Herrick.
Unter ihnen auf dem Batteriedeck hasteten Seeleute auf ihre Stationen, Befehle gellten und Fäuste hoben sich, entsprechend den von der Wachrolle abgelesenen Namen.
Benbow machte klar zum Auslaufen. Bei anderen Gelegenheiten sah man selten fast die gesamte Besatzung auf den oberen Decks: Matrosen und Seesoldaten, Schiffsjungen und Freiwächter, die höchsten Dienstgrade neben den niedrigsten. Das Schiff stach wieder in See, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck, das war nicht ihr Problem.
Wie jeder erfahrene Erste Offizier ging Wolfe im Geiste die Liste seiner Arbeiten durch, die er an diesem Tag erledigen mußte. Ob auf See oder im Hafen, das Schiff verlangte seine ganze Aufmerksamkeit, und außerdem mußte er den Kommandanten auf dem laufenden halten.
«Zwei Mann sind heute vormittag fällig zur Bestrafung, Sir. Der Matrose Page erhält zwei Dutzend Hiebe für Trunksucht und Rauferei. «Wolfe blickte von seiner Liste hoch und sah Herrick an.»Und ein Dutzend für Belcher, wegen Aufsässigkeit. «Zufrieden faltete er seine Liste zusammen.»Alle Mann sind an Bord, keine Deserteure.»
«Sehr gut. Dann bemannen Sie das Ankerspill. Bringen Sie das Schiff in Fahrt.»
Herrick ließ sich von einem Midshipman sein Teleskop reichen und richtete es auf die mit achtzig Kanonen bestückte Dorsetshi-re. Sir John Studdart dort drüben hatte keine Einwände mehr geltend gemacht, wahrscheinlich wollte er sich aus der ganzen Sache weise heraushalten. Jeder, der Bolitho öffentlich unterstützte oder sein Vorgehen gegen die feindliche Invasionsflotte förderte, mochte bei einem Mißlingen mit ihm den Wölfen vorgeworfen werden. Herrick lächelte grimmig. Als ob irgendwer Bolitho jetzt noch aufhalten könnte! Er blickte nach oben und sah die Flagge im Besantopp in der frischen Morgenbrise steif auswehen. Die Sache war entschieden. An Dulcie und ihre Reaktion, wenn sie hörte, daß er seinen Kommodorewimpel wieder abgeben mußte, wollte er lieber nicht denken.
Wolfe sprach ihn an.»Ich war heute morgen früh auf, Sir, und sah den Admiral an Bord kommen.»
Herricks blaue Augen musterten ihn nachsichtig.»Na und?»
Wolfe zuckte die Achseln.»Nichts weiter, Sir. «Dann schluckte er.»Das Ankerspill ist bemannt, aber der Fiedler kratzt wieder zum Steinerweichen. Ich sehe vorn besser nach dem Rechten.»
Herrick unterdrückte ein Lächeln. Natürlich war ihm Bolithos Rückkehr am frühen Morgen nicht entgangen. Und mit ihm wußte wahrscheinlich das ganze Schiff den Grund dafür oder ahnte ihn wenigstens. Aber so war es eben an Bord: Man teilte die schönen Erlebnisse miteinander ebenso wie die schlimmen. Mit lautem Klicken drehte sich das Ankerspill, die Männer stemmten sich in die Handspaken, bis sie schwitzten und keuchten, während der Fiedler ihnen mit einem alten Shanty den Rhythmus vorgab.
Die lose aufgegeite, große Breitfock begann sich an ihrer Rah zu rühren, und auch auf den anderen Rahen legten die flinkfüßigen Toppsgasten um die Wette aus und machten die anderen Segel auf Wolfes durch die Sprechtrompete gerufene Kommandos zum Setzen klar.
Über das glitzernde Wasser hinweg sah Herrick, daß auf der Nicator die gleiche Betriebsamkeit herrschte. Er freute sich, daß das Geschwader bald wieder in alter Geschlossenheit segeln würde. Zum letzten Mal? Es fiel ihm schwer, sich nach den vielen Kriegsjahren einen Frieden vorzustellen.
Er wandte sich um, weil er Schritte kommen hörte, und gewahrte Bolitho mit Browne wie einen Schatten hinter sich. Sie begrüßten einander formell, und Herrick meldete:»Keine neuen Anweisungen vom Flaggschiff, Sir. Der Anker ist kurzstag, und das Wetter scheint gut zu werden. Ganymede ist Ihrem Befehl entsprechend um acht Glasen ausgelaufen und geleitet das Postschiff Thrush auf See hinaus. «Er beobachtete Bolitho.
Aber dieser nickte nur.»Danke. Ich sah sie auslaufen. Gany-mede wird lange vor uns zum Rest des Geschwaders stoßen.»
Herrick meinte:»Ich würde ja gern Adam Pascoes Gesicht sehen, wenn er erfährt, daß Sie überlebt haben. Ich weiß noch, wie ich auf diese Nachricht reagierte.»
Bolitho wandte sich nach dem anderen Vierundsiebziger um. Aber im Geist sah er die kleine Thrush wieder die Reede verlassen und nur Minuten nach dem Verstauen ihres Ankers die braunen Segel setzen. Wahrscheinlich hatte Belinda drüben ebenso nach der Benbow ausgespäht.
Der Signalfähnrich meldete:» Nicators Anker ist kurzstag, Sir!»
«Danke, Mr. Stirling. Bestätigen.»
Browne interessierte sich plötzlich intensiv für einen Matrosen, der neben ihm eine Leine teerte. Denn Herrick hatte höflich gefragt:»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, Sir?»
Bolitho musterte ihn ausdruckslos.»Das ist es, Kapitän Herrick.»
Plötzlich grinsten sie einander an wie Verschwörer, und Herrick fügte hinzu:»Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück, Sir. Mein Gott, als.»
«Klar, Sir!»
Wolfes rauhe Stimme ließ Herrick an die Reling eilen.»Vorsegel los!«Dann deutete er nach oben.»Und Bramsegel los!»
Mit knallenden Segeln, ein Bild der Unordnung, wurde Benbow kurz vom Wind herumgedrückt; der füllige Rumpf tauchte in Lee tiefer ins Wasser, als sie unter dem Segeldruck krängte.
Aber dann:»Hol dicht die Brassen!«kam das Kommando.»Hievt, Leute, hievt!»
Jetzt wurde die Drehung kontrollierter, immer schneller schwangen der Uferstreifen und die dunstverhüllten Hügel vor dem Bug herum, bis der Master mit Ruder und Kompaß System in die Bewegung brachte.
Drüben legte sich Nicator in der auffrischenden Brise über und setzte mehr Segel. Ihre rote Nationalflagge und der Masttoppwimpel wehten fast dwars aus, als sie ihre Station neben dem Flaggschiff einnahm.
«Die Spanier haben unsere Ankunft beobachtet«, resümierte Bo-litho.»Jetzt können sie auch unseren Aufbruch weitermelden. «Er warf einen Blick zum Land hinüber, sah aber nur das stille kleine Zimmer vor sich und Belindas weiße Arme.
Er schritt nach Luv hinüber und lauschte dem Kommandogebrüll, dem Quietschen der Taljen und Blöcke, als Wind- und Schwerkraft auf die vielen Meilen laufenden Guts einzuwirken begannen.
Vorn am Bug war der Anker wieder sicher an seinen Kranbalken gekettet worden; Dodge, der Artillerieoffizier, bellte Anweisungen, während er mit seinen Männern die Laschings an jeder Kanone überprüfte.
Ein Bootsmannsmaat ließ am Niedergang eine Gräting aufrig-gen, auf der nachher der Delinquent für die Prügelstrafe festgebunden werden sollte. Dabei bewies er die gleiche Gemütsruhe wie der Gehilfe des Segelmachers, der weiter vorn einen Haufen Tuch durchsah. Alles war Routine und Drill; sie hielten das Schiff genauso fest zusammen wie Kupfer und Teer.
Allday verschwand mit seinem neuen Entermesser durch eine Luke unter Deck; wahrscheinlich wollte er es schärfen. Wem mochte jetzt wohl Alldays altes Entermesser gehören? überlegte Bolitho. Er hatte es mit solcher Wut in den Sand gestoßen, als sie gefangengenommen wurden. Allday schien Bolithos Blick zu spüren und wandte sich nach dem Achterdeck um. Mit einem kleinen Lächeln für Bolitho und Herrick tippte er grüßend an die Stirn.
Einige Midshipmen umstanden einen der Achtzehnpfünder auf dem oberen Batteriedeck und ließen sich von einem jüngeren Leutnant erklären, wie die Mannschaft bei Ausfall eines Kameraden die Positionen zu wechseln hatte, damit beim Laden und Abfeuern keine Verzögerung eintrat. Der Leutnant sprach mit besonders autoritärem Ton, denn er war sich der über ihm aufragenden Gestalt seines Admirals wohl bewußt. Bolitho mußte lächeln: Der Junge war kaum ein Jahr älter als die Kadetten, die er unterwies.
Aus dem Kombüsenschornstein stieg Rauch auf; dort unten machte der Koch wohl das Beste aus der knappen Frischnahrung, die er bei ihrem kurzen Gibraltaraufenthalt hatte ergattern können.
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