»Und keinen Käse?«, fragte das vorlaute Fräulein.
»Doch, doch. Aber nur Schweizerkäse. Sogar sehr viel! Täglich zwanzig bis dreißig Löcher!«
Da lachten alle miteinander. Außer dem Fräulein.

Die Pressekonferenz dauerte noch eine geschlagene Stunde. Erst unterhielt sich der Jokus mit den Herrschaften, und zum Schluss kam Mister Drinkwater an die Reihe. Er erzählte von dem Film, den er drehen werde. Von den Aufnahmen im Zirkus und, mit dem kleinen Mann auf der Taube Emma, oben in der Kuppel. Von den Atelieraufnahmen im Studio 5 draußen in Geiselgasteig. Und von den Außenaufnahmen in Pichelstein, wo kein Einwohner größer sei als 51 Zentimeter. In jenem seltsamen Dorf, das Mäxchens Eltern eines Tages verlassen hätten, um als Artisten ihr Glück zu versuchen.
»Kannst du dich überhaupt noch an Pichelstein erinnern?«, fragte das ungemütliche Fräulein.
»Nein«, sagte Mäxchen. »Ich war noch nie dort.« Er konnte die Gans nicht leiden. Sie war ihm ausgesprochen zuwider.
»Aber an deine kleinen niedlichen Eltern erinnerst du dich sicher noch«, fuhr sie zuckersüß fort. »Und wie dir zumute war, als man dir erzählte, sie seien vom Eiffelturm geweht worden. Und an die Beisetzung der falschen Chinesenzöpfchen. Hast du damals sehr geweint?«
Mäxchen schwieg. Die anderen saßen stumm und steif auf den Stühlen.
»Warum antwortest du denn nicht?«, fragte das Fräulein ungeduldig.
»Er antwortet nicht, weil Sie eine taktlose Person sind«, sagte der Jokus leise.
»Was heißt hier Takt?« Sie klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. »Ein tüchtiger Reporter darf nicht zimperlich sein. Also, Kleiner, wird’s bald?«
Mäxchen nickte. »Sofort, meine Dame.« Schon stand er auf dem Tisch. Im Nu kletterte er an ihr hoch. Im nächsten Moment stand er mitten in ihrer kunstvoll aufgedonnerten Frisur und zog und zerrte aus Leibeskräften an ihren Haaren.
»Aua!«, schrie sie gellend. »Lass los!«, brüllte sie. »Hilft mir denn keiner?«
Niemand rührte einen Finger. Sie ruderte mit den Händen in der Luft herum. Doch Mäxchen ließ sich nicht stören. Er schuftete wie bei der Heuernte. Die Haare flogen büschelweise durch die Luft. Sie kreischte. Sie heulte. Sie schrie wie am Spieß. Aber Mäxchen war unerbittlich. Die Fotoreporter knipsten. Es war eine tolle Szene.
Das Fräulein sah sich nicht mehr ähnlich. Die kunstvolle Frisur war zum Teufel. Die Wimperntusche war, vor lauter Tränen, breit gelaufen. Mit letzter Kraft schlug sich die junge Dame auf den Kopf, um den kleinen Mann zu erwischen. Doch sie traf nur sich selbst und eine Haarnadel und stöhnte schmerzlich. Die Tusche brannte ihr in den Augen. Sie konnte nichts mehr sehen. Die Haare hingen in langen Strähnen bis zur Bluse. Sie sah scheußlich aus.
Mäxchen saß längst wieder beim Jokus in der Brusttasche. Er war noch ganz außer Atem. »So«, sagte er schließlich, »und nun will ich Ihnen antworten. Jawohl, ich habe damals sehr geweint! Sind Sie jetzt zufrieden?«
Mister Drinkwater war ein hervorragender Organisator und, wie man in seinen Kreisen einen so erfahrenen Mann zu bezeichnen pflegt, ein alter Filmhase. Ihm konnte niemand etwas vormachen, kein Kameramann, kein Tonmeister, kein Regieassistent, kein Aufnahmeleiter und kein Beleuchter. Er hatte die Terminpläne für die Fernsehserie und den Film vom kleinen Mann im Kopf, als seien sie hineinfotografiert worden. Jeden Tag wurde das von ihm vorgesehene Pensum bewältigt. Es gab keine Panne. Es galt keine Ausrede.
Nachts sah und hörte er sich, mit den wichtigsten Mitarbeitern, im Vorführraum die >Muster< an. So nennt man die in der Kopieranstalt entwickelten Aufnahmen. Neben ihm saß der Schnittmeister, und er gab ihm Anweisungen, wo und wie man die Szenen schneiden und als Teile ins künftige Ganze einbauen solle.
Ihm selber machte diese Plackerei von früh bis spät und ohne Pause nichts weiter aus. Die Mitarbeiter hingen freilich abends in den Gräten. Doch sie rissen sich zusammen. Er war der Chef. Er war der Boss. »Der Mann ist eine Wucht«, sagten sie voller Bewunderung. Er war die Lokomotive und zog alle mit sich fort.
Der Jokus und er verstanden sich prächtig. Sie duzten sich vom ersten Drehtag an und nannten einander beim Vornamen. Der Professor sagte allerdings nur selten »John« zu dem langen Amerikaner. Manchmal nannte er ihn »Johannes« und noch häufiger »Hänschenklein«.
Mäxchen, aber auch alle anderen Zirkusleute machten ihre Sache sehr gut. Nur mit dem Kunstreiter gab es Ärger, weil er weder den Zauberfrack anziehen noch vor den Kameras vom Pferd fallen wollte.
»Das verstößt gegen meine Berufsehre«, erklärte Maestro Galoppinski stolz. »Den Film wird die ganze Welt sehen, und Nero und ich wären für alle Zeiten erledigt.« Nero war sein schwarzer Hengst.
Auch als ihm Drinkwater ein Extrahonorar und dem Pferd einen Doppelzentner Würfelzucker anbot, blieben beide hart und unerbittlich. Es war aussichtslos. Drinkwater wollte schon dem Cowboydarsteller Tom Middleton telegrafieren, ob dieser und sein Schimmel Whitehorse Zeit hätten, als sich der Jokus ins Gespräch mischte.
»Ehrgefühl verdient Respekt«, meinte er. »Aber ich kenne Tom Middleton samt seinem Schimmel. Beide sind ausgezeichnete Könner. Nur, lieber Kollege Galoppinski, zur Weltklasse wie Sie und Ihr Nero gehören Tom und Whitehorse keineswegs. Tom ist nicht elegant genug. Er wird vom Pferd fallen wie ein verstimmtes Klavier, und sein Schimmel wird vor Nervosität nicht in die Stallgasse, sondern in die Logen preschen.«
»Ich fürchte, dass Sie Recht haben, lieber Professor«, sagte der Kunstreiter. »Doch es lässt sich nicht ändern. Nero und ich haben uns ein einziges Mal im Leben blamiert. Damals in Berlin, als ich, ohne es zu ahnen, Ihren verrückten Frack angezogen hatte. Wir leiden noch heute darunter. Und diese Blamage sollen Nero und ich, für Film und Fernsehen, absichtlich wiederholen? Damit man uns von Washington bis Moskau und von Buenos Aires bis Hongkong auslacht? Nein, meine Herren. So viel Würfelzucker gibt es ja gar nicht.«
Der Jokus und Drinkwater ließen die Köpfe hängen. Plötzlich rief Mäxchen: »Ich weiß was!« Sie zuckten zusammen, weil sie vor lauter Sorgen vergessen hatten, dass er in der Brusttasche des Professors hockte und zuhörte.
»Ich weiß was«, wiederholte Mäxchen und rieb sich die Hände. »In jedem Kino werden doch Programmhefte verkauft. Dort könnte man drucken, wie schwer es Herrn Galoppinski gefallen ist, von Nero herunterzupurzeln. Weil doch beide zur Weltklasse gehören und so etwas eigentlich gar nicht mehr können. Deshalb hätten sie das Herunterfallen monatelang üben müssen. Wie Clowns.«
»Ich lasse mich nicht gerne auslachen«, gestand Galoppinski. Er war ein bisschen verlegen.
»Seit wann werden Clowns ausgelacht?«, fragte Mister Drink-water erstaunt. »Der letzte Dummkopf im Zirkus weiß, dass sie nicht ungeschickt sind, sondern nur so tun. Man lacht sie nicht aus. Man lacht an ihrer Stelle, weil sie selber ernst bleiben.«
Maestro Galoppinski war ein Reiter und kein Denker, und ohne sein Pferd war er sowieso nur eine halbe Portion. Deshalb stand er plötzlich auf, schnarrte: »Ich bitte um Bedenkzeit« und marschierte zur Tür.
»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Mister Drinkwater.
»In den Stall.« Fort war er.
»Was will er denn im Stall?«

»Das Pferd will er fragen«, meinte Mäxchen. »Ohne Nero tut er nichts.«
»Erzähle mir bloß nicht, dass der Gaul reden kann!«
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