»Denken liegt mir nich«, sagte Otto.
Boileau nickte. »Ein Glück, dass du es endlich einsiehst. Deine Dämlichkeit kostet den Chef viel Geld. Du lässt dich von einem Fünfzentimeterknirps auf den Arm nehmen. Ihr werdet eingebuchtet. Kollege Ballhaus funkt dem Lopez. Der Lopez funkt mir. Ich miete ein Flugzeug und ein paar Dutzend Spezialisten. Wir spielen >Berlin ist eine Reise wert<, schläfern ein Gefängnis ein, riskieren Kopf und Kragen - und wozu das alles? Nur um zwei solchen Nachtwächtern wie euch aus der Patsche zu helfen!«
»Mach die Klappe zu, sonst zieht’s«, rief da jemand ärgerlich. Es war Bernhard. Er war aufgewacht und hatte Boileaus Vorwürfe gehört. »Und erzähle bloß nich, dass euch Lopez losgeschickt hat, weil er uns so liebt. Er hatte einfach Angst, Otto könnte auspacken. Für eine Flasche Schnaps verkauft der seine zwei Großmütter.«
»Tu mir ’n Gefallen und schlaf noch ’n bisschen«, knurrte der Kahle Otto. »Warum habt ihr bloß den Kerl nich in der Zelle gelassen? Ich kann den Ton nich leiden. Schon gar nich auf nüchternen Magen.«
»Hast du Hunger?«, fragte Boileau.
»Klar, Mensch.«
»Belegte Brote?«
»Neee, ’n paar Schnäpse«, erklärte Otto. »Was das Essen betrifft, bin ich noch ’n Flaschenkind.«
Mittlerweile war die Kriminalpolizei nicht faul gewesen. Kommissar Steinbeiß hatte auf dem Flugplatz Tempelhof den Hangar ausfindig gemacht, von dem aus das Charterflugzeug in der Nacht abgeflogen war. Aber es war in Paris nicht eingetroffen, sondern sonst wo und über alle Berge.
Doch auch die Reporter waren nicht faul gewesen. Und was sie wussten und nicht wussten, stand bereits in den Zeitungen, die man nachmittags auf der Straße kaufen konnte. Die Berichte prangten auf der ersten Seite. Das >Unternehmen Dornröschen< hieß es in Riesenbuchstaben.
Als Kriminalkommissar Steinbeiß die Zeitungen las, wurde er grün vor Ärger. Andere Leute kriegen vor Ärger die Gelbsucht. Er bekam die Grünsucht, eine völlig neue Krankheit. Doch das war noch gar nichts. Es kam noch dicker.
Zwei Stunden später rief seine Frau im Büro an. Sie war völlig außer Fassung und schrie und weinte und tobte, dass er den Hörer vom Ohr weit weghalten musste. Sonst wäre ihm das Trommelfell geplatzt. »Bist du verrückt geworden?«, rief sie im höchsten Diskant. »Wozu brauchen wir denn ein Klavier?«
»Ein Klavier?« Er hielt sich am Schreibtisch fest.
»Jawohl! Sie kriegten es nicht die Treppe herauf, und jetzt holen sie einen Flaschenzug, um es an der Hauswand hochzuziehen und durchs Fenster zu bugsieren.«
»Aber Mausi«, sagte Steinbeiß, »ich habe doch kein Klavier bestellt.«
»Du hast es sogar bezahlt«, rief sie. »Sie haben mir die Rechnung gezeigt! Und wenn du schon ein Klavier kaufst, warum schickst du dann andere Leute, die unsere Wohnung mieten wollen, weil wir auszögen?«
Steinbeiß hielt die Luft an.
»Und ein Krankenwagen war auch hier«, kreischte sie, »er wollte deinen Neffen abholen, der sich bei uns im Badezimmer ein Bein gebrochen hätte!«
»Behalte, bitte, die Nerven«, sagte er ruhig. »Ich komme gleich. Und gehe nicht vor die Tür.«
»Das kann ich sowieso nicht! Es stehen ja zehn große Kisten mit Weinessig davor! Wozu bestellst du zehn große Kisten Weinessig?«
Kriminalkommissar Steinbeiß knallte den Hörer auf die Gabel und hieb sich den Hut auf den Schädel.
Als er in die Konstanzer Straße einbog, sah er schon von weitem die Menschenmenge, die sich vor seinem Haus angesammelt hatte. Hoch in der Luft baumelte ein Klavier. Und Frau Steinbeiß, Hildegard mit Vornamen, eine mollige und sonst sehr geduldige Person, beugte sich weit aus dem offenen Fenster im dritten Stock und verweigerte, mit den Händen rudernd, die Annahme.
Und auf der Straße standen nicht nur neugierige Passanten und Müßiggänger, o nein. Pressefotografen, Kameraleute, Reporter mit Notizblöcken waren darunter. Es wurde geknipst und gekurbelt, notiert und gelacht, dass man sein eigenes Wort nicht verstand.
Steinbeiß sprang aus dem Wagen.
»Endlich kreuzt die Hauptperson auf!«, rief ein Reporter.
»Wie kommen Sie hierher?«, fragte er voller Zorn.
»Na so was«, sagte der Zeitungsmann, und er war ehrlich gekränkt. »Sie haben uns ja alle feierlich einladen lassen! Wer sonst hätte uns denn anrufen und vor Ihr Haus bestellen sollen?«

»Wenn Sie’s nicht selber waren«, meinte ein Pressefotograf, »dann kann es nur jemand gewesen sein, der Sie nicht sehr mag. Ein Klavier in der Luft, Ihre Frau am Fenster, in allen Zeitungen und in der Tagesschau, mit einem flotten Kommentar .«
Kriminalkommissar Steinbeiß stürzte die Treppe hoch, kletterte über die Essigkisten und schlug mit den Fäusten gegen die Tür, bis Mausi öffnete. Dann rannte er zum Telefon, rief die Funkstreife an, dass sie ihm helfe, und ließ sich anschließend mit dem Polizeipräsidenten verbinden. »Herr Präsident«, sagte er, »ich stelle meinen Posten zur Verfügung.«
»Ich weiß schon, worum sich’s handelt«, antwortete der Polizeipräsident. »Machen Sie sich nichts daraus, lieber Steinbeiß. Diesem Senor Lopez ist keiner gewachsen. Ich denke nicht im Traum daran, einen so tüchtigen Mann wie Sie für immer einzubüßen. Aber ich beurlaube Sie für ein halbes Jahr. Dann sehen wir weiter. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte Steinbeiß. »Und wenn ich den Atlantischen Ozean zu Fuß durchwaten müsste, diesen Senor Lopez kauf ich mir.«
Am Abend saß er mit Mister Drinkwater im Hotel Hilton in der Bar. Der Amerikaner ließ sich alles, was mit dem >Unternehmen Dornröschen< den dürftigen Auskünften der Interpol und dem geschenkten Klavier zusammenhing, noch einmal haarklein erzählen. »Und wie soll ich Ihnen helfen?«, fragte er.
»Ich muss diesen Lopez finden«, erklärte Steinbeiß. »Er hat mich für dumm verkauft. Das lasse ich mir nicht bieten. Heute lacht die Welt über mich. Ich will, dass sie möglichst bald über ihn lacht.«
»Das verstehe ich«, sagte Drinkwater. »Sie wollen also nach Südamerika fliegen.«
»Jawohl.«
»Und sich dort mit der Polizei verbünden.«
»Nein. Wer so reich wie Lopez ist, hat auch bei der Polizei Freunde. Man würde ihn warnen, und ich wäre wieder der Lackierte.«
»Wer soll Ihnen denn sonst helfen?«
»Sie.«
»Ich?«
»Hören Sie zu«, bat der Kommissar. »Sie schicken eine Filmexpedition in die Gegend, wo wir den Senor Lopez vermuten. Dass ein paar Detektive aus New York und Kriminalkommissar Steinbeiß aus Berlin dabei sind, fällt nicht auf. Wir betätigen uns als Mitglieder der Expedition. Als Lastwagenfahrer, als Essenholer, als Zeltbauer, mein Freund MacKintosh aus New York als Dolmetscher. Er kennt Südamerika wie seine Westentasche und ist einer der gescheitesten Detektive unter der Sonne. Die Expedition dreht angeblich einen Kulturfilm über Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Schulwesen, seltene Pflanzen und exotische Schmetterlinge ...«
»Ein grässliches Zeug«, sagte Drinkwater und schüttelte sich. »Aber ich verstehe, was Sie im Sinn haben.«
»Wir kurbeln ein paar Kakteen und Papageien und horchen dabei die Leute aus. Dass dieser Lopez keine Feinde hat, ist vollkommen ausgeschlossen. Wir werden seine seltsame Burg finden .«
»So eine Expedition ist ein teurer Spaß. Sie kann schief gehen.
Aber wenn wir auch nur hundert Meter Zelluloid in den Kasten kriegen, die wir gebrauchen können, finanziere ich die Sache.«
»Ich kann nichts versprechen«, sagte der Kriminalkommissar. »Ich habe etwas Geld auf der Bank und eine Lebensversicherung, die man beleihen kann.«
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