Während Bolitho so das Gewimmel an Deck beobachtete, das ihn an einen Marktplatz erinnerte, fiel ihm wieder der Rat des Vizeadmirals ein, sich seinem Rang entsprechend fernzuhalten und nicht in die Angelegenheiten niedriger Dienstgrade einzugreifen.
Der Bootsmannsmaat rannte an Bord herum und übertönte mit seiner schrillen Pfeife die Geräusche von Wind und Wellen.
«Alle Mann! Alle Mann an Deck als Zeugen der Bestrafung!»
Herrick stand an der Reling, die Kriegsartikel unter den Arm geklemmt und das Kinn tief in sein Halstuch gedrückt, während Matrosen und Seesoldaten in Scharen nach achtern strömten. Bolitho kehrte zur Hütte zurück. Ich kann mich aber nicht fernhalten, dachte er. Es läßt sich nun mal nicht ändern, daß ich mich selbst betroffen fühle.
Browne folgte ihm durch den halbdunklen Gang, an dem steifen Wachsoldaten vorbei in die Kajüte und schloß die Tür.»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?»
Bolitho reichte Ozzard seinen Uniformrock und lockerte Hemdkragen und Halstuch.
«Ja, Oliver. Schließen Sie das Oberlicht.»
Sicher war Strafe notwendig, aber das Klatschen, mit dem die neunschwänzige Katze auf den nackten Rücken eines Mannes niedersauste, war ihm deshalb nicht weniger verhaßt. Er ließ sich auf die Heckbank sinken und starrte zur Nicator hinüber, deren hoher Umriß nach der Wende dem Flaggschiff gehorsam auf dem neuen Schlag folgte.
«Ihr Sekretär wartet mit Papieren, die offenbar Ihre Unterschrift erfordern, Sir«, meldete Browne.»Soll ich ihn wegschicken?»
Bolitho seufzte.»Nein, lassen Sie Yovell vor. Ich kann die Abwechslung brauchen.»
Über ihnen hob und senkte sich die Peitsche im hellen Sonnenlicht über dem Rücken des ersten Delinquenten. Die Mannschaft sah mit leeren Blicken zu, und nur die näheren Freunde des Bestraften wandten die Augen ab, vielleicht aus Scham.
Nach dem Strafvollzug wurde die Gräting wieder abgebunden, die Leute wurden zum Mittagessen gerufen, das sie mit einem großen Krug Bier hinunterspülten.
Die beiden Delinquenten wurden ins Schiffslazarett hinuntergeschafft, wo man die Striemen auf ihren Rücken versorgte und ihr Selbstbewußtsein mit einer großen Portion Rum aus dem Giftschrank des Arztes wiederherstellte.
Bolitho saß an seinem Schreibtisch, endlich allein in der Kajüte, und hatte einen Bogen Briefpapier vor sich liegen. Der Brief würde sie vielleicht nie erreichen, aber das Schreiben half ihm, ihre Nähe zu spüren, während immer mehr Wasser sie trennte.
Er tauchte die Feder ein und begann zu schreiben:
>Meine geliebte Belinda, es ist erst wenige Stunden her, daß ich Dich verlassen mußte.<
Oben an Deck wurde das Licht schwächer, als die Sonne kupferrot hinter die Kimm sank. Herrick besprach die Reffs für die Nacht und die Notsignale, denn das Land war schon außer Sicht geraten; hier draußen mochte jedes fremde Segel einem Feind gehören.
Schließlich war die Benbow ein Kriegsschiff und konnte auf die zarteren Gefühle ihrer Insassen keine Rücksicht nehmen.
XII Befehl vom Flaggschiff
Den Hut fest unter einen Arm geklemmt, betrat der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne die große Achterkajüte und blieb wartend stehen, bis Bolitho von seinen Papieren aufblickte.
«Ja?»
Brownes weltläufige Züge blieben unbewegt, als er meldete:»Segel in Nordwest gesichtet, Sir. «Aus Erfahrung wußte er, daß Bolitho den Ruf aus dem Ausguck längst gehört hatte.
«Danke.»
Bolitho rieb sich die müden Augen. Sie hatten über eine Woche gebraucht, um den Treffpunkt mit dem Rest des Geschwaders zu erreichen. Zwei schnellen Segeltagen mit frischem achterlichem
Wind waren schlechtere Tage gefolgt, in denen immer wieder Segel und Rahen neu getrimmt werden mußten, weil der Wind umsprang; unzählige Male mußten die müden Toppsgasten aufentern, um in einer plötzlichen Sturmbö die Segel zu kürzen, und kaum waren sie unten an Deck, hieß es wieder aufentern zum Ausreffen, weil der Wind nachgelassen hatte.
Ihr Kurs hatte sie erst nach Westen auf den Atlantik hinaus geführt und dann nach Norden, an der Küste Portugals entlang. Ab und zu hatten sie ein fremdes Schiff gesichtet, aber wegen der Schwerfälligkeit der beiden großen Linienschiffe und wegen der großen Entfernung war nähere Rekognoszierung unterblieben. Jetzt warf Bolitho seinen Stechzirkel aus Messing auf die Seekarte und erhob sich.»Was für ein Schiff könnte das sein?»
Und welche Neuigkeiten würden ihn bei seinem kleinen Geschwader erwarten? Ganymede sollte inzwischen mit jedem der patrouillierenden Schiffe Kontakt aufgenommen und angekündigt haben, daß die Flagge des Konteradmirals bald wieder über dem Geschwader wehen würde.
«Angeblich eine Fregatte, Sir«, antwortete Browne.
Ihre Blicke trafen sich. Das ließ auf Phalarope schließen, es sei denn, sie hatten ein französisches Schiff vor sich, das unbemerkt durch die Blockade geschlüpft war.
«Darf ich mich erkundigen, welches Ihre Pläne sind, Sir?«forschte Browne.
«Zuerst werde ich mit Emes sprechen.»
Im Geist hörte er noch Herricks Worte: >Überlassen Sie ihn, mir, Sir. Ich erledige ihn ein für allemal.< Herrick war zwar loyal, aber voreingenommen. Und wie mochte Adam die Sache beurteilen? Schon zweimal hätte er beinahe einen frühen Tod gefunden, weil er den guten Namen seines Onkels verteidigte. Aber nein, Emes dünkte Bolitho nicht der Mann, der Adams Karriere opfern würde, um seinen eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Vor einem Kriegsgericht allerdings waren schon die unvermutetsten Wendungen eingetreten.
Draußen hörte er Herricks Schritte näher kommen; Ozzard beeilte sich, ihm die Lamellentür zu öffnen, und Bolitho bat Browne, sie allein zu lassen.
Herrick stürzte in die Kajüte und nahm kaum wahr, daß der Flaggleutnant an ihm vorbei hinauseilte.
«Nehmen Sie Platz, Thomas«, wies Bolitho ihn an.»Und beruhigen Sie sich.»
Noch geblendet vom gleißenden Sonnenlicht, sah Herrick sich nervös in der Kajüte um.
«Ich mich beruhigen, Sir? Das ist viel verlangt. «Er verzog das Gesicht.»Es ist doch tatsächlich Phalarope.« Fragend hob er die Augenbrauen.»Das überrascht Sie nicht, Sir?»
«Nein. Während unserer Abwesenheit hatte Kapitän Emes hier das Kommando. Er ist ein erfahrener Kommandant. Wäre da nicht sein früheres Mißgeschick, hätte sein Verhalten bei der Ile d'Yeu kaum Kritik ausgelöst. Nicht einmal von Ihnen, Thomas.»
Herrick rutschte auf seinem Stuhl herum.»Das bezweifle ich.»
Bolitho trat zu den Heckfenstern und beobachtete die Möwen, die über dem Kielwasser kreisten; der Koch hatte wahrscheinlich Abfälle über Bord geworden.
«Ich brauche jeden erfahrenen Offizier, Thomas. Wenn einer davon versagt, dann trifft seinen Kommandanten die Schuld. Und wenn ein Kommandant sich als zu schwach erweist, dann liegt die Verantwortung dafür beim Admiral. «Er lächelte säuerlich.»In Emes' Fall also bei mir. «Erhob die Hand.»Nein, lassen Sie mich ausreden, Thomas. Viele Offiziere meines Geschwaders sind noch unerfahren. Wenn sie bisher auf zornigen Widerspruch stießen, dann kam er von keinem höheren als dem Master oder dem Ersten Offizier. Habe ich recht?»
«Kann schon sein, Sir.»
Bolitho lächelte.»Das ist nicht gerade eine begeisterte Zustimmung, Thomas, aber für den Anfang reicht's. Wenn wir, wie es meine Absicht ist, diese französischen Schiffe angreifen und vernichten wollen, werde ich von meinen Kommandanten das Äußerste verlangen müssen. Inzwischen steht fest, daß wir auf Verstärkung nicht hoffen können, auch Sir John Studdart hatte keine Anweisung, eines seiner eigenen Schiffe zu unserer Unterstützung abzustellen. «Bolitho bemühte sich gar nicht erst, die Verbitterung in seinem Ton zu verbergen.»Nicht mal ein armseliges Mörserboot!»
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