Die Augen des Alten blitzten auf voll Stolz und Befriedigung. »Und das Gerippe hier, das gewagt hat, den Platz meines Vaters einzunehmen, soll sein Grab in den Eingeweiden der Schakale finden!« Mit diesen Worten legte Mirinri die Mumie in den Wüstensand. »Jetzt auf nach Memphis!«
»Geduld, mein Sohn«, sagte der Priester. »Wir können nur unter größter Vorsicht dorthin gelangen. Zuerst müssen wir uns mit den Freunden deines Vaters in Verbindung setzen. In drei oder vier Tagen werden wir aufbrechen können; vorläufig aber kehren wir in unsere Felsenhöhle zurück.«
Am Abend desselben Tages ließ der Priester, während Mirinri schlief, kleine Leuchtkugeln in den Nil, welche unter Wasser brannten. »Die wachsamen Freunde werden bald wissen, daß Mirinri bereit ist«, murmelte er. »Möge Osiris den Sohn der Sonne schützen!«
Drei Tage später legte ein Segler an der Stelle an, wo Mirinri das Symbol der Herrschergewalt über Leben und Tod gefunden hatte.
Am Mastbaum stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einer dicken Lockenperücke. Lange Zöpfe hingen ihm bis über die Schultern. Seine Kleidung bestand aus zwei rechteckigen Schürzen aus blauer Baumwolle, die, vorn zusammengefaltet, an den Hüften mit einem Ledergurt gehalten wurden. Es war ein Ägypter über die Fünfzig. Sobald das Schiff sich dem hohen, mit Palmen besetzten Ufer genähert hatte, ließ er die Brücke hinüberwerfen. Dann schlug er kräftig auf seine trichterförmige Trommel, während einer seiner Leute auf einer Flöte blies mit langgezogenen Tönen, die man meilenweit hören konnte. Diese durch die Trommelschläge verstärkte Musik dauerte minutenlang und übertönte das Rauschen des Wassers, das fortwährend an den Strand schlug.
Als Unis und Mirinri endlich aus dem Palmenwäldchen heraustraten, gab der Ägypter dem Flötenspieler ein Zeichen zu verstummen.
»Möge dir Ra Heil bringen, Ata!« rief der Priester. »Ich führe dir hier den Sonnensohn zu. Die Osirisblume und die Memnonsäule haben ihn als Pharao befunden!«
Der Befehlshaber des Schiffes stieg an Land, kniete vor Mirinri nieder und küßte den Saum seines Gewandes. »Gegrüßt seist du, Abkömmling Tetis des Großen! Ägypten verlangt nach seinem legitimen Herrscher!« sprach er.
»Wer bist du?« fragte der Jüngling.
»Deines Vaters ergebenster Freund, der dich nach Memphis führen will. Dort ist jetzt dein Platz, und nicht mehr in der Wüste.«
»Vertraue ihm«, sagte Unis zu seinem Zögling. »Er hat dich aus dem Königspalast entführt, als du noch Kind warst, und hat dich in Sicherheit gebracht vor Pepis Verfolgungen.«
»Wenn ich einst wirklich den Thron meiner Vorfahren besteigen sollte, werde ich auch dir meine Dankbarkeit erweisen«, wandte sich Mirinri an den Ankömmling.
»Hast du meine Feuerzeichen unter dem Wasser bemerkt?« fragte der Alte den Freund.
»Ja, ich ließ sie bei Pamagit anhalten, damit die Späher des Usurpators nicht Verdacht schöpfen. Wir müssen vorsichtig sein; bei Hof und im Volk wird schon lange vermutet, daß Tetis Sohn noch lebt.«
»Wer könnte das Geheimnis, das wir jahrelang hüteten, verraten haben?«
»Ich hörte nur, daß eines Tages auf Befehl des Königs ein Schiff mit der Prinzessin den Nil hinauffuhr bis zu dieser Stelle. Einer ihrer Begleiter soll den jungen Mirinri schon mehrmals gesehen haben.«
»Ich kenne jene Prinzessin!« rief der Jüngling lebhaft. »Ich selbst habe sie vor einem Krokodil gerettet!«
»Was für eine Kopfbedeckung trug der Mann, der mit ihr fuhr?«
»Eine hohe Mütze, die nach oben hin weiter wurde. Sie war mit goldenen Zeichen verziert, mit Scheibe und Hörnern.«
»Und seine Kleidung?«
»Ein an den Schultern befestigtes Leopardenfell und eine lange Schärpe.«
»Er ist es!« rief Ata wütend. »Ich ahnte es!«
»Wer?« fragten Unis und Mirinri wie aus einem Munde.
»Der Oberpriester des Ptah-Tempels!« [16] Ptah Der ägyptische Hephaistos, Urgott und Urfeuer. Als Schöpfer des Alls war er die Hauptgottheit von Memphis.
»Willst du mir nicht erklären ...«
»Später. Laßt uns jetzt aufbrechen! Nun habe ich die Gewißheit, daß man euch beobachtet hat. Ihr werdet sehen, man wird uns an irgendeiner Stelle aufhalten. Seit einigen Monaten umringen mich verdächtige Gestalten und bewachen mein Schiff. Sicher hat man auch erforscht, wohin ich mich von Pamagit aus begeben habe. Der Sonnensohn läuft Gefahr, noch vor seiner Ankunft in Memphis verhaftet zu werden!«
»Also dürfen wir nur bei Nacht fahren«, sagte Unis. »Du fürchtest, Ata, daß man uns längs des Nils Fallen stellen wird?«
»Werden wir angegriffen, so verteidigen wir uns eben!« rief Mirinri. »Sind deine Leute zuverlässig?«
»Es sind alles tapfere Äthiopier und mir ergeben.«
»Gut, schiffen wir uns ein«, sagte der Priester.
Nachdem die beiden großen Segel gelichtet worden waren, leiteten die Äthiopier mit ihren langen Rudern sorgsam das Fahrzeug durch die Sandbänke und Wasserpflanzen hindurch. Ata führte währenddessen die Ankömmlinge zu dem Wohnraum am Heck des Schiffs. Die Wände der Kabine waren mit bunten Matten und einer Unzahl von Waffen bedeckt, die Möbel bestanden aus kleinen Diwanen und Stühlchen in geschweifter Form. Hier setzte er seinen Gästen Früchte vor und kredenzte Gerstenbier, das er aus einer langhalsigen Amphore in kleine Glasbecher goß.
»Ich trinke auf den Ruhm des künftigen Pharao!«
Nachdem er vieles aus der Hauptstadt erzählt hatte, übergab er Mirinri die Gewänder, die er für ihn zurechtgelegt hatte. Er sollte, um jeden Argwohn zu zerstreuen, eine hochgestellte äthiopische Persönlichkeit darstellen. Man konnte ihn leicht dafür halten, da er von vielen Äthiopiern auf dem Schiff begleitet war.
»Kleide dich an, wir werden dich an Bord erwarten! Inzwischen halten wir Ausschau.«
Dann begaben sich die beiden alten Freunde auf das Achterdeck. Aufmerksam beobachteten sie beide Ufer, die hier mehr als eine Meile voneinander entfernt waren. Schon hatten sich die Schatten der Nacht über den Riesenfluß gebreitet. Ein schwacher Lichtstreifen kündigte das Erscheinen des Mondes an.
»Bist du besorgt? Und fürchtest du ernstlich eine Verfolgung?« fragte Unis.
»Ich habe eine auffallende Erscheinung bemerkt. Du weißt, daß die schwimmenden Pflanzen und die Papyrus häufig die Nilschiffahrt hemmen. Ist aber die Durchfahrt einmal frei, so hält sie sich eine Zeitlang offen. Jetzt sehe ich jedoch zu meinem Erstaunen, daß man sie anscheinend absichtlich zu versperren versucht. Es will besagen, daß man den Nil überwacht und mich an der Rückkehr hindern will! Und noch eins beunruhigt mich«, fuhr Ata fort. »Während der drei Tage, die ich auf dem Wasser bin, bemerkte ich jede Nacht ein Licht hinter mir. Auch sah ich Feuer brennen unter den Palmenbäumen, bald auf dem einen, bald auf dem anderen Ufer des Nils. Ich fürchte, daß jemand Ahnung hat, daß du, Unis, nicht derjenige bist, für den du dich ausgibst.«
»Du vergißt deinen Schwur, gewisse Dinge nicht zu berühren!« rief dieser unwillig.
Ata senkte das Haupt und schwieg.
»Fahre fort. Erzähle mir weiter von Memphis«, sagte Unis. »Hast du alle unsere Freunde in der Hauptstadt benachrichtigt?«
»Alle wissen zu dieser Stunde, daß wir eintreffen. Wir werden sie in Memphis bei den Krokodilgräbern versammelt finden. Dort wollen sie dem neuerstandenen Sonnensohn huldigen.«
Man verspürte jetzt ein leichtes Stoßen des Schiffes. Der Stromfall war gehindert. Atas Gesicht verdüsterte sich. »Es ist so, wie ich vermutete. Sie haben die Durchfahrt geschlossen. Also bis hierher sind des Königs Spione schon gelangt!«
»Vielleicht irrst du dich doch. Die Nilpflanzen wachsen so schnell, daß sie vielleicht auch schon in vierundzwanzig Stunden den Fluß verstopfen.«
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