My Kiez is my castle.
In Flugblättern wird gegen »Vertreibung« gewettert, als ob Erika Steinbach persönlich die Schriftleitung übernommen hätte, und von der NPD abgekupferte Slogans wünschen Schwaben und anderen Eindringlingen »Gute Heimfahrt«.
Aber woher kommt nun dieser Hass ausgerechnet auf die Schwaben?
Es ist wegen dem Essen. Raffinesse und Distinktionsvermögen der Berliner Kochkunst gipfeln in einer einzigen Frage: »Mit Darm oder ohne?«
Erbspüree ißt der Berliner für sein Leben gern. Überhaupt ist Matsch die präferierte Zubereitungsweise: Erbsenmatsch, Kartoffelmatsch, Grünkohlmatsch, Rotkohlmatsch. Matsch mit Salz.
Das Grundrezept ist so einfach wie schmackhaft: Beliebige Zutat grob schreddern und mit der gleichen Menge Salz zwei bis drei Wochen zugedeckt köcheln lassen. Am Wochenende das Umrühren nicht vergessen!
Die Zunge des Berliners unterscheidet die Geschmäcker »heiß« und »kalt«. Zur differenzierten Würdigung der indigenen Küche genügt das vollauf.
Da ist es nur zu verständlich, dass die Konfrontation mit der überlegenen Kultur des deutschen Südwestens Neid erzeugt, Frustration, ohnmächtige Wut und schließlich Hass. Der Hass geht durch den Magen.
Das soll nicht heißen, dass der Berliner sich überhaupt nicht um die Verfeinerung seiner kulinarischen Sitten bemüht. Damit täte man ihm wirklich unrecht. Folgendes Rezept etwa wird in Berliner Familien seit Langem sorgfältig gehütet und von Generation zu Generation weitergetragen – und ganz zart schlägt das Rezept ein kleines Brücklein der Versöhnung zu den Schwaben:
»Hausgemachte Berliner Maultaschen (2 Pers.):
1 Dose Ravioli 10 min. im Wasserbad erwärmen – fertig!«
Wie mal etwas überhaupt nichts zu bedeuten hatte
Ahne
Es gibt sicher viele Sachen, die man an der Gentrifizierung kritisieren kann. Es gibt aber auch schickere Autos, größere Sonnenbrillen, ganzere Häuser. Es gibt farbenfrohere Obst- und Gemüsesorten in den Auslagen der Geschäfte zu bestaunen. Die Kinder sind nicht so frech, die Frauen schöner und die Männer unbedingt auch. Das Zeug, was vor die Tür gestellt wird, ist oftmals noch voll funktionstüchtig, und man kriegt, wenn man das bei Ebay reinstellt, mehr dafür, als man sonst im ganzen Monat verdienen würde. Die Hundebesitzer sammeln den Kot, den ihre vierbeinigen Prunkstücke aus den Aftern drücken, hinterher liebevoll von der Straße und stopfen ihn in kleine Plastesäckchen, die sie zu Hause, wahrscheinlich in speziellen Containern, aufbewahren, um ihn später zum Recyceln der Hundefutterindustrie wieder zur Verfügung stellen zu können. Nazis treten nicht offen in Erscheinung. Alkoholkranke sieht man nur selten auf der Straße. Kaum einer kotzt mittags in den Hausflur und findet das völlig normal. Du kannst Leute einfach anpflaumen, ohne von ihnen gleich die Fresse vollzubekommen. In jedem Zeitungskiosk werden Presseartikel anderssprachiger Länder offeriert. Die Speisekarten der Imben und Restaurationen sind vielfältiger. Die Kleider edler. Die Chancen, einem Prominenten auf der Straße zu begegnen, deutlich besser. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, plötzlich in einem Fernsehsender im Hintergrund zu erscheinen oder von diesem nach einer Meinung zu Ausländerkriminalität, dem Euro-Rettungsschirm oder der Eissorte der Saison befragt zu werden. Es wird in gentrifizierten Bezirken sehr viel weniger aus den Fenstern geschmissen. Auch aus den Fenstern gepinkelt wird seltener. Es wird auch seltener aus den Fenstern gekackt. Ganz, ganz selten nur kommt mal jemand mit dem Vorschlaghammer aus dem Hinterhaus gestürmt und drischt die Heckscheiben irgendwelcher Autos ein, ohne Grund. Die Kinder hören weniger Schimpfwörter auf der Straße. Dummkopf, Arschloch, Wichser, Fotze, Malaka, Schwanzlutscher, Missgeburt oder auch … Wichser hört man nur ganz selten einmal. Dafür blühen Blumen in den Vorgärten und die Vögelchen singen des Morgens, bis in den späten Abend hinein. Und die Fußballfans verhalten sich anständig. Und die Alten stehen nicht im Weg herum. Wenn überhaupt einmal alte Menschen da sind, dann sind sie nicht als solche zu erkennen. Dann sitzt deren Haut festgetackert am Fleische, bei jedem Wetter straff, der Rücken ist gerade, und nervöse Blicke zur Uhr verraten, dass man sich voll im Stress befindet. Von wegen alt, zum Altsein haben die doch gar keine Zeit. Genauso wie deren Enkel keine Zeit haben, Kind zu sein, weil sie sich nämlich durch Bratschen-, Englisch-, Chinesisch- und Spanischunterricht, Yoga, Pilates und Ballettunterricht, Spielerische Finanzökonomie sowie Tantra für Kids auf kommende Aufgaben vorbereiten müssen, denn schließlich ist es nicht einfach, lässig zu sein und trotzdem so viel Geld zu verdienen, dass man sich das Lässigsein auch leisten kann. In gentrifizierten Bezirken kann man gefahrlos jeden nach der Uhrzeit fragen. Man sollte lediglich wissen, was »Hallo«, »Uhrzeit« und »Handy« auf Englisch heißen. Und das Wetter ist schöner. Und der Bus kommt pünktlich. Und die Bordsteinkanten der Bürgersteige sind abgesenkt. Es gibt irre viele Tempo-30-Zonen und fast nie liegen gebrauchte Spritzen in den Sandkästen der Kinderspielplätze herum. In den Schulklassen ist noch vernünftiger Unterricht möglich. Der Dönermann verwendet ausschließlich Bio-Masse, und wenn sie könnten, würden wahrscheinlich selbst Ratten und Tauben hier die Grünen wählen.
Der Gründe viele, die Gentrifizierung zu begrüßen. Was dagegen spricht, ist natürlich die andere Seite der Medaille, die ich mir hier aber mal schenke, schließlich wohne ich selber in einem gentrifizierten Bezirk und »muss« da auch noch ’ne Weile wohnen bleiben. Dass dieses »muss« hier in Anführungsstriche gesetzt ist, hat übrigens überhaupt nichts zu bedeuten. In echt jetzt!
Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Dan Richter
Die Mülltonnen unseres Wohnblocks wurden immer über ein leerstehendes Nachbargrundstück abgeholt. Ein ödes Grundstück, wären da nicht die zwölf Pappeln, die einem die Illusion von Naturnähe spendeten. Seit zwei Monaten darf die Müllabfuhr dieses Gelände nicht mehr befahren, und die Mülltonnen werden durch unser Haus gebollert, so wie fast überall in Berlin. Schade um unseren Morgenschlaf. Aber was heißt das für das öde Grundstück? Für die Naturnähe-Illusion? Soll hier gebaut werden? Aber was? Da müsste man ja schon die Pappeln fällen. Dürfen die das? Vorsicht! Ich hole aus zum Exkurs:
In Alt-Treptow atmet man schon mal auf, wenn in der Ödnis von Nagelstudio, Gräue, Netto und Schlecker kleine Sprenkelchen des guten Geschmacks auftauchen. Ein Kollege schrieb vor ein paar Jahren, dass sich hier kein Laden halten könne, nicht mal ein Bestatter. Man kann den Betreibern eines geschmackvoll eingerichteten Cafés oder Plattenladens regelrecht zuschauen, wie sie Monat für Monat die Kondition verlässt, wie sie, Ertrinkenden gleich, ein letztes Mal wild mit den Beinen strampeln und dann untergehen. Die Wohnhäuser sind solide in dem Sinne, dass sie DDR-Konservatismus verströmen. Und doch scheint sich in den letzten ein bis zwei Jahren etwas geändert zu haben.
Eigentlich hätte ich es wissen sollen. Ich bin die Vorhut des Booms. Das war in den Neunzigern schon einmal so. Ich war vermutlich der erste Student im Friedrichshain. Vorher hatte man hier von so etwas allenfalls gehört. Als ich mich 1997 exmatrikulierte, machten es mir alle nach. Selbst mein unnachahmliches Outfit »Billig-aber-trotzdem-hässlich« kopierten sie tausendfach. Es gab keinen Copy-Shop und keinen Kleintierpsychologen. Bis 1998 gab es in meiner unmittelbaren Nachbarschaft auch zwei Friseurläden, wo man sich für zwanzig Mark schnell mal die Mähne kürzen lassen konnte. Wegen ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit schlossen sie. Vier Jahre keine Friseure. Dann in fast genau denselben Läden zwei neue Coiffeurs, aber hier schnipp-schnappt die Schere im Takt zum Drum’n’Bass, es kostet zehn Euro, und man hat schon ein schlechtes Gewissen, wenn man die Haare nicht selber wegfegt.
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