Der andere schüttelte den Kopf. Er wandte sich zum Vorderdeck, wo die Äthiopier bereits den Widerstand zu beseitigen versuchten. »Schaut nach, ob Hindernisse im Flußbett liegen. Am Tage war alles frei.«
Zwei der Äthiopier gingen mit Äxten ans Werk. Sie untersuchten die Wurzeln, die ein wahres Netz bildeten. Plötzlich entrang sich ihnen ein Schrei der Überraschung: »Du hattest recht, Herr«, rief der eine. »Die Durchfahrt ist gänzlich geschlossen worden! Man hat Pfähle in das Flußbett gerammt und Pflanzen von der großen Insel dort darübergezogen.«
»Haut die Hindernisse nieder!« befahl Ata wutentbrannt. »Glücklicherweise ist der Fluß hier breit!«
Währenddessen erschien Mirinri auf Deck. Statt des langen, weißen, einer Standesperson nicht würdigen Gewandes trug er das einfache Nationalkostüm der alten Ägypter, eine Kalasiris, die in einem leichten, durchsichtigen, blau- und weißgestreiften Kleid bestand, das von Kopf bis Fuß ging. Der runde, bunte Kragen aus gestärkter Leinwand war mit Schnüren und Ketten verziert, an welchen Glasperlen und religiöse Symbole aus farbigen Steinen hingen. Der Jüngling war nicht mehr barfuß, sondern trug Strümpfe und Sandalen, ein nur den Reichen erlaubter Luxus. Letztere bestanden aus schichtweise übereinander gelegten Papyrusblättchen. Ein zwischen den großen Zehen hindurchgehender Riemen hielt sie.
»Was ist geschehen?« fragte Mirinri erstaunt den Priester, als er die Aufregung der Äthiopier sah, in deren Mitte der Ägypter Befehle erteilte.
»Wir haben jetzt den Beweis, daß wir überwacht werden«, antwortete Unis düster. »Man hat unsere Weiterfahrt künstlich gehemmt. Und um diese Arbeit zu vollbringen, sind viele Barken mit einer großen Anzahl von Männern erforderlich gewesen.«
»Was? Sollten wir schon so bald entdeckt worden sein, während du mich jahrelang hast verstecken können? Sag, ist Ata treu? Wer kann das Geheimnis verraten haben?«
»Wahrscheinlich jene Nilfahrt der Prinzessin! Man sucht dich übrigens schon lange ....«
»Könnte sie die Tochter des Usurpators gewesen sein?« Tiefe Bewegung malte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes. Er schwieg einige Augenblicke, wie in sich gekehrt. Dann fuhr er zögernd fort:
»Und doch kann ich nicht glauben, daß jenes Mädchen meinen Tod wollte.«
»Hasse sie wie deinen schlimmsten Feind!«
»Nein. Ich kann sie nicht vergessen. Besitzen denn die Frauen der Pharaonen Zaubermittel?«
Unis seufzte tief. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an. »Unser Schicksal liegt in unserem Blut«, murmelte er. Dann ging er zu Ata, der das Werk der Äthiopier leitete.
»Wir werden bis zum Morgen zu tun haben und vielleicht noch länger!« rief dieser. »Die Zahl der Pfähle will kein Ende nehmen. Ein infamer Verrat!«
Plötzlich vernahm man lautes Lachen und Rufen vom linken Nilufer her.
»Kommt zu uns!« schrien laute Kehlen. »Trinkt mit uns den süßen Palmenwein!«
»Landet hier!« riefen andere. »Oder wir bohren euer Schiff in den Grund und geben euch Flußwasser zu trinken!«
Am Ufer stand ein Schwarm von Männern und Frauen, die sich wie Narren gebärdeten. Sie tanzten und machten Sprünge unter den gefiederten Blättern der hohen Palmen.
»Hierher! Hierher! Es ist das Bastfest! Keiner darf sich weigern mitzufeiern!«
Und zwischen dem Geschrei der Leute hörte man ein ohrenbetäubendes Hörnerblasen. Harfen ließen dagegen sanfte Klänge ertönen, die sich mit den schrillen Lauten der Gitarren vermischten.
»Ist das eine Falle, oder sollte es doch das Trinkerfest sein?« sagte Ata kopfschüttelnd.
»Was sind das für Leute?« fragte Mirinri, der abseits von solchen Festen erzogen war.
»Alljährlich versammeln sich Hunderte, ja Tausende an den Ufern des heiligen Flusses, um den Rest der Jahresernte an Palmwein auszutrinken. Und niemand darf heimkehren, ohne trunken zu sein.«
»Eine Sitte unseres Volks«, fiel der Priester ein.
»Wir werden wohl ihre Einladung annehmen müssen«, fuhr Ata fort. »Betrunkene sind zu allem fähig. Sonst würden wir Gefahr laufen, daß sie uns mit ihren Schaluppen holen.«
»Gut, vermeiden wir jeden Argwohn und landen wir hier«, meinte Unis. »Es scheint mir, daß wir vor morgen früh unsere Fahrt doch nicht fortsetzen können.«
Zwischen den Männern am Strand wandelten festlich gekleidete Mädchen mit ihren Musikinstrumenten. Auch sie riefen den Insassen des Segelschiffes zu, sich an der Orgie zu beteiligen und einige Becher zu Ehren der Göttin Bast zu leeren [17] Bast Die Göttin Bast (auch Pacht genannt), Gottheit der Katzen, wurde mit dem Kopf einer Katze dargestellt. Ihr Tempel stand in der Stadt Bubastis in Unterägypten.
. Ata stieg mit Unis und Mirinri, begleitet von acht Äthiopiern, an Land.
Zumeist waren es Fischer und Schiffsleute, die sie hier johlend empfingen. Sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Ihre Kleidung bestand nur aus einem Lederschurz und irgendeinem bunten, über Kopf und Schultern geworfenen Schal. Auch junge Männer aus höheren Kreisen fehlten nicht. Sie waren mit einer reichen Kalasiris bekleidet, hatten gestärkte Kragen, Perücken mit langen, an den Schläfen herunterhängenden Zöpfen und falsche Bärte.
Prächtig waren die bunten, schleierartigen Gewänder der Tänzerinnen. Die Enden ihres um die Hüften geschlungenen Schals fielen bis zur Erde. Das feine Kopftuch verhüllte nur halb die sonderbare Zopffrisur. Einige trugen einen Kopfputz aus Goldplättchen, von einem goldenen Raubvogel zusammengehalten. An ihren Perlenketten hingen dicke, runde Anhänger aus vielfarbiger Emaille. Alle Tänzerinnen waren jung und schön mit schlanker Gestalt und goldbrauner Haut, auf der goldene Armspangen blitzten.
Während man die Ankömmlinge umringte und ihnen volle Weinamphoren und große Becher aus Ton darbrachte, bildeten die Spielerinnen einen Kreis um ein Gefäß von riesenhaftem Umfang. Auf diesem stand ein Mann, der voll des süßen Weines war. Er sollte Maneros, den Erfinder der Musik, darstellen. Man huldigte ihm mit Spiel auf Blas- und Saiteninstrumenten.
Bald schon schien das anfängliche Interesse der Männer für die Neuangekommenen wieder abzunehmen; man wandte sich jetzt erneut den Spielerinnen zu. Die Tänzerinnen führten am Strand unter Lachen und Beifallsrufen ihre Reigen auf. So blieben Ata, Unis und Mirinri allein. Sie saßen um eine dicke Amphore, die man ihnen überlassen hatte.
»Ist euch irgend etwas Verdächtiges aufgefallen?« fragte der Priester.
»Ich sehe nur Leute, die sich amüsieren wollen«, sagte Mirinri.
»Aber ich bin in Sorge«, meinte Ata. »Warum hat man gerade diesen Ort für das Fest gewählt? Gerade hier, wo wir durchfahren mußten! Besser, wir enteilen, sobald der Kanal frei ist. Solange wir nicht in Memphis sind, habe ich keine Ruhe.«
»Wird uns da nicht noch größere Gefahr drohen?« fragte Mirinri.
»Dort habt ihr treue Freunde, eine sichere Unterkunft harrt eurer. Nun haben wir der Bast unsere Huldigung dargebracht. Also kann uns nichts mehr hindern!«
Sie leeren noch einige Becher und erhoben sich. Als sie sich aber dem Ufer zuwandten, wurden sie durch das Geschrei eines Mädchens aufgehalten, das von einer wilden Rotte verfolgt wurde.
»Haltet sie, die Zauberin!« rief man von allen Seiten.
»Laßt mich, laßt mich, ihr Elenden!« Eine schluchzende Stimme war hörbar.
»Haltet sie!« brüllte die Menge. »Sie muß uns verraten, wo der Schatz versteckt liegt!«
Immer mehr Trunkene schlossen sich an. Man verfolgte unter Drohungen und Verwünschungen eine der Saitenspielerinnen. Die tanzenden und musizierenden Mädchen stoben erschreckt auseinander. Viele ließen ihre Instrumente im Stich, die unbarmherzig von der Menge zertreten wurden.
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