Inch rief:»Sehen Sie, Sir! Sie bricht das Gefecht ab!»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Wir müssen ihr Steuerrad getroffen haben. «Er beobachtete kühl, wie das feindliche Schiff abgetrieben und seine Bewegungen mit jeder Minute schwerfälliger und unkontrollierter wurden.
Gossett sagte:»Die ist erledigt!«Als einige Leute sich zu ihm umdrehten, setzte er hinzu:»Das Riff! Sie kann sich nicht mehr davon freisegeln!»
Bolitho nickte. Die Linie der weißen Brecher, die über die Landzunge hinausreichten, waren dem schwer getroffenen Schiff schon ganz nahe. Nur ein Wunder konnte sie noch davor retten.
Die Geschützbedienungen auf dem Achterdeck stimmten in die Jubelrufe der Seesoldaten ein, obwohl sie noch nicht dazu gekommen waren, ihre leichten Kanonen abzufeuern.
Bolitho ging auf die andere Seite und blickte zur Telamon hinüber. Auch sie war schwer beschädigt und in Gefahr, auf die Klippen getrieben zu werden. Bis auf einen kleinen Stumpf ihres Großmastes war sie entmastet und ihre Bordwand an zahllosen Stellen durchlöchert. Sie war fast ein völliges Wrack. Andere Schiffe ihrer Größe hätten die Schläge vielleicht eingesteckt und zurückgeschlagen. Aber ihre Planken waren so alt und so fest miteinander verwachsen, daß bei einem Treffer nicht einzelne Planken brachen, sondern gleich große Teile der Bordwand einstürzten und der See Einlaß boten. Und wie zum Beweis ihrer heldenhaften Aufopferung floß aus ihren Speigatten Blut in das Treibgut an ihrer Seite.
Bolitho sagte:»Mr. Tomlin soll die Schlepptrosse bereitlegen. Machen Sie die Geschütze fest, und schicken Sie jeden entbehrlichen Mann nach achtern.»
Einige Leute vom Hauptdeck kletterten auf die Gangways, von wo aus sie zum ersten Mal gewahr wurden, was ihr Sieg das holländische Schiff und seine Besatzung gekostet hatte.
Dann drehte sich Bolitho um, als Pelham-Martin krächzte:»Der Franzose hat noch nicht die Flagge gestrichen!«Seine Augen glühten seltsam.»Er könnte seine Schäden immer noch ausbessern.»
Bolitho starrte ihn an.»Und was wird aus der Telamon?»
Pelham-Martin gestikulierte wütend.»Signalisieren Sie der Hermes, sie soll den Holländer in Schlepp nehmen. «Sein Blick war fest auf den treibenden Zweidecker gerichtet.»Ich will, daß dieses Schiff versenkt wird«!»
Bolitho schaute zu Gossett hinüber.»Geben Sie einen Kurs an, der uns am Riff vorbeibringt!«An Inch gewandt, fuhr er im gleichen unbewegten Ton fort:»Eine Breitseite, wenn wir passieren. Es wird keine zweite Chance dazu geben, wenn wir erst mal frei vom Riff sind.»
Er ging wieder hinüber auf die Seite des Kommodore.»Sie müssen jeden Augenblick auf Grund laufen, Sir. «Doch er wußte, daß es vergeblich war, noch bevor er es aussprach. In Pelham-Martins Gesichtsausdruck war etwas Wildes, eine unmenschliche Gier, die Bolitho mit Abscheu erfüllte.
«Tun Sie, was ich befohlen habe!«Pelham-Martin hielt sich an den Netzen fest, als das Schiff sich leicht auf die Seite legte und Gossett meldete:»Kurs Südwest, Sir.»
Weit achteraus hörte Bolitho frohes Geschrei von der Hermes, und als er über die Netze hinwegschaute, sah er Leute auf den Laufbrücken der Telamon, die ihnen zujubelten und winkten. Irgend jemand hatte wieder eine Flagge an den gebrochenen Mast genagelt, und das war inmitten all der Trümmer und Not eine rührende und ermutigende Geste.
An Bord der Hyperion jubelte niemand, und selbst die Seesoldaten beobachteten schweigend, wie das feindliche Schiff auf die hohen Brecher zutrieb. Hier und da sah Bolitho gezackte Felsen wie schwarze Zähne aus dem Wasser ragen. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß der Franzose die Flagge streichen möge, bevor es zu spät war. Bei diesen Wellen, die über das Riff hinwe g-liefen, würden die Überlebenden es schwer haben, sich an Land zu retten, selbst wenn ihr Schiff nicht auseinanderbrach.
Aber die Trikolore wehte immer noch über dem Achterschiff, und obwohl der Rumpf tief im Wasser lag, sah Bolitho Leute an ihren Kanonen und eine Gestalt — wie bisher — auf dem Achterdeck.
«Ziel aufgefaßt!«Stepkynes rauhe Stimme durchbrach die Stille.
Bolitho ballte die Fäuste. Streicht die Flagge, verdammt noch mal! Streicht sie! Doch obwohl er so gern dem anderen Kommandanten seinen Willen aufgezwungen hätte, wußte er, daß er selber in gleicher Lage genauso gehandelt hätte.
Der Feind trieb jetzt mit dem Bug voran, so daß Bolitho die großen Löcher in seinen achteren Aufbauten und das pendelnde Tauwerk über seinem Heck sehen konnte. Er sah auch das Namensschild und las den Namen: Fortune. Es schien ihm, als schwenkte ein Offizier seinen Degen gegen die Hyperion, als sie vorbeizog, und dann feuerte der Feind seine letzte Salve mit den beiden Heckgeschützen, die auf dem Deck unterhalb der zertrümmerten Kajütenfenster standen.
Bolitho fühlte den Stoß, als die eine der beiden Kugeln in das Schanzkleid einschlug, und hörte das Pfeifen der Holzsplitter, die um ihn herumflogen; aber all dies war vergessen, als die Hyperion unter dem Rückstoß ihrer eigenen Breitseite schwerfällig überholte.
Als der Qualm abgezogen war, sah er, wie der Großmast des Feindes krachend herunterkam, doch er verschwand nicht seitwärts in der See; denn im selben Augenblick ging ein Ruck durch das Schiff, dann noch einer, und dann schlug es in seiner ganzen Länge auf dem Felsen auf. Über das Tosen des Windes hinweg konnten sie das Splittern von Holz und das Einströmen des Wassers hören. Die letzte Breitseite mußte die meisten Leute auf dem Oberdeck getötet oder verwundet haben, denn nun wurde das Schiff unter seinen zerfetzten Segeln noch einmal hilflos angehoben und dann quer auf das Riff geworfen, wobei sein Fockmast brach und mitten zwischen die auf der Back umherirrenden Leute fiel.
Bolitho wandte sich angeekelt ab. Er hörte, wie der Franzose auseinanderbrach, und konnte sich vorstellen, welche Panik unter Deck herrschen mußte, wenn die schweren Kanonen sich losrissen und von einer Seite auf die andere rollten, während die eingeschlossenen Matrosen im vergeblichen Versuch, dieser Hölle zu entfliehen, gegen das einbrechende Wasser ankämpften.
Aber die Trikolore war endlich verschwunden. Nicht gestrichen, sondern vom Geschützfeuer der Hyperion weggeblasen.
Er wandte sich langsam um.»Ihre weiteren Befehle, Sir?»
Doch seine Augen wurden starr, als Pelham-Martin schwankte und aufs Deck hinuntersank. Sein Uniformrock hatte sich im Wind geöffnet, und unter seiner Achselhöhle wurde ein heller Blutfleck sichtbar, der sich auf seiner weißen Weste schnell ausbreitete.
Bolitho rief laut:»Ein Mann zu Hilfe! Mr. Carlyon, holen Sie den Doktor!«Dann ließ er sich auf ein Knie nieder und schlang den Arm um die Schultern des Kommodore.»Nur ruhig, Sir.»
Pelham-Martin schien nicht imstande, etwas zu sagen. Seine Miene spiegelte eher Erstaunen als Schmerz.
«Tragen Sie den Kommodore in seine Kajüte!»
Bolitho trat zur Seite, als Trudgeon, der Schiffsarzt, begleitet von seinen Maaten, aufs Achterdeck eilte.
Pelham-Martin keuchte:»Um Gottes willen! Seht euch vor, verdammt noch mal!»
Inch fragte:»Ist es so schlimm, Sir?»
Bolitho ging ans Schanzkleid und sah sich die aufgerissene Stelle über der Stückpforte an, wo die Kugel — wahrscheinlich ein Zwölf-pfünder — getroffen und wie mit einer Axt Teile aus dem Holz geschlagen hatte. Die Geschützbedienung war wahrscheinlich gerade beiseite getreten, um das andere Schiff zu beobachten. Anderenfalls wäre sie als Schutzschild für den Kommodore gestorben.
Er antwortete:»Holzsplitter verursachen die schlimmsten Wunden, wie Sie wissen. Ich staune, daß er es nicht stärker fühlte.»
Dann ging er an die Reling hinüber und schaute Steuerbord achteraus zum feindlichen Zweidecker, der immer wieder von den Wellen angehoben und auf das Riff geschmettert wurde. Gemessen an dem Winkel, den sein Achterdeck mit dem übrigen Schffskör-per bildete, mußte ihm schon das Rückgrat gebrochen sein. Es war doch seltsam, daß Pelham-Martin ohne seine hartnäckige Forderung nach diesem letzten Angriff jetzt noch unverletzt gewesen wäre.
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