Mirinri lächelte übermütig. »Ich habe niemals Furcht gehabt, weder vor Löwen noch vor Krokodilen. Ein Sohn der Sonne stirbt nicht so leicht.«
»Aber warum hast du dein kostbares Leben gerade für jenes Mädchen eingesetzt? Wahrscheinlich, weil es eine Pharaonin war!«
»Das habe ich erst nach Tagen erfahren, als ich ihren verlorengegangenen Schmuck im Gras fand, das Symbol der Macht über Leben und Tod.«
Des Mädchens Augen blitzten seltsam auf. Sie murmelte einige unverständliche Worte und richtete dann ihren Blick auf den Fluß. Mirinri tat das gleiche. Jetzt bestieg Nefer sogar die Schiffswand, als wollte sie die Bewegungen des Krokodils noch besser beobachten.
Der Stier, ein kräftiges Tier mit langen, nach vorne gebogenen Hörnern, trank ruhig weiter, während hinter ihm ein halbes Dutzend Kühe unbewacht grasten. Plötzlich aber entfuhr ihm ein wildes, heiseres Brüllen. Er strebte mit aller Kraft nach rückwärts. Vergeblich – das Krokodil hatte ihn schon überrascht und beim Maul ergriffen. Seine Vorderzähne hatten sich tief ins Fleisch eingebohrt.
»Das Tier ist verloren!« rief Mirinri.
»Wenn sich ihm nicht eine bessere Beute bietet«, flüsterte Nefer.
Der Stier leistete verzweifelten Widerstand. Um nicht ins Wasser gezogen zu werden, stemmte er mit starren Gelenken seine Beine auf, während das Ungeheuer ihn mit seinen ausdruckslosen Augen anglotzte. Unglücklicherweise jedoch war das Ufer schon schlammig geworden, so daß es unter den breiten, derben Hufen des armen Wiederkäuers nachgab. Auf diese Weise sank er immer tiefer in die Erde, und es gab für ihn kein Zurückweichen mehr.
Dumpfes, schmerzliches Gebrüll ließ er vernehmen, indes blutiger Geifer aus seinen Nüstern kam. Seine mächtigen Flanken bebten, und sein Schwanz peitschte die Luft, während sich seine Augen immer mehr vergrößerten, als ob sie aus ihren Höhlen treten wollten.
Das Krokodil biß unaufhörlich auf ihn ein. Es schien nur das Fallen des Tieres abzuwarten, um es endgültig in den Fluß zu ziehen.
Plötzlich ein dumpfer Schlag.
Unis schrie auf: »Den Stein hinunter! Nefer ist ins Wasser gefallen!«
Die Zauberin hatte entweder das Gleichgewicht verloren oder war von einem Schwindel erfaßt worden. Ihr Körper verschwand in dem grünlichen Gewässer.
Als das Krokodil den Schlag vernahm, der ihm eine andere, leichtere Beute ankündigte, ließ es den Stier los und wandte sich um, indem es wie rasend den Schwanz bewegte.
Da erschien Nefer wieder an der Oberfläche. Die leichten Schleier, die sie umhüllten, schwammen auf dem Strom.
»Eine Waffe! Schnell!« rief Mirinri.
Ein Äthiopier, der gerade die Rettungsschaluppe zurechtmachen wollte, reichte ihm den Dolch, den er im Gürtel trug. Und augenblicklich war der Jüngling in den Fluß gesprungen.
»Unglücklicher! Was tust du!« schrie der Priester auf.
»Retten wir ihn! Los die Schaluppe!« rief Ata.
Nachdem das Krokodil das Mädchen entdeckt hatte, war es mit wenigen Schwanzschlägen durch die Lotosmassen gekommen. Und schon hatte es seine Kiefer aufgesperrt, um den zarten Körper zu packen, als Mirinri vor ihm auftauchte. Nicht achtend der großen Gefahr, in der er schwebte, stieß er seinen langen Dolch in den Rachen des Tieres.
Das Opfer wand sich vor Schmerz. Laute entfuhren ihm, die den Tönen der Trommel ähnlich waren. Sein Schwanz schlug mehrmals heftig auf, dann verschwand es zwischen den Papyrusstauden.
Mirinri ließ die Waffe fahren, die nicht mehr nötig war. Rasch ergriff er den Körper des Mädchens, das, ohnmächtig geworden, eben wieder unterzusinken drohte, und mit kräftigen Stößen schwamm er in dem reißenden Strom dem Rettungskahn zu. Er hatte Nefer an die Brust gedrückt.
So kämpfend mit dem Hochwasser, erreichte er die Schaluppe und übergab das Mädchen den Äthiopiern. Dann schwang er sich selbst behend hinüber.
Ata, der sich mit auf dem Kahn befand, hatte sofort entdeckt, daß Nefers Puls noch schlug. »Aber warum hast du um dieser Zauberin willen dein Leben aufs Spiel gesetzt!« sagte er vorwurfsvoll.
»Wenn es wahr ist, daß ich ein Pharao bin, so muß ich stets an die Rettung meiner Untertanen denken.«
Der Jüngling zog sich an dem ihm zugeworfenen Seil an Bord des Seglers hinauf, wo ihn Unis voller Besorgnis erwartete. »Ich habe in Angst um dich geschwebt! Und dennoch hast du recht getan. Du bist der Sohn Tetis – dein Vater hätte es ebenso gemacht.«
Jetzt erst kam Mirinri zum Bewußtsein, wie anders doch seine Empfindungen geblieben waren, als er die Prinzessin gerettet hatte.
Das Segelschiff fuhr, unterstützt von einer frischen Brise, weiter. Unterdessen schwoll der Nil mehr und mehr an. Er bedeckte schon die Papyrusstauden und Lotosblumen am Ufer. Seine Wasser verloren allmählich die grüne Färbung und wurden rötlich, als ob Ströme Bluts hineingegossen worden wären.
Nachdem Mirinri die Zauberin gerettet hatte, verfiel er wie gewöhnlich in Grübeleien. Er hatte seinen gewohnten Platz an der Schiffswand wieder eingenommen. Das gefährliche Rettungswerk schien ihm nur ein Kinderspiel gewesen zu sein. Er kümmerte sich nicht weiter um Nefer, die in der Kabine lag. Sie hatte noch immer nicht die Besinnung erlangt, obgleich Unis unermüdlich Belebungsversuche unternahm. Plötzlich entfuhr dem Alten dabei ein Schrei der Überraschung. Als Ata hinzutrat, zeigte er ihm eine merkwürdige Tätowierung an dem Mädchen: Der leichte, bunte Musselin hatte sich gelöst und ließ auf der wohlgebildeten Schulter eine kleine, blaue Schlange mit Geierkopf sehen.
»Das ist ja das Zeichen des Rechts über Leben und Tod, das Symbol der Pharaonen!« rief Ata unter Staunen. »Die Zauberin belog uns also, als sie sagte, sie wäre eine nubische Prinzessin. Nur die Pharaonen dürfen dies Zeichen tragen!«
»Sie muß aus königlichem Geschlecht sein«, sagte Unis nachdenklich. Er schaute aufmerksam auf Nefer. »Sollte es etwa die junge Prinzessin sein, die Mirinri damals rettete?«
»Er hätte sie wiedererkannt«, meinte Ata.
»Du, der du an Pepis Hof gelebt hast, müßtest genau wissen, wieviel Töchter er hat.«
»Eine einzige: Nitokris.«
»Keine sonst?«
»Nein.«
»Aber – wo mag die andere sein?« Unis blickte mit einem tiefen Seufzer in die Ferne.
»Deine Tochter?«
»Schweig, Ata!« rief der Alte mit gepreßter Stimme. »Oder vielmehr sprich! Konnte man nie etwas über sie erfahren?«
»Sie war verschwunden – sicher von Pepi ermordet.«
Ein schwerer Kummer lag auf dem Antlitz des Greises. »Er soll es büßen!« murmelte er. »Bald werde ich Rechenschaft fordern.«
Wieder richteten sich seine Blicke auf Nefer und auf die Uräusschlange, das Königssymbol. Dann fuhr er fort: »Sicher, das Mädchen muß eine Pharaonentochter sein, die Pepi aus irgendeinem Grunde vom Hof ferngehalten hat.«
»Vielleicht war ihre Mutter eine Chaldäerin«, bemerkte der andere.
»Möglich. Laß mich allein, Ata! Sie scheint jetzt zu sich zu kommen.«
Ata entfernte sich leise.
Nefer machte eine Bewegung, als ob sie etwas fortscheuchen wollte. Dann entrang sich ihr ein langer Atemzug. Der Alte betrachtete sie unaufhörlich, als suchte er in dem schönen Gesicht nach einem Zeichen, nach einer Ähnlichkeit.
Er quälte sich vergeblich. »Es ist zu lange her«, murmelte er. Plötzlich flüsterten ihre Lippen, kaum hörbar: »Mirinri!«
Unis runzelte die Stirn. Dann aber hellte sich sein Antlitz schnell wieder auf. »Sie liebt ihn«, dachte er. »Wenn es ihr gelänge, die andere aus Mirinris Herz zu verdrängen!«
Er nahm des Mädchens Hand, schüttelte sie sanft und sagte: »Öffne die Augen, Nefer, ich möchte mit dir sprechen.«
Die Zauberin gehorchte nicht sofort. Sie schlug nur zögernd die Lider auf. Ihre schwarzen Augen richteten sich auf Unis. »Bist du es, Herr?«
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