Dann klingelte das alte Handy, auf dem Bildschirm erschien nur der Buchstabe M.
“Danke, Mitch”, antwortete Reid.
Der Mechaniker grummelte, es schien seine hauptsächliche Kommunikationsmethode.
“Du wusstest, wo ich war. Du weißt, wo ich jetzt bin.” Reid schüttelte den Kopf. “Du ortest das Auto, nicht wahr?”
“Johns Idee”, gab Mitch kurz zurück. “Er dachte, dass du in Probleme geraten würdest. Er hatte recht.” Reid begann zu widersprechen, doch Mitch unterbrach ihn. “Fahr die nächste Abfahrt hinunter. Bieg am River Drive rechts ab. Da ist ein Park mit einem Baseballplatz. Warte dort.”
“Auf was?”
“Transport.” Mitch legte auf. Reid schnaubte frustriert. Bei der Sache mit dem Trans Am ging es darum, geheim zu bleiben, erst gar nicht ins Netz der Agentur zu geraten – und nicht, die CIA mit jemand anderem auszutauschen, der ihn orten könnte.
Aber ohne die Ortung wärst du jetzt schon gefangen worden.
Er schluckte seine Wut herunter und folgte den Anweisungen. Er lenkte das Auto einen weiteren Kilometer später vom Highway herunter und auf den Park zu. Er hoffte, dass was auch immer Mitch für ihn bereit hielt, schnell war. Er musste rasch eine lange Strecke zurücklegen.
Im Park waren nur wenige Leute für einen Sonntag. Auf dem Baseballfeld spielten ein paar Kinder ein Aufsammelspiel, weshalb Reid den Trans Am auf dem Kieselparkplatz außerhalb des Maschendrahtzaunes hinter der ersten Basis parkte und wartete. Er wusste nicht, was er suchte, doch er wusste, dass er schnell weiterkommen musste. Darum öffnete er den Kofferraum, zog seinen Seesack heraus und wartete neben dem Auto auf das, was Mitch geplant hatte.
Er hatte die Vermutung, dass der raubärtige Mechaniker mehr als nur ein CIA-Helfer war. Er war ein “Experte in Fahrzeugbeschaffung”, hatte ihm Watson erklärt. Reid fragte sich, ob Mitch eine Ressource war, jemand wie Bixby, der exzentrische CIA-Ingenieur, der sich auf Waffen und mobile Ausrüstung spezialisiert hatte. Falls das der Fall sein sollte, wieso half er dann Reid? Mitchs ruppiges Aussehen und grummelndes Auftreten löste keine Erinnerung in Reids Kopf aus, wenn er an ihn dachte. Gab es da eine vergessene Geschichte?
Das Telefon klingelte in seiner Tasche. Es war Watson.
“Alles OK?” fragte der Agent.
“So OK wie möglich, wenn man die Umstände bedenkt. Mitchs Vorstellung von einer,Ablenkung’ ist allerdings vielleicht ein wenig übertrieben ehrgeizig.”
“Er macht nur seine Arbeit. Wie auch immer, deine Vermutung hat gestimmt. Mein Informant hat einen Report über einen zwölf Jahre alten Caddy gefunden, der heute morgen aus einem Industriepark in New Jersey gestohlen wurde. Er nahm eine Satellitenaufnahme von dem Ort. Rate mal, was er gesehen hat?”
“Den vermissten weißen Kombi”, riskierte Reid.
“Genau”, bestätigte Watson. “Der stand da auf dem Parkplatz eines Schrotthaufens namens Starlight Motel.”
New Jersey? Seine Hoffnung fiel. Rais hatte seine Mädchen noch weiter nördlich gebracht —seine zweistündige Fahrt hatte sich gerade um mindestens weitere neunzig Minuten verlängert, falls es überhaupt noch eine Hoffnung gab, sie einzuholen. Er könnte sie nach New York bringen. Ein großes Ballungszentrum, wo man leicht untertauchen kann. Reid musste sich ihm ein ganzes Stück annähern, bevor dies geschah.
“Die Agentur weiß noch nicht, was wir wissen”, fuhr Watson fort. “Sie haben keinen Grund, den gestohlenen Caddy mit deinen Mädchen in Verbindung zu bringen. Cartwright hat bestätigt, dass sie nur den Hinweisen folgen, die sie haben und Strickland in Richtung Norden nach Maryland schicken. Doch es ist nur eine Frage der Zeit. Fahr zuerst hin, damit du einen Vorsprung vor ihm hast.”
Reid überlegte einen Moment. Er vertraute Riker nicht, das war glasklar. Er war sich sogar nicht mal besonders sicher, was seinen eigenen Boss, den Deputy Direktor Cartwright betraf. Doch… “Watson, was weißt du über diesen Agenten Strickland?”
“Ich habe ihn nur ein oder zwei Mal getroffen. Er ist jung, gibt sich ein bisschen zu viel Mühe, zu gefallen, doch scheint ganz ordentlich. Vielleicht sogar vertrauenswürdig. Warum, worüber denkst du nach?”
“Ich überlege…” Reid konnte selbst nicht glauben, was er gleich vorschlagen würde, doch es ging um seine Töchter. Ihre Sicherheit war das Wichtigste, egal, was die wahrgenommenen Kosten wären. “Ich denke drüber nach, dass wir vielleicht nicht die einzigen mit diesen Informationen sein sollten. Wir brauchen alle Hilfe, die wir bekommen können. Ich vertraue zwar nicht drauf, dass Riker das Richtige tut, doch vielleicht tut es ja Strickland. Könntest du ihm die Info anonym zukommen lassen?”
“Ich glaube schon. Ich müsste sie durch eine meiner Ressourcen-Verbindungen einfiltrieren, doch das ist durchaus machbar.”
“Gut. Ich will, dass er unsere Info bekommt – doch erst nachdem ich da war, um es selbst zu sehen. Ich will nicht, dass er einen Vorsprung vor mir hat. Ich will nur, dass jemand weiß, was wir wissen.” Genauer gesagt wollte er, dass jemand, der nicht Cartwright war, wusste, was sie wussten. Denn sollte ich scheitern, dann brauche ich jemanden, der es schafft.
“Wie du wünscht.” Watson war einen Augenblick lang still. “Kent, es gibt da noch was. Strickland hat etwas an der Raststätte gefunden…”
“Was? Was hat er gefunden?”
“Haare”, erklärte Watson ihm. “Braunes Haar, an dem immer noch das Follikel hing. An der Wurzel ausgerissen.”
Reids Kehle trocknete aus. Er glaubte nicht, dass Rais die Mädchen umbringen wollte – er konnte es sich nicht erlauben, das zu glauben. Der Attentäter bräuchte sie lebendig, wenn er wollte, dass Kent Steele sie fände.
Doch der Gedanke war nur wenig tröstlich, als unwillkommene Bilder Reids Gedanken invadierten. Es waren Szenen, in denen Rais seine Tochter bei ihrem Haarschopf packte und sie dazu zwang, dorthin zu gehen, wohin er es befahl. Dass er sie verletzte. Und wenn er sie auch nur das kleinste Bisschen verletzte, dann würde Reid es ihm tausendfach zurückzahlen.
“Strickland dachte, es sei nichts besonderes”, fuhr Watson fort, “Doch die Polizei fand noch mehr auf dem Rücksitz des Autos der toten Frau. Als ob jemand sie dort absichtlich hinterlassen hätte. Wie eine…”
“Wie eine Spur”, murmelte Reid. Es war Maya. Er wusste es einfach. Sie war schlau, schlau genug, um etwas zu hinterlassen. Schlau genug, um zu wissen, dass der Tatort sorgfältig untersucht und ihre Haare gefunden würden. Sie war bei lebendigem Leibe – oder zumindest war sie das, als sie dort waren. Er war gleichzeitig stolz, dass seine Tochter so ein kluges Köpfchen hatte und reumütig, dass es überhaupt soweit gekommen war.
Oh Gott. Eine neue Erkenntnis machte sich sofort breit: wenn Maya ihr Haar absichtlich im WC der Raststätte hinterlassen hatte, dann war sie auch dort gewesen, als es geschah. Sie hatte dem Monster dabei zugesehen, wie er eine unschuldige Frau ermordet hatte. Und wenn Maya dort war… dann könnte auch Sara dabei gewesen sein. Sie beide waren von den Begebenheiten im Februar auf der Uferpromenade mental und emotional betroffen worden. Er wollte gar nicht an das Trauma denken, das jetzt durch ihre Köpfe ging.
“Watson, ich muss schnell nach New Jersey gelangen.”
“Ich arbeite dran”, gab der Agent zurück. “Bewege dich nicht, es ist gleich da.”
“Was ist gleich da?”
Watson antwortete, doch seine Antwort wurde durch das plötzliche, erschreckende Aufheulen einer Sirene, direkt hinter ihm, übertönt. Er drehte sich um, als ein Polizeiwagen über den Kieselsteinparkplatz auf ihn zu knirschte.
Ich habe jetzt keine Zeit dafür. Er ließ dass Telefon zuschnappen und steckte es sich in die Tasche. Das Fenster auf der Beifahrerseite war heruntergerollt, er konnte sehen, dass zwei Polizisten darin saßen. Das Auto fuhr direkt neben seines und die Tür ging auf.
Читать дальше