“Mitch anrufen?” wiederholte Reid verdutzt. “Und was genau soll ich dem sagen…? Hallo?”
Watson hatte schon wieder aufgelegt. Reid fluchte leise und überholte einen Minitransporter. Mit einer Hand schwang er zurück auf die linke Spur, während er mit dem Daumen der anderen das Flip-Telefon traktierte. Watson hatte erwähnt, dass er die Nummer des Mechanikers in das Gerät einprogrammiert hatte.
Er fand eine Nummer, die nur mit dem Buchstaben “M” markiert war und rief sie an, während die Sirene hinter ihm weiter heulte.
Jemand antwortete, aber sprach nicht.
“Mitch?” fragte er.
Der Mechaniker grummelte seine Antwort.
Hinter ihm ging der Polizist auf die rechte Spur und beschleunigte in einem Versuch, neben ihn zu kommen. Reid ruckte schnell am Steuer, der Trans Am schlüpfte einwandfrei in die Spur und blockierte somit den Polizeiwagen. Hinter den geschlossenen Fenstern und dem tosenden Motor konnte er leise das Echo einer Lautsprechanlage hören, durch die der Polizist ihn aufforderte, anzuhalten.
“Mitch, ich, äh…” Was soll ich dem bloß sagen? “Ich fahre hier ungefähr hundertachtzig auf der I-95 und werde von einem Bullen verfolgt.” Er blickte in den Rückspiegel und stöhnte, als er sah, wie ein zweiter Polizeiwagen, von einer Radarfalle aus, auf den Highway fuhr. “Nee, es sind schon zwei.”
“OK”, gab Mitch ruppig zurück. “Warte mal eine Minute.” Er klang müde, als sei eine Hochgeschwindigkeitspolizeijagd nicht aufregender als ein Gang zum Supermarkt.
“Auf was?”
“Ablenkung”, grummelte Mitch.
“Ich bin mir nicht so sicher, dass ich noch eine Minute habe”, protestierte Reid. “Die haben wahrscheinlich schon das Nummernschild.”
“Mach dir keine Sorgen darüber. Das ist eine Fälschung. Unregistriert.”
Das wird sie sicher nicht dazu inspirieren, die Jagd aufzugeben, dachte Reid verdrießlich. “Was denn für eine Ablenkung… Hallo? Mitch?” Ärgerlich warf er das Telefon auf den Beifahrersitz.
Mit beiden Hände wieder am Steuer lenkte Reid um einen Transporter herum, zurück auf die Überholspur und trat das Gaspedal bis zum Anschlag nach unten durch. Der Trans Am reagierte eifrig und zog volle Fahrt voraus, während die Tachonadel auf zweihundert sprang. Er flitzte um den viel langsameren Verkehr herum, benutzte dabei beide Spuren und den Haltestreifen, doch die beiden Polizeiwagen hielten mit ihm mit.
Ich kann sie nicht abhängen, aber austricksen. Komm schon Kent. Gib mir was. Das war ihm während des letzten Monats schon mehrmals geschehen. Seitdem der Gedächtnishemmer entfernt wurde, kam eine besondere Fähigkeit aus seinem früheren Leben als CIA-Agent plötzlich zurück, gerade dann, wenn er sie brauchte. Er wusste nicht, dass er arabisch sprach, bis er mit Terroristen konfrontiert war, die ihn folterten, um Informationen aus ihm herauszukriegen. Er wusste nicht, dass er drei Mörder im Handgefecht abwehren konnte, bis er um sein Leben kämpfen musste.
Das ist es. Ich muss mich nur in eine verzweifelte Lage bringen.
Reid griff die Handbremse hinter der Gangschaltung und zerrte sie nach oben. Plötzlich hörte man ein fürchterliches Kreischen aus dem Inneren des Trans Am und es roch, als ob etwas brennte. Gleichzeitig rissen seine Hände das Steuer nach rechts und der Trans Am schlingerte leicht. Sein Ende überkreuzte wieder den Mittelstreifen, als ob er versuchen würde, in die entgegengesetzte Richtung zu fahren.
Die beiden Polizeiwagen taten es ihm gleich, traten auf ihre Bremsen und versuchten, eine enge Wende zu vollbringen. Doch als sie auf die Bremsen traten und in Richtung Süden drehten, vollendete Reid seine Drehung um dreihundertsechzig Grad. Er ließ die Handbremse los, legte den Gang ein und drückte wieder aufs Gas. Der Sportwagen raste erneut voran und ließ die verwirrten Gesetzeshüter wortwörtlich im Staub zurück.
Reid stieß einen Jubelschrei aus, während sein Herz lautstark in seiner Brust klopfte. Seine Freude war jedoch nur von kurzer Dauer. Er hatte seinen Fuß fest auf dem Gaspedal und versuchte, seine Geschwindigkeit beizubehalten. Der Trans Am jedoch verlor an Kraft. Die Tachonadel sank auf hundertfünfzig, dann hundertvierzig und fiel weiter. Er war im fünften Gang, doch sein Handbremsenmanöver musste wohl einen Zylinder zerfetzt oder vielleicht Dreck in den Motor geschleudert haben.
Das ohrenbetäubende Heulen der Sirenen machte die schlechten Nachrichten noch schlimmer. Die beiden Polizeiwagen waren hinter ihm und holten schnell auf, jetzt stieß auch noch ein dritter hinzu. Der Verkehr auf dem Highway bewegte sich zur Seite, um Platz zu machen, während Reid von einer Spur zur andern wechseln musste. Er versuchte verzweifelt, seine Geschwindigkeit zu halten, doch es nützte nichts.
Er stöhnte. So wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, die Patrouille abzuhängen. Sie waren schon auf sechzig Meter herangekommen und holten immer schneller auf. Die Wagen bildeten ein Dreieck, jeder auf einer Spur, und der Dritte fuhr in der Mitte hinter ihnen.
Die werden das PIT Manöver ausprobieren – sie wollen mein Auto umzingeln und mich zur Seite drängen.
Komm schon Mitch, wo ist meine Ablenkung? Er hatte keine Ahnung, was der Mechaniker geplant hatte, doch er konnte wirklich Hilfe brauchen, als die Polizeiwagen sich immer weiter an das versagende Sportauto annäherten.
Einen Moment später bekam er seine Antwort, als etwas Riesiges in seinen Blickfeld sprang.
Von der südwärts gerichteten Seite des Highways sprang ein Sattellaster mit mindestens hundertzehn Stundenkilometern über den Mittelstreifen. Seine enormen Reifen hüpften gewaltsam über die Furchen des Grases. Als er wieder auf Asphalt stieß – dieses Mal als Geisterfahrer – taumelte er gefährlich, wobei der silberne Tank, den er zog, seitwärts umfiel und ihn niederdrückte.
Für einen Augenblick verfloss die Zeit langsamer, als Reid und das gesamte Auto sich im Schatten einer achtzehn-Räder-Maschine befanden, die fast vom Boden abhob.
Während dieses seltsam stillen Momentes konnte er ganz deutlich die großen, blauen Buchstaben lesen, die auf die Seite des Tanks schabloniert waren —“TRINKBAR” stand darauf – währender der Laster herunterkrachte, bereit, ihn, den Trans Am und alle Hoffnung, seine Mädchen zu finden, zu zerquetschen.
Sein Großhirn, das Zerebrum, schien sich im Schatten des riesigen Lasters abgeschaltet zu haben, doch seine Gliedmaßen bewegten sich, als hätten sie einen eigenen Willen. Sein Instinkt übernahm die Kontrolle, als seine rechte Hand wieder die Handbremse ergriff und daran zog. Seine linke Hand drehte das Steuer im Uhrzeigersinn und sein Fuß drückte das Gaspedal bis in die Gummifußmatte. Der Trans Am drehte sich seitlich und sprintete heraus, parallel zum Laster, zurück ins Sonnenlicht und aus seinem finsteren Schatten.
Reid spürte den Aufprall des Lasters gegen die Straße mehr, als er ihn hörte. Der silberne Tanker schlug auf das Pflaster zwischen den Trans Am und die Polizeiwagen und ließ ihnen weniger als dreißig Meter Bremsraum. Die Bremsen quietschten und die Wagen rutschten seitwärts, als der gewaltige Tank an den genieteten Nähten aufbrach und seine Last entleerte.
Vierunddreißigtausend Liter sauberes Wasser schossen heraus und flossen über die Polizeiwagen, schoben sie zurück wie eine aggressive Flutwelle.
Reid wartete nicht ab, um dieses Spektakel zu beobachten. Der Trans Am erreichte gerade noch hundertzwanzig Stundenkilometer mit dem Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten, also fuhr er besser geradeaus weiter den Highway hoch, so gut wie möglich. Die durchtränkten Polizisten würden sicherlich das verdächtige Auto mit den gefälschten Nummernschildern melden. Wenn er nicht bald von der Straße verschwände, gäbe es noch mehr Probleme.
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