Bolitho nahm den glänzenden Prunksäbel von der Wand und wog ihn nachdenklich in den Händen, während ihm selbstquälerische Gedanken durch den Kopf gingen.
Herrick wollte ihn ablenken.»Eine Menge anständiger Leute haben Ihnen mit dieser Ehrengabe zeigen wollen, daß sie auf Ihrer Seite stehen. Genau wie ich. Also fürchten Sie nichts. Wir halten zu Ihnen, ganz gleich, was kommt. «Damit erhob er sich etwas zu abrupt und mußte sich an der Bank abstützen. Er grinste.»Ziemlicher Seegang heute, Sir.»
Bolitho beobachtete ihn; wie immer rührte ihn Herricks Ernsthaftigkeit.
«Die See ist ruhig wie ein Dorfteich, Thomas. Nein, es liegt am Wein.»
Herrick besann sich auf seine Würde und schritt zur Tür.»Und warum auch nicht, Sir? Ich habe Grund zum Feiern.»
Bolitho sah ihm nach und murmelte:»Gott segne dich dafür, Thomas.»
Browne mußte schon draußen gewartet haben; er trat jetzt ein, und Bolitho bat ihn:»Machen Sie dem Kapitän der Thrush einen Besuch, Oliver, und arrangieren Sie die Rückreise für — «, er wandte sich ihm zu — ,»für die Lady des Admirals. Vergewissern Sie sich, daß sie gut aufgehoben sein wird. Sie sind darin geschickter als jeder andere.»
Brownes Gesicht blieb ausdruckslos, als er sagte:»Die Thrush läuft schon morgen aus, Sir. In aller Frühe.»
«Das weiß ich.»
So weit war Belinda gereist, getrieben von der kaum zu rechtfertigenden Überzeugung, daß er noch am Leben sei. Und jetzt schickte er sie mit dem nächsten Schiff fort. Aber er spürte, daß er recht daran tat, daß sie ihn verstehen würde.
In einem plötzlichen Impuls sagte er:»Ich gehe an Land. Meine Bootscrew soll sich bereithalten. «Er sprach so schnell, als wolle er jedem Gegenargument zuvorkommen.»Wenn Sie mich brauchen, ich bin…«Er zögerte.
Browne reichte ihm seinen Hut und den Standardsäbel, mit dem Herrick ihn ausgestattet hatte.
«Ich verstehe, Sir. Überlassen Sie ruhig alles mir.»
Bolitho schlug ihm auf die Schulter.»Wie bin ich nur früher ohne Sie ausgekommen?»
Browne folgte seinem Admiral an Deck, und während die Pfeifen schrillten und die Bootscrew zusammentrat, erwiderte er:»Das beruht auf Gegenseitigkeit, Sir.»
Als die Barkasse dann zügig aus dem Schatten der Benbow pullte, blickte Bolitho zum Gewirr ihrer Rahen, Stagen und Wanten empor und zur würdevollen Galionsfigur, einem Porträt von Admi-ral Sir John Benbow. Der war seinen Verletzungen erlegen, nachdem er von einigen seiner Kommandanten verraten worden war.
Bolitho dachte an Herrick und Keen, an Inch und an Neale, der seine Loyalität mit dem Leben bezahlt hatte.
Wenn Admiral Benbow solches Glück wie er gehabt hätte, wäre die Geschichte anders ausgegangen.
Allday blickte auf Bolithos gerade Schultern hinab und auf den schwarzen Zopf über dem goldbetreßten Kragen. Wenn es um eine Frau ging, sinnierte er, waren alle gleich, Admiral wie Matrose.
Das Zimmer war klein, aber gemütlich, und nur die dicken Außenwände verrieten, daß es in der Festung von Gibraltar lag. An der Wand hingen Porträts und anderer Zierat und erinnerten daran, daß hier sonst Agenten der Handelskompanie übernachteten, wenn sie der Garnison von Gibraltar einen Besuch abstatteten.
Leise sagte Bolitho:»Ich dachte schon, sie würden uns nie allein lassen.»
Er hatte die Barclays erst vor kurzem kennengelernt, sah das Ehepaar aber schon als Einheit, nicht als zwei verschiedene Menschen.
Belinda griff lächelnd nach seiner Hand.»Es sind nette Leute, Richard. Aber für sie…»
Er legte ihr den Arm um die Taille, und sie traten zum Fenster. Die Sonne war schon über den Felsen hinweggewandert, unter ihren schräg einfallenden Strahlen wirkten die in regelmäßigen Abständen auf dem dunkelblauen Wasser der Reede ankernden Kriegsschiffe wie Spielzeug. Nur hier und da zog ein schnell gerudertes Boot sein pfeilförmiges weißes Kielwasser über die Bucht und zeugte für den unermüdlichen Dienstbetrieb in der Flotte.
Belinda legte den Kopf an seine Schulter und murmelte:»Von hier oben sieht die Thrush so winzig aus. «Sie ließ den Blick zur Benbow schweifen, die an der Spitze der verankerten Schiffe lag.»Wenn ich bedenke, daß du diese vielen Männer und Schiffe befehligst, kommt es mir vor, als hätte ich zwei Menschen in einem Mann vor mir.»
Bolitho trat hinter sie und fühlte ihr Haar auf seinen Lippen. Endlich waren sie allein. Auf diesem überfüllten, künstlich geschaffenen Außenposten hatten sie ein Plätzchen gefunden, wo sie für sich sein konnten. Es kam ihm vor, als blicke er auf den Rest der Welt, ja auf sein anderes Ich aus großer Höhe hinab.
Belinda hatte recht. Dort unten war er Oberbefehlshaber, ein Mann, der mit einem einzigen Flaggensignal über Leben und Tod vieler Menschen entscheiden konnte. Aber hier oben war er nur er selbst.
Sie lehnte sich enger an ihn.»Wenn du Gibraltar verläßt, dann gehe ich auch. Ich bin froh, daß jetzt alles arrangiert ist. Sogar meine neue Zofe Polly freut sich auf die Reise, weil sie hofft, Allday wiederzusehen. Er hat ihr den Kopf verdreht.»
«Ich möchte so vieles mit dir besprechen, Belinda. Wir sehen uns nur so kurz, und bald.»
«Bald sind wir wieder getrennt, ich weiß. Aber ich will einfach nicht daran denken. Wenigstens nicht in den nächsten Stunden. «Bolitho spürte, daß sie sich versteifte.»Wird es denn sehr gefährlich werden? Und bitte, schone mich nicht. Du weißt, jetzt kannst du mir die Wahrheit sagen.»
Bolitho blickte an ihrem Kopf vorbei zu den Schiffen hinaus, die träge an ihren Ankertrossen schwojten.
«Wir werden kämpfen müssen. «Für ihn war es eine neue Erfahrung, mit einem Menschen über seine Gefühle sprechen zu können.»Man wartet und wartet, versetzt sich an die Stelle des Feindes, und wenn es dann schließlich zum Gefecht kommt, ist plötzlich alles anders. Die Leute zu Hause glauben, daß Seeleute für König und Vaterland kämpfen und um ihre Lieben daheim zu schützen. Das stimmt natürlich auch. Aber wenn die Kanonen brüllen und das feindliche Schiff wie ein Zerrbild des Teufels vor dir aus dem Rauch auftaucht, plötzlich so nahe, daß du es fast berühren kannst, dann denkst du nur an den Mann neben dir. Ein Kamerad schreit nach dem anderen, denn was Seeleute verbindet, das ist stärker als abstrakte Symbole und Begriffe einer Welt jenseits ihres Schiffes.»
Er spürte, daß sie aufschluchzte, und erschrak.»Vergib mir, das hätte ich nicht sagen dürfen.»
Sie schüttelte den Kopf.»Nein, ich bin stolz darauf, wenn ich es mit dir teilen darf. Dann fühle ich mich eins mit dir.»
Er ließ seine Hände höher gleiten und spürte, wie sie zusammenfuhr, als er ihre Brüste berührte.
«Belinda, du mußt mir zeigen, wie man liebt. Ich lebe jetzt schon so lange auf See, in dieser Männerwelt, daß ich mich davor fürchte, etwas falsch zu machen. Ich könnte dich verstören.»
Sie antwortete zunächst nicht, aber als er sie an sich zog, konnte er ihren Herzschlag spüren. Dann flüsterte sie so leise, daß er sich zu ihr hinabbeugen mußte:»Ich habe es dir ja schon gesagt: Ich sollte mich eigentlich dafür schämen, daß ich mich so nach dir sehne. «In seinen Armen drehte sie sich um und sah zu ihm auf.»Aber ich schäme mich nicht.»
Bolitho küßte ihren Hals, wußte, er mußte sich beherrschen, konnte es aber nicht. Belinda streichelte sein Haar und stöhnte leise auf, als sein Mund ihre Brüste streifte.
«Ich brauche dich, Richard«, flüsterte sie.»Wir wissen beide nicht, was morgen sein kann. «Als er protestierend den Kopf hob, sagte sie mit festerer Stimme:»Glaubst du, ich begnüge mich mit der Erinnerung an die Umarmungen meines toten Mannes, wenn ich doch nur dich will? Wir haben beide schon geliebt und sind geliebt worden, aber das gehört jetzt der Vergangenheit an.»
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