Foley antwortete düster:»Wenn Ihr Mr. Tyrell zurückkommt. «Aber im selben Atemzug fügte er hinzu:»Das eben war ungerecht von mir. All das hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht, ich bin nicht mehr ich selbst.»
Bolitho blickte ihm nach, wie er im Niedergang verschwand. Dann setzte er sich auf einen Poller. Wenn nicht bald etwas geschah, mußte Foley neue Entscheidungen treffen. Wenn Tyrell nicht zurückkehrte und das ganze Unternehmen scheiterte, konnte er nach seiner Rückkehr nach Sandy Hook nicht mehr viel von seiner Zukunft erhoffen. Den ganzen Nachmittag über bis in den Abend hinein lag die Sparrow wie festgenagelt in greller Sonnenglut. Die Decks waren so heiß, daß man mit dem Fuß im aufgeweichten Teer der Nähte hängenblieb, und die Geschützrohre waren erhitzt wie nach einem vielstündigen Gefecht. Die Wachen wechselten, Posten zogen auf und wurden abgelöst. Nichts war zu hören oder zu sehen.
Der erste rosige Abendschimmer hatte sich über der Bucht niedergelassen, und die Hügel schimmerten in tiefem Purpur, als Foley wieder an Deck erschien.
«Es bleibt uns nichts mehr zu tun«, sagte er niedergeschlagen.
Bolitho biß sich die Lippen. Tyrell war nicht zurückgekehrt. Vielleicht war er schon in Richtung Süden über Land unterwegs. Oder er führte gar amerikanische Kundschafter in diese Bucht. Er schüttelte sich wie ein Hund. Seine Müdigkeit, seine Enttäuschung zerrten an seinen Widerstandskräften, an seinem Vertrauen.
Fähnrich Heyward stand am Steuerbordschanzkleid. Wie im Halbschlaf lehnte er an den Planken. Plötzlich fuhr er hoch.
«Die Gig, Sir«, rief er mit heiserer Stimme.»Sie kommt von der Landzunge her!»
Bolitho rannte zu ihm hin. Es war ihm gleichgültig, ob Tyrell etwas entdeckt hatte oder nicht. Er war zurückgekommen, das war mehr als genug.
Als die Gig längsseits kam, sah er die Ruderer wie Marionetten in den Duchten hängen. Ihre Gesichter und Arme sahen wie rohes Fleisch aus. Tyrell kletterte mit verdreckten Füßen und Beinen auf das Achterdeck. Seine Kleider waren zerrissen.
Schwerfällig begann er seinen Bericht:»Ihre Scouts konnten die vorausgeschickten Männer nicht finden, Oberst. Aber wir haben sie entdeckt.»
Er nahm eine Wasserkanne und schluckte in tiefen Zügen.»Sie sind alle tot. Flußaufwärts in einem ausgebrannten Fort.»
Foley starrte auf die düsteren Bäume hinter der Bucht.»So sind also meine Leute immer noch auf der Suche.»
Tyrell beachtete ihn nicht.»Wir pullten die Gig den Flußarm hinauf. Stießen zufällig auf dieses alte Fort. Aber leider ist das noch nicht alles.»
Bolitho wartete. Er konnte ihm die Anstrengungen und die Qual über das Gesehene deutlich ansehen.
Langsam fuhr Tyrell fort:»Gerade ein Stückchen den Kanal hinauf liegt groß und breit eine verdammte Fregatte!«Foley warf sich herum.»Amerikanisch?»
«Nein, Oberst, nicht amerikanisch. «Er blickte Bolitho ernst an.»Ihrem Schnitt nach ein Franzmann. Keine Flagge. Also wohl ein Kaperschiff.»
Bolitho zwang seine rasenden Gedanken zur Ruhe. Hätten sie sich unter Tyrells ortskundiger Führung nicht so heimlich in die Bucht geschlichen, wären sie der Fregatte vor die Kanonen gelaufen, oder sie wären vor Anker liegend angegriffen worden.
Tyrell redete weiter:»Es sieht also so aus, als ob Ihr General in Gefangenschaft geraten ist, Oberst. Hat nicht viel Zweck, hier so lange zu warten, bis es uns genauso geht, eh?»
«Konnten Sie ausmachen, was sie taten?»
Bolitho versuchte sich den großen Fluß vorzustellen, der um die Landzunge herumströmte. Die Fregatte ankerte in der Gewißheit, daß sie jeden Angreifer aus jeder Richtung abwehren konnte.
Tyrell zuckte die Achseln.»Am Strand waren Spuren zu sehen. Ich nehme an, daß sie mit Booten ans Land gerudert sind, um Frischwasser aufzunehmen. Aber kein Zeichen von Gefangenen.»
«So müssen wir also vermuten, daß die gesuchten Soldaten immer noch vermißt sind. «Bolitho blickte den Oberst an.»Ich glaube, daß die Fregatte Anker lichten wird, sobald der Wind einfällt. Sie wird es kaum wagen, bei Nacht auszulaufen. Wir sind also bis zur Morgendämmerung sicher, danach. «Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu Ende zu sprechen.
«Kutter signalisiert, Sir«, rief Heyward.
Alles wandte sich um und starrte zur dunklen Küste hinüber. Mit weit ausholenden Riemen hielt der Kutter auf das Land zu. Am Ufer stand eine einzelne Gestalt, die mit ihrer Muskete Bethune zuwinkte. Es war einer von Foleys Scouts.
«Ich muß sofort an Land«, schnappte Foley. Er rannte auf die Schanzkleidpforte zu.»Sie haben den General gefunden!«Bolitho eilte hinter ihm her und kletterte, gefolgt von Stockdale, in die Gig.
Kurz vor dem Ufer fuhr das Boot im seichten Wasser auf. Bolitho sprang über das Dollbord und watete durch das klare Wasser an Land. Eine Sekunde lang blitzte in seinem Gehirn der Gedanke auf, daß er seit Monaten zum ersten Mal wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Er wartete unter einem Baum, während Foley den Scout ausfragte. Sicher würde es den Kanadier verwirren, wenn sie beide vor ihm stünden. Foley schritt auf Bolitho zu. Seine Stiefel knirschten im Sand.
«Sie haben ihn gefunden. «Er wies auf die finstere Mauer des Waldes.»Die erste Abteilung wird in etwa einer Stunde hier sein.»
«Die erste Abteilung?«Bolitho bemerkte die Verzweiflung in Foleys Augen.
«Der General kommt mit meinen Kundschaftern und allen gesunden Männern. «Er seufzte tief auf.»Aber etwa sechzig Kranke und Verwundete folgen in langsamem Marschtempo nach. Sie sind seit Tagen ständig unterwegs. In der vorletzten Nacht gerieten sie in einer Schlucht in einen Hinterhalt. Sie konnten ihre Angreifer zurücktreiben. Der General sagt, es seien Franzosen gewesen. Wahrscheinlich von dieser Fregatte.»
Bolitho versuchte sich vorzustellen, was das alles für die kranken und verletzten Soldaten bedeutete. Sie wußten nicht, wo sie waren, ob sie mit dem Leben davonkamen.
«Die Katze ist jetzt aus dem Sack. Die Fregatte scheint einen Bergungsversuch zu erwarten.»
Foley seufzte.»Ja, ich bin auch Ihrer Meinung. Was werden Sie nun tun?»
Bolitho antwortete nicht sofort. Er winkte Bethune heran, der dem erschöpften Kundschafter seine Wasserflasche reichte.
«Fahren Sie sofort zum Schiff zurück. Sagen Sie Mr. Tyrell, er soll sich bereit halten, die erste Abteilung in einer Stunde an Bord zu nehmen. Ich möchte eine vollzählige Wache mit allen Booten an Land haben. Alles muß reibungslos vor sich gehen, und ich will, daß diese Männer gut untergebracht werden. Selbst, wenn wir unsre Vorräte über Bord werfen müßten.»
Der Fähnrich rannte zum Kutter. Seine Schultern glühten wie eine überreife Frucht.
«Es wäre ein Wunder, wenn wir sie rechtzeitig aufnehmen könnten«, sagte Foley mit ruhiger Stimme.
Bolitho lächelte.»Es geschehen Wunder, Oberst, manchmal. «Er ging zur Gig. Seine Müdigkeit war vergessen. Er bemerkte, daß Foley ihm nicht folgte, sondern noch immer bei dem Scout stand.»Ich gehe landeinwärts«, rief der Oberst ihnen nach.»Ich will zu meinen Leuten oder zu dem Rest, der von ihnen übriggeblieben ist. «Sein scharlachroter Rock verschwand zwischen den Bäumen, und er war verschwunden.
General Sir James Blundell lehnte sich in einen von Bolithos Stühlen zurück und hielt seinem Burschen ein Bein hin.
«Um Himmels willen, ziehen Sie mir diese verdammten Stiefel aus. «Er starrte zur Kajütslampe hinauf und fügte hinzu:»Ich könnte was zum Trinken vertragen. Mir ist staubtrocken zumute!«Er verfluchte seinen Burschen und stieß ihm seinen Stiefel zwischen die Schultern.»Langsam, Sie verdammter Trottel!»
Foley wandte sich ab und blickte Bolitho an, der an der Tür stand. Zorn und Überraschung waren aus seinen Augen zu lesen.
«Könnten Sie für den General irgend etwas herrichten lassen?«Bolitho nickte und sah Fitch hinweghuschen, um Wein zu holen. Alles kam ihm wie ein Alptraum vor.
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