Oder 5., um die Kritik für alle sichtbar zu machen, sollte man sich am Elsterufer eine Lehmhütte bauen und sich Bisamratten und Großstadtkabeljaue direkt von der Angel weg grillen.
Aber es wird nicht lange dauern, bis junge Herren in Cord-jackets und Mädchen in viel zu großen, pastellfarbenen Anoraks sich nebenan auf ihre Stoffbeutel setzen und eine Club-Mate trinken. Dann macht ein Atelier auf, in einem hohlen Baum, zur ersten Vernissage kommt jemand und fotografiert das Ganze für Facebook, dann legt auch schon der erste Techno-DJ auf, dann kommen Horden mobiler Biersurrogatverkäufer und Zack, schon hat der erste BASE-Stand aufgemacht.
Dann folgen die Stempel der postmodernen Konsumgesellschaft, die man so kennt: Bäckerkette, H&M, Marktforscher, BubbleTea-Läden, BubbleTea-Kaufhäuser, BubbleTea-Wolkenkratzer, BubbleTea-Freizeitparks.
Man kann davon ausgehen, dass die Megastädte der Zukunft an genau solchen Orten geboren werden. Das ist Fortschritt. Und so schön Fortschritt ist, ich hoffe, ich bin dann irgendwo anders! In der Uckermark zum Beispiel oder in Halle.
Kritik der modernen Architektur
Oder: glas brennt nicht – schade.
Tobias Kunze
Diese Kanten, karatescharf geschnitten. Dieses glamouröse, gläserne, glatte Glitzern. Diese betonungslosen Betonrampen. Diese mondäne Monotonie. Ich frage mich, wer das schön findet. So durchsichtige, mehrstöckige Stahlwürfel mit Glaswänden, die die Ödnis der vorgelagerten Parkplätze reflektieren. Wer bloß findet das erhaben, wenn der Fluss damit zugestellt wird? »Oh, schau mal, wie toll sich das dunkelgrünbraune Brackwasser in den Fenstern spiegelt und mit dem Himmel vermischt!« Hui, wie poetisch, diese freudlos frontal dahingestemmten Blöcke, hingeknallt wie abgeworfene Borgwürfel, mit Oberflächen, wie sie für die Geschäftswelt nur sinnbildlich stehen können: vordergründig durchsichtig, aber innendrin intransparent. Oder: vorne glotzig, hinten fotzig.
Da fällt eine Horde windiger Projektmanager, planierfreudiger Planer, obskurer Baulöwen, imminenter Immobilienspekulanten, angeblicher Architekten, eigentümlicher Grundstückseigner und begeisterter und anderweitig überzeugt wordener Pappkameradpolitiker in ein alternatives Viertel ein. Diese Baumöwen klemmen sich die Brachgelände und nachgenutzten Fabrikruinen – Meins! Meins! – Meins! – und entrollen fallschirmgroße Planungsplakate. Dann strecken die Bauherren die Arme aus wie einst andere unter Adi, entklappen ihre Zeigefinger, Handkanten zerschneiden die Luft wie bei Kung-Fu-Filmen in Zeitlupe und dann heißt es: »Da kommt das hin, hier das, dort das, da drüben entsteht das, so was bauen wir hier und da hinten, na ja, das wär dann so die kleine Stadtteilecke, da dürfen die Eingeborenen, äh, die Anwohner auch ma’ eine rauchen!« Yippiee! Und stolzgeschwollen bollern Bauherrenbrüste über Brückenbrüstungen, geldheischerisch schmirgeln sich Handteller heiß. Abriss in großem Stil wird angestrebt, rumorend heulen die Motoren der Knabberbagger auf und hungry vibriert die Maschinenmeute im Nahkampf. In den WGs des Bezirks klirren die aus den umliegenden Clubs geklauten Gläser im Buffet. Unterdessen fressen sich Betonköpfe in den Stadtplan wie Stephen Kings Langoliers . Kräne kreisen kranichgleich und krönen kranzartig die Stadt, Nest und Brutstätte der Kräne. Wie die Störche stolzieren, bezirzen und zirkulieren die Gerüste zirkusgleich über den Dachfirsten und picken sich Nistmaterial in ihre Horste, dass man sich fragen muss: »Ei verbibsch, ist hier irgendwo ein Glas aufgegangen?«
Doch dann wundern sich alle, wieso sich vor Ort Widerstand regt. »Wieso wollen die das nicht?«, fragen sich die Verantwortlichen bräsig an der Platte kratzend. »Öhm, wir dachten, die woll’n Arbeitsplätze!«
Dann reden die Verantwortlichen den Widerstand klein, vorneweg die Politiker, die wollen in solch Bauprojekten Visionen, Missionen und Investitionen in die Zukunft erkennen, argumentieren ahnungslos mit angeblicher Aufwertung und Arbeitsplatzschaffung, bis die Köpfe der Zuhörer und der Presse hospitalistisch nicken, »ja – ja – hm – hm–ja–hm–ja, is’ recht, hm-hm, nehm ich, kauf ich, wähl ich, will ich!«
Und wenn alles in trockenen Tüchern ist und die letzten angeketteten, von Bullen weich geklopften Protestler abgesägt und vertrieben sind, wenn die letzten Backsteinbrachen zerbröselt und der einsame Lampion einer ehemaligen Strandbar traurig in Pfützen noch dümpelt, dann prahlen und protzen sie in der Presse und polieren sich auf Empfängen die Eier wund, die Investoren, freuen sich, mit was für sterilen Prestigegebäuden man wieder renommieren kann, mit Centern und Lichttürmen und Arcaden und Arenen und ach, guckemalda, wurde dort sogar extra was Altes an Bausubstanz belassen, es ist ein Stück Kopfsteinpflaster, aus dem Steinewerfer einst ihre Munition brachen, integriert wurde es als Reminiszenz, quasi historische Kultstätte, und es liegt nun völlig verloren neben einem Parkplatz mit Rampen aus Sichtbeton und diesen kleinen illuminierenden Nachtlichtern, falls es mal spät wird in der Werbeagentur, weil es immer spät wird in der Werbeagentur, weil O2 angerufen hat. »Ach, das Telekommunikationsunternehmen?« – »Nee, das Element, du Arsch! Alles Luft, heiße Luft, aus dem Arsch in den Mund in das Ohr ins Gehirn!«
Apropos später. Wird man einst, wenn man das Wasser nur noch von den Brücken aus sieht, sagen: »Guck mal, früher saßen wir da am Ufer …«?
»Jetzt ist da ein Metallzaun mit Pausenpark nur für Mitarbeiter.«
»Früher stand da die Mauer!«
»Na ja, die war wenigstens niedriger!«
»Und bunter!«
»Ja, ja!«
Ja, ja … »Ja, ja« heißt: leckt mich am Arsch, ihr Investoren, die ihr nur lechzend auf die Möglichkeiten wartet, eure Penis-kompensationen allerorten als Prestigekonstruktionen in Stahl und Glas gießen lassen zu können. Ihr trampelt durch Städte, redet heiße Luft, engagiert die fantasielosesten Architekten und wedelt mit schönfrisierten Analysen, welche stets von handzahm gefütterten Firmen stammen. Nachnutzung sei zu teuer, Sanierung auch. Zu teuer. Sagt ihr. Sobald euer Gelumpe irgendwelche Auflagen kriegt, haltet ihr die Hand auf wie beleidigte Künstler. Ach was, Architektur sei Kunst. All der geile Glanz, all die geckenhafte Gelecktheit. Zeitgemäßes Bauen, klare Linie und so … seit den Fünfzigern nichts gelernt? Steht ihr auf das, was ihr da baut? Wer erfreut sich denn bitte an dieser kühnen, unterkühlten Glasästhetik? Steht ihr so auf euer Badezimmer, dass ihr es überall hinmauern lasst? Das sieht doch alles aus wie nach außen gekrempelte Duschbadausstellungen! Und jetzt sagt nicht: »Na, der junge Mann hat doch keine Ahnung von Architektur!« Habe ich auch nicht. ABER ICH HAB AUGEN! Und ich komme aus Hannover, da weiß ich, wo das hinführt! Seid froh, dass Glas nicht brennt!
In Hamburg nehmt ihr mit St. Pauli das größte zusammenhängende urbane Feuchtbiotop auseinander. Legt es trocken mit Gebäuden, die aussehen wie Spielzeugverpackungen, sofern sie irgendwelche Shows beherbergen, oder mit Wolkenkratzern, die eurer Auffassung nach »tanzen« sollen, aber eher in bester deutscher Hüftsteifigkeit unschlüssig dastehen, was einer architektonischen Querschnittslähmung gleichkommt. Die Hafenkrone ist nicht mehr das einstige Backsteindiadem, sondern eine unansehnliche Mischung aus Aquarium und Schießscharte.
In Berlin setzt ihr den partyverwöhnten Stadtteilen eine Hospitalismussymptome auslösende Spaßbremse in Gebäudeform vor, an denen jede Art von Kreativität verpufft wie Wassertropfen in heißen Teflonpfannen, mit Fassaden, die man auf jedes Gewerbegebiet hätte kleben können, ohne dass es irgendjemandem aufgefallen wäre und nennt es in täuschender Absicht »Mediaspree«, um mit dem ersten Namensteil die Hauptarbeitgebersparte Berlins und mit dem zweiten lokale Identifikation vorzutäuschen.
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