe die Alten den Spruch über den befiederten Pfeil fällen?«
»Ja, ich!« Und ein jüngerer Mann erhob sich aus dem Kreise der umhersitzenden Huronen.
»So sprich.«
»Ich bin Yaronta, der hohe Baum, und mich kennen die Wyandots. Schwer wiegt die Tat Athorees, sehr schwer, aber ich frage die Männer ringsum, ich frage die Häuptlinge unter der Eiche, ob nicht auch sie im gleichen Falle zur Streitaxt gegriffen hätten? Ich frage sie! Yaronta würde es getan haben, er sagt es laut vor dem Volke. Der befiederte Pfeil, der Liebling der Wyandots, der geschickteste Jäger, ein tapferer Krieger, der Enkel Meschepesches, entfloh vor dem Tomahawk der Häuptlinge und verbarg sein [454]
Haupt unter den Blaßgesichtern. Aber sein Herz blieb das eines Wyandots, und als die Saulteux heulten und unsre Krieger vor deren Ueberzahl wichen, da sprang der befiederte Pfeil in den Kampf an die Seite seiner Brüder, und er und seine weißen Freunde halfen uns, Niederlage in einen Sieg zu verwandeln. Er ist ein Held und hat wie ein Held für sein Volk gefochten. Ich habe gesprochen.«
Dumpfes Beifallgemurmel wurde laut.
»Spricht noch einer der Männer?« fragte Hayesta.
Niemand im Kreise der Indianer verlangte zu reden.
Edgar, den die Verhandlung erregt hatte, erhob sich und ließ sich laut also vernehmen: »Würden die Häuptlinge mir, dem Fremden, das Wort gestatten, der ich ein Freund der Wyandots und des befiederten Pfeiles bin?«
Nach kurzer Beratung verkündete Hayesta: »Der Gast unsres Volkes mag reden, er hat an unsrer Seite gefochten, er ist ein Freund.«
»Männer der Wyandots,« begann Edgar in englischer Sprache, welche wohl die größere Mehrzahl der Anwesenden verstand, und suchte seine Worte dem Verständnis der Hörer anzupassen, »Männer der Wyandots, der befiederte Pfeil, der dort steht, ist mein Freund. Schwer wiegt seine Tat, wer kann es leugnen? Aber er hat der Mutter heilig Haupt verteidigt, und wem ist auf dieser Erde noch etwas heilig, wenn es nicht dieses ist! Die Gesetze der Weißen würden diese Tat nicht schwer strafen, denn sie entsprang edlem Zorn, und erwiesen ist es nicht, daß Athoree den Bruder töten wollte, gewiß wollte er ihn nur leicht verwunden, um die Mutter zu schützen vor Mißhandlung von den Händen eines Sohnes. Der böse Geist hat die Schneide seines Tomahawks so gelenkt, daß sie Tod brachte. Bei meinem Volke wurde in früheren Zeiten Wehrgeld für einen Erschlagenen angenommen, und ich will es gerne für meinen Freund zahlen, ich will den Huronen Büchsen, Pulver, Messer, Zeuge und alles geben, was ihre Herzen sich wünschen, wenn sie es als Sühneopfer für den Erschlagenen annehmen wollten. Ich habe gesprochen, Huronen.«
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