Hugh nickte, und seine Augen strahlten plötzlich.»Die Zeit wird gut genutzt, Sir, darauf haben Sie mein Wort.»
Als sie gegangen waren, stützte Bolitho den Kopf in die Hände und starrte blind auf die Karte. Es hatte Zeiten gegeben, da ihm sein Bruder wegen der Aussichtslosigkeit seiner Zukunft leid tat. Jetzt war er eher neidisch auf ihn. Denn obwohl Pascoe über die Identität seines Lehrmeisters im unklaren blieb, würde Hugh ihn schnell für sich gewinnen; danach konnte er sich mit dem Gedanken trösten, daß sein Sohn frei von Schande das Leben weiterführen konnte, das er selber so leichtfertig weggeworfen hatte.
Und was hatte er selbst? Nichts. Seine Finger berührten wie von selber das Medaillon. Nur Erinnerungen, die im Lauf der Jahre gewiß so ungreifbar werden würden wie der Wind und keinen Trost mehr schenkten.
Mit einem Ruck stand Bolitho auf und griff nach seinem Hut. Hier war ein schlechter Ort zum Alleinsein. An Deck hatte er wenigstens das Schiff und die Aufgabe, alles zu versuchen, was in seiner Macht stand.
XVIII Endlich: das Signal
Wie Bolitho vorausgesehen hatte, wich die erste allgemeine Begeisterung über die Rückkehr den Belastungen knochenbrechender Arbeit, die damit für jeden Mann verbunden war. Als sie aus der friedlichen Zone des Passats in die Roßbreiten gelangten, wurden sie das Opfer von irritierenden und enttäuschenden Verzögerungen. Denn in der Weite des Ozeans drehten die schwachen Winde unaufhörlich, manchmal zweimal während einer Wache, so daß alle ständig damit beschäftigt waren, die Segel neu nach dieser oder jener Seite zu trimmen, um auch nicht eine Mütze voll Wind zu vergeuden.
Schließlich setzte der Wind ganz aus, und zum ersten Mal seit St. Kruis schaukelte die Hyperion flügellahm mit schlaff hängenden Segeln in einer unangenehmen Dünung. Die meisten Leute an Bord waren zunächst dankbar für die Ruhepause. Doch ihre Hoffnung auf Ruhe verflog schnell, als Bolitho Inch befahl, sie anders zu beschäftigen und die Zeit zu nutzen, um die Schlechtwettersegel anzuschlagen, die sie bald brauchen würden.
Sechzehn Tage nach dem Ankerlichten erwischten sie eine steife Südwestbrise, halsten unter einem bleifarbenen Himmel und nahmen Kurs Ost für den letzten Abschnitt ihrer Fahrt.
Bolitho wußte, daß ihn viele Leute verfluchten, wenn wieder einmal der Ruf» Alle Mann! Alle Mann an Deck!«erscholl und ihre müden Leiber in die Wanten und auf die schaukelnden Rahen trieb. Ihre Welt bestand nur noch aus heulendem Wind und durchnässendem Gischt, wenn sie hoch über Deck mit aufgerissenen und blutenden Fingern die nasse Leinwand hochholten und mit Fäusten zusammenschlugen, bevor sie die Beschlagzeisinge herumschlingen konnten. Dabei hatten sie zu kämpfen, daß sie nicht den Halt verloren und nach unten in den sicheren Tod stürzten. Doch Bolitho hatte jetzt nur wenig Zeit für ihre Gefühle, wenigstens nicht mehr, als er sich selber in einem Augenblick der Ruhe gönnte.
Zu jeder anderen Zeit wäre er stolz, ja begeistert über die Art gewesen, wie das alte Schiff und seine Besatzung sich verhielten. Als die Meilen unter dem Kiel dahinrauschten und die Farbe des Ozeans in ein dumpfes Grau wechselte, wußte er, daß ihn viele Kommandanten um die schnelle Reise beneiden würden.
Wie immer, wenn er aufs Achterdeck kam, stand die Impulsive nicht weit hinter ihnen. Ihre dunklen Schlechtwettersegel gaben ihr das Aussehen von Zielstrebigkeit und grimmiger Entschlossenheit. Von der Hermes dagegen war nichts mehr zu erblicken. Bolitho hatte sich schon gefragt, ob Fitzmaurice sich vielleicht entschlossen haben mochte, vorsätzlich zurückzufallen und ihn sich selbst zu überlassen. Aber es war fruchtlos und unfair, so etwas überhaupt zu denken. Solche Gedanken entsprangen nur der Ungewißheit und seinem alles andere zurückdrängenden Willen, das Schiff wie nie zuvor anzutreiben.
Jeden Tag hatte er den Kommodore in seiner Schlafkammer besucht, doch selbst das schien jetzt zwecklos. Pelham-Martin sprach selten mit ihm und starrte aus seiner Koje nur an die Decke, ohne sich die Mühe zu machen, seine Genugtuung über Bolithos nichtssagende Berichte zu verbergen. Trotz Pelham-Martins stummer Feindseligkeit war Bolitho über dessen Aussehen beunruhigt. Er aß wenig, trank zum Ausgleich aber eine Menge Brandy. Er schien niemandem in seiner Nähe zu trauen und hatte sogar Petch mit einer Flut von Drohungen weggejagt, als der Unglückliche versucht hatte, ihm den Schweiß vom Gesicht zu wischen.
Seltsamerweise hatte der Kommodore jedoch nach Sergeant Munro verlangt, einem älteren Seesoldaten, der vor seiner Dienstzeit einmal Diener in einem Gasthof gewesen war und etwas vom Umgang mit Höhergestellten verstand. Bolitho hatte allerdings den
Verdacht, daß der Kommodore Munro mehr als Leibwächter gegen einen eingebildeten Feind denn als Diener ausgewählt hatte.
Pelham-Martins Stimme war offenbar fester, aber er hatte es abgelehnt, daß Trudgeon nach ihm sah oder daß sein Verband in letzter Zeit gewechselt wurde. Bolitho war überzeugt, daß er sich nur verstellte und Zeit bis zu dem Augenblick gewinnen wollte, da er seinen Irrtum zugeben mußte.
Mit seinem Bruder hatte Bolitho nicht mehr gesprochen, aber eines Nachts, als der Wind unerwartet zu voller Sturmstärke auffrischte, hatte er ihn mit einigen Matrosen aufentern gesehen, um das Besanstagsegel zu bergen, das mit einem Knall, den man selbst im Tosen der See und dem Geheul der Takelage nicht überhören konnte, von oben bis unten zerrissen war. Pascoe war an seiner Seite gewesen, und als sie beide schließlich wieder an Deck standen, hatten sie einander so fröhlich zugelacht wie Verschworene, die etwas Privates, Besonderes verband.
Während die Tage vergingen, hielt sich Bolitho möglichst von seinen Offizieren fern und beschränkte sich auf dienstliche Kontakte. Der Südwestwind zeigte keine Ermüdungserscheinungen, und während das Schiff durch die endlose Weite der schaumgekrönten See stampfte und rollte, ging Bolitho ruhelos auf dem Achterdeck auf und ab, ohne auf seine durchnäßte Kleidung zu achten, bis Allday ihn schließlich überreden konnte, zu einem Teller Suppe und einer kurzen Ruhepause nach achtern zu kommen. Überall im Schiff troff es von Feuchtigkeit, und in den unteren Decks hockten die Männer der Freiwache zusammengekauert hinter den geschlossenen Stückpforten, schliefen oder warteten auf die nächste karge Mahlzeit; alle hofften, daß ihre Reise endlich ein Ende finden möge.
Die Köche hatten tatsächlich nur wenig anzubieten; in ihrer ewig schaukelnden Kombüse, zwischen dem Gewirr von Töpfen und angebrochenen Fässern mit gesalzenem Schweine- oder Rindfleisch, konnten sie ohne Zauberei kaum etwas Besseres hervorbringen.
Am Mittag des siebenundzwanzigsten Tages stand Bolitho an der Querreling und sah zu, wie Inch und Gossett eifrig mit ihren Sextanten hantierten. Es hatte etwas aufgeklart, und gerade über ihnen waren die Wolken zu langen Fahnen ausgefranst, zwischen denen ein wässriges Sonnenlicht die Illusion von Wärme verhieß. Gossett sagte bedächtig:»Ich hätte es nicht für möglich gehalten,
Sir!»
Bolitho übergab Carlyon seinen eigenen Sextanten und hielt sich mit einer Hand an der abgenutzten Reling fest. Siebenundzwanzig Tage, also drei weniger, als er sich in St. Kruis zum kaum erreichbaren Ziel gesetzt hatte.
Inch trat an seine Seite und fragte vorsichtig:»Was nun, Sir?»
«Die Spartan klärt dort schon seit ein paar Tagen auf, Mr. Inch. «Bolitho musterte den verschwommenen Horizont. In dem einheitlichen Metallgrau war kaum ein Unterschied zwischen Himmel und Wasser zu erkennen.»Wir bleiben bis zur Abenddämmerung auf diesem Kurs. Vielleicht hören wir bis dahin etwas Neues von Kapitän Farquhar.»
Aber nichts geschah, auch tauchte nirgendwo ein Segel auf und unterbrach die unendliche Monotonie der lang dahinrollenden Wogen. Bei aufkommender Dunkelheit wendeten sie und legten sich unter gerefften Marssegeln hoch an den Wind. Nichts in Sicht auch am nächsten Tag, noch am Tage darauf, und als die Ausguckposten im Mast einander immer wieder ablösten und ihr täglicher Trott sich über Minuten und Stunden hinschleppte, wußte Bolitho, daß es — außer ihm — nur wenige an Bord gab, welche die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten.
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