»Und wenn ich weniger geboten habe, als in Ihrem verrückten Kuvert verlangt wird?«
»Dann«, sagte Rosa lächelnd, »ist das Geschäft leider geplatzt.«
Mister Drinkwater machte, was er sehr selten tat, ein verblüfftes Gesicht. Er schwieg. Und Direktor Brausewetter zog einen schwarzen und einen weißen Handschuh über. Nun konnte kommen, was wollte.
Nach einer Weile zündete sich Mister Drinkwater eine seiner schwarzen Zigarren an, blickte den Rauchwölkchen nach, starrte bekümmert auf das geheimnisvolle Kuvert und sagte: »Die Methode ist neu. Sie sind sehr raffiniert.«
»Beides stimmt nicht«, erwiderte der Jokus. »Wir verstehen nichts von Geschäften. Und die Methode ist fast hundertfünfzig Jahre alt.«
»Sie stammt vom alten Goethe«, rief Mäxchen. »Vom größten deutschen Dichter.«
»Kenne ich«, bemerkte Drinkwater. »Und derselbe Goethe hat den Trick mit dem Kuvert erfunden? Damals gab es doch noch gar keine Filmproduzenten!«
Rosa lachte. »Aber Buchverleger gab es schon, und die waren auch nicht von schlechten Eltern.«
»Geschäftsleute sind auf der Welt, um Geschäfte zu machen«, sagte Drinkwater. »Wo sollen wir hinkommen, wenn uns die Dichter und Zauberer versiegelte Kuverts auf den Tisch legen?«
»Geschehen ist geschehen«, bemerkte der Jokus. »Ein Verleger, ich glaube, er hieß Göschen, wollte Goethes nächstes Buch herausbringen und erkundigte sich, was das Manuskript koste. Daraufhin schickte der Dichter einen guten Bekannten zu dem Verleger und ließ ihm das bewusste Kuvert vorlegen. Wenn der Verleger weniger böte, als im Brief verlangt werde, sei das Geschäft .«
». geplatzt«, rief Mäxchen vergnügt.
»Und wie ging die Sache aus?«, fragte Drinkwater.
»Der Verleger dachte ziemlich lange nach.«
»Das kann ich gut verstehen«, meinte der Amerikaner. Er trocknete sich mit dem Taschentuch die Stirn. Ihm war heiß geworden. »Und dann?«
»Dann nannte er einen hohen Betrag. Es war der höchste, den er bieten konnte. Nun öffneten sie das Kuvert und verglichen die beiden Summen. Das Angebot des Verlegers lag höher als Goethes Forderung. Und damit war der Handel abgeschlossen.«
»Ihr großer Goethe war ein großer Halsabschneider«, erklärte Drinkwater grimmig. »Schade, dass Sie nicht nur seine Bücher gelesen haben, sondern auch noch seine Geschäftsbücher.«
»Wir wollen Sie nicht zwingen«, sagte der Jokus ruhig. »Sie können unseren Vorschlag ablehnen.«
»Nein, das kann ich eben nicht. Ich will und ich werde den Film vom kleinen Mann drehen. Deshalb muss ich die Weltrechte kaufen.«
»Nun gut«, sagte der Jokus. »Dann erwarten wir Ihr Angebot. Wenn der Betrag unsere Summe im Kuvert übertrifft, ist alles in Ordnung. Denken Sie in Ruhe darüber nach. Es eilt nicht.«
»Ich brauche keine Bedenkzeit«, knurrte Drinkwater. »Ich weiß, was ich Ihnen äußerstens zahlen kann, ohne mich zu ruinieren.« Er stand auf, ging rasch zu dem Schreibtisch an der Wand, schrieb kurz entschlossen etwas auf einen Zettel, kam zurück, schob Jokus den Zettel hin, sagte: »Da!« und sank in seinen Stuhl.
Der Jokus las die Summe und schwieg. Rosa schaute auf den Zettel und machte »Oh!«. Direktor Brausewetter blickte dem Jokus über die Schulter und murmelte: »Donnerwetter noch mal!« Und Mäxchen, der an den Zettelrand gelaufen war, um die Summe lesen zu können, sprang von der Tischkante zum Jokus hinüber, kletterte wie ein Wiesel an ihm hoch, gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und landete, nach eleganter Schussfahrt, in der altgewohnten, gemütlichen Brusttasche.

»Wir gratulieren Ihnen«, erklärte Professor Jokus von Pokus feierlich. »Sie haben gewonnen.«
Mister Drinkwater seufzte erleichtert auf.
»Wir werden uns bei den Filmaufnahmen große Mühe geben«, rief Mäxchen. »Und wenn der Film fertig ist, setzen wir uns zur Ruhe.«
Direktor Brausewetter erschrak bis in die Schnurrbartspitzen. »Sie wollen meinen Zirkus im Stich lassen?«
»Der Junge übertreibt«, meinte der Jokus. »Aber zwei Monate Ferien machen wir bestimmt.«
Nun werdet ihr wahrscheinlich wissen wollen, was auf dem Zettel stand. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Der Professor zeigte ihn mir in Lugano, während wir auf der Terrasse Bowle tranken und auf das große Feuerwerk warteten. Also, auf dem Zettel stand:

2000000 Dollar! In DM umgerechnet sind das ... Doch das kriegt ihr auch ohne mich heraus. Jedenfalls, eine so große Menge Geld verdient man nicht alle Tage. Auch nicht als Zauberkünstler und als kleiner Mann. Von Luftspringerinnen ganz zu schweigen.
»Dass mir die Filmrechte gehören, weiß ich nun«, sagte Mister Drinkwater. »Und was ich Ihnen zahlen muss, weiß ich leider auch. Doch was in Ihrem verflixten Kuvert steht, das weiß ich noch nicht. Darf ich nachsehen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte der Jokus.
»Au Backe!«, meinte Mäxchen.
Das Marzipanfräulein lächelte geheimnisvoll wie eine blonde Sphinx. Direktor Brausewetter hüpfte hoch und trabte hinter Drinkwaters Stuhl. Diesmal zitterte er nicht vor Schreck, sondern vor lauter Neugierde. Er zitterte oft und gern.
Der Amerikaner riss das Kuvert auf, holte einen Zettel heraus, faltete ihn auseinander und erstarrte.
Direktor Brausewetter, der ihm über die Schulter sah, verdrehte die Augäpfel und flüsterte: »Ich falle um.« Aber dann fiel er doch nicht um, weil er sich rechtzeitig an Mister Drinkwaters Lehnstuhl, nein, an dessen Stuhllehne festhielt. Er ging nur ein bisschen in die Knie.
Der Filmgewaltige aus den USA merkte das gar nicht. Er saß noch immer starr im Stuhl wie eine Wachsfigur in einem Wachsfigurenkabinett.
Und nun werdet ihr wissen wollen, was auf diesem zweiten Zettel stand. Auch ihn habe ich in Lugano mit eignen Augen gesehen. Mister Drinkwater hatte ihn nicht behalten wollen. Eine solche Blamage, hatte er geäußert, müsse man sich nicht auch noch einrahmen und übers Sofa hängen. Na ja, ich kann ihn verstehen. Denn der Zettel, den er aus dem versiegelten Kuvert herausgefingert hatte, sah folgendermaßen aus:

Mit anderen Worten: Der Zettel war leer! Es stand keine Zahl darauf. Es stand keine Unterschrift unter der Zahl, die nicht daraufstand. Nichts. Es war der leerste Zettel, der jemals in ein Kuvert gesteckt wurde.

Und es dauerte etwa fünf Minuten, bis sich die Wachsfigur namens John F. Drinkwater bewegte. Sie klapperte mit den Augendeckeln. Das war das erste Lebenszeichen.
»Er wird wieder«, stellte Mäxchen fest.
Nach weiteren zwei Minuten war der Amerikaner endlich sprechbereit. »Ich bin ein Esel«, sagte er zornig. »Ich hätte mir eine der zwei Millionen sparen können, und dann wären Sie immer noch gut weggekommen. Ein leerer Zettel! Ihr Mister Goethe war ein gescheiter Teufel, wie der Mephisto in seinem >Faust<.«
Der Jokus lächelte. »Ein gescheiter Teufel war unser Mister Goethe nur zur Hälfte. Außerdem: Das Kuvert und der Zettel stammen zwar von ihm, aber der Einfall, auf den Zettel überhaupt nichts zu schreiben, der stammt von mir selber.«
»Meinen Respekt«, sagte Drinkwater verärgert. »Aber wenn ich nun auf meinen eigenen Zettel, beispielsweise, nur zehn- oder zwanzigtausend Dollar geschrieben hätte?«
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