Er sah auf seine Uhr und meinte, es sei ein langer Tag gewesen, und auch da gab ich ihm recht. Die Polizisten erlaubten ihm zu fahren, nachdem sie seine Fingerabdrük-ke genommen hatten. Sie ließen sich auch meine und die von Betty geben: zur Eliminierung, wie es hieß. Sie nahmen kurze Aussagen von mir und Betty auf, und wir sagten ihnen, daß Pauls Fingerabdrücke wie die unseren überall sein würden.
Bettys Mann kam und holte sie mit tröstend ausgebreiteten Armen ab, während ich schließlich zum Bedford Lodge zurückfuhr und mit Moncrieff eine große therapeutische Dosis hinter die Binde kippte.
Von Ed auf meine Anweisung herbeizitiert, versammelten sich alle verfügbaren Crews, Techniker, Garderobenleute und Darsteller (außer Nash) am Sonntag morgen bei Tagesanbruch auf dem Stallhof.
Ich stieg auf einen Stuhl, um ihnen meine Rede zu halten, und fragte mich in der frischen, immer windigen Luft East Anglias, wie Shakespeare wohl auf die Idee gekommen war, daß irgendwer außer den nächststehenden Rittern die Ansprache Heinrichs des Fünften vor Agincourt verstanden haben konnte bei dem Geklirr so vieler Rüstungen auf Pferderücken und ganz ohne Mikrophon.
Ich hatte wenigstens ein Megaphon, ein meinem Publikum bestens vertrautes Gerät.
»Inzwischen«, sagte ich laut, als die Bewegung in der Gesellschaft zu ungeduldigem Warten abgeebbt war, »haben Sie sicher alle das >Sterngeflüster< im Daily Drumbeat von gestern gelesen.«
Ich erntete Nicken, große Augen und manch ein sarkastisches Lächeln. Keinen offenen Spott. Immerhin etwas.
»Sie können sich denken«, fuhr ich fort, »daß unsere Muttergesellschaft in Hollywood über den Artikel stark beunruhigt war. Glücklicherweise konnte unser Produzent sie überzeugen, daß Sie alle hier sehr gute Arbeit leisten. Es mag einigen von Ihnen gefallen, anderen nicht, aber Hollywood hat bekräftigt, daß ich weiterhin Regie führe. Nash Rourke hat ihnen gesagt, er sei dafür. Folglich bleibt alles beim alten. Ob Sie meine Persönlichkeit so einschätzen wie der Drumbeat oder nicht - wenn Sie weiter hier mitwirken wollen, verpflichten Sie sich bitte stillschweigend, für den Film Ihr Bestes zu geben. In unser aller Interesse sollte die Produktion eines sehenswerten, spannenden Spielfilms Vorrang haben vor allen persönlichen Gefühlen. Sie sollen später einmal befriedigt sagen können, daß Sie an diesem Film mitgearbeitet haben. Es geht also weiter im Text, das heißt, die Pfleger satteln jetzt bitte ihre Pferde, und alle anderen machen nach dem Zeitplan weiter, den Ed verteilt hat. Alles klar? Okay.«
Ich ließ das Megaphon sinken, stieg von dem Stuhl runter und wandte der Gesellschaft den Rücken, um zu Moncrieff zu stoßen, der demonstrativ hinter mir gestanden hatte.
»Die haben Sie auf Vordermann gebracht«, meinte er mit beifälliger Ironie. »Man könnte einen Film drehen über die Entstehung dieses Films.«
»Oder ein Buch schreiben«, sagte ich.
Unser weiblicher Star, Silva Shawn, kam federnden Schrittes über den Hof zu uns. Wie üblich, wenn sie nicht im Rollenkostüm war, trug sie weite, flatternde Lagen dunkler Kleidung, die ihr bis an die Fesseln reichten, dazu schwarze Doc-Martens-Treter und einen anthrazitgrauen Hut, der aussah wie ein auf ihren Brauenbögen sitzender, plattgedrückter Schlappzylinder. Sie ging mit weit ausgreifenden Schritten und reckte bei Besprechungen meist das wohlgeformte Kinn vor, was in der Körpersprache hieß: Macht euch über mich lustig, wenn ihr es wagt.
O’Hara hatte mich eindringlich davor gewarnt, ihr Komplimente zu machen, die sie als sexuelle Belästigung auslegen konnte, und das fand ich gar nicht leicht, denn die ersten Wörter, die mir spontan zu ihr einfielen, waren, von »lecker« abgesehen, »göttlich«, »bezaubernd« und »äußerst begehrenswert«, doch O’Haras Anweisung lautete: »Sagen Sie niemals Schätzchen zu ihr.«
»Warum nehmen Sie sie, wenn sie so empfindlich ist?« hatte ich ihn gefragt, und seine knappe Antwort war: »Sie kann schauspielern.«
Ihr Beitrag zu diesem Film hatte sich bisher weitgehend auf die recht freizügigen (von Howard »nein, nein, nein« bestöhnten) Bettszenen mit Nash beschränkt, die wir in der Vorwoche gedreht hatten. Dabei waren wir Howards Skript im Dialog treu geblieben: Nur, daß ich entgegen seiner Absicht Nash und Silva ihren Text nicht voll angekleidet sagen ließ, erboste ihn. Er hatte ihren zurückhaltenden Gefühlsaustausch im Wohnzimmer angesiedelt. Ich hatte ihn ins Schlafzimmer verlegt, die verbale Zurückhaltung zwar übernommen, aber sich steigerndes physisches Verlangen dagegengesetzt. Ohne Scheu (»Körper sind etwas Natürliches«) hatte Silva zart ausgeleuchtete Nacktaufnahmen von sich im Badezimmer machen lassen.
Die Muster hatten manchen Puls beschleunigt, auch meinen. Ob sie es wahrhaben wollte oder nicht, Silvas Schauspielerei war von einer Sinnlichkeit, die der von ihr privat eingenommenen Haltung diametral entgegenstand.
Sie war in der vergangenen Woche nicht in Newmarket gewesen, da sie anderweitigen Verpflichtungen hatte nachkommen müssen, aber heute morgen sollte sie ein Pferd auf der Heide bewegen und Gebrauch von einem reiterlichen Können machen, auf das sie stolz war. Wie es bei Filmaufnahmen fast immer üblich ist, drehten wir die Szenen nicht in chronologischer Reihenfolge: Die Begegnung zwischen dem Trainer und Cibbers Frau, die wir heute filmten, war ihr erstes Zusammentreffen, sie lernten sich kennen, ganz harmlos zunächst, aber schon bald versprachen sie sich mit den Augen mehr.
Silva sagte unleidlich: »Sie haben mir hoffentlich ein gutes Pferd besorgt.« »Er ist schnell«, sagte ich nickend.
»Und sieht er gut aus?«
»Selbstverständlich.«
»Und ist er gut trainiert?«
»Ich habe ihn selbst geritten.«
Wortlos verlagerte sie ihr beinah allumfassendes Mißvergnügen auf Moncrieff, den sie für einen Chauvi hielt, obwohl er es wie sonst kaum jemand verstand, selbst häßliche Frauen schön auf die Leinwand zu bringen.
Man hätte annehmen können, nach so vielen Jahren des Studiums weiblicher Rundungen sei Moncrieff dafür unempfänglich geworden, aber wann immer wir zusammenarbeiteten, verliebte er sich in die Hauptdarstellerin, und Silva schien keine Ausnahme zu sein.
»Platonisch«, hatte ich ihm angeraten. »Schön die Hände weg.
Okay?«
»Sie braucht mich«, hatte er geseufzt.
»Beleuchten Sie sie und basta.«
»Diese Backenknochen!«
Silva hatte ihn glücklicherweise bisher alles andere als ermutigt. Mir war schon an dem Tag, als ich sie kennenlernte, aufgefallen, daß sie mehr Augen für Männer in Schlips und Kragen, mit kurzen Haaren und glattrasiertem Kinn hatte, eine Vorliebe, die hoffen ließ, daß sie den zottelbärtigen, linkischen, nachlässig gekleideten Moncrieff auch weiterhin nicht richtig wahrnehmen würde.
»Ich glaube«, sagte ich höflich zu Silva, »Sie werden in der Maske erwartet.«
»Wollen Sie damit sagen, daß ich spät dran bin?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die Versammlung hat uns alle aufgehalten. Trotzdem hoffe ich, daß wir mit den Heideszenen bis Mittag fertig werden.«
Sie entfernte sich federnd, mit flatternden Röcken, eine Aussage eigener Art.
»Himmlisch«, hauchte Moncrieff.
»Gefährlich«, sagte ich.
Nash traf gähnend mit seinem Rolls ein und ging zum Umkleiden und zur Maske ins Haus. Sekunden nach ihm kam ein Mann von ganz ähnlicher Statur auf einem Fahrrad in den Stallhof gefahren und ließ den Kies aufspritzen, als er scharf neben Moncrieff und mir bremste.
»Morgen«, sagte der Neuankömmling kurz und stieg ab. Von Respekt keine Spur.
»Guten Morgen, Ivan«, erwiderte ich.
»Sind wir noch im Geschäft?«
»Sie haben sich verspätet«, sagte ich.
Er nahm die Bemerkung zu Recht als Rüge und verzog sich mitsamt seinem Fahrrad ins Haus.
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