Zutiefst betrübt saß sie neben ihrem Gatten, kuschelte sich an ihn und schmiegte den Kopf an seine Schulter.
Zärtlich legte er den Arm um sie und hüllte sie mit seinem Burnus ein, dann blickte er ihr forschend in die tränenfeuchten Augen.
»Weine, meine Süße«, murmelte er. »Halte die Tränen nicht zurück. Es wird dir guttun, und ich verstehe deinen Kummer, weißt du?« Er zögerte einen Augenblick, und Cathérine fühlte, wie seine Umarmung sich lockerte. Dann erklärte Arnaud entschlossen: »Früher, das kann ich dir offen gestehen, bin ich auf ihn eifersüchtig gewesen … Diese Hingebung eines treuen Hundes dir gegenüber, der unermüdliche Schutz, mit dem er dich umgab, reizten mich … und dann kam die Zeit, da ich den Preis dafür abschätzen konnte. Ohne ihn hätten wir uns vielleicht nie wiedergefunden … und ich verstand, daß ich unrecht hatte, daß seine Liebe zu dir eine andere war als die, welche ich mir vorstellte … wie man eine Heilige verehrt …«
Cathérine fröstelte und fühlte, wie sie zitterte. Die verrückte Nacht von Coca kam ihr jäh ins Gedächtnis, so gegenwärtig, so heiß, daß eine Welle der Scham und der Reue sie überspülte. Sie fühlte sich versucht, sich von ihr zu befreien, sofort einzugestehen, daß Gauthier ihr Geliebter und sie in seinen Armen glücklich gewesen war. Sie öffnete den Mund.
»Arnaud«, hauchte sie, »ich muß dir sagen …«
Aber mit einem schnellen Kuß schloß er ihr fest den Mund. »Nein, sage nichts … Noch ist die Stunde der Erinnerungen oder der Reue nicht gekommen … Gauthier lebt noch, und Abu wird vielleicht das Wunder bewirken, an das er nicht glaubt!«
Der weite Burnus umhüllte die Wärme ihrer beiden aneinandergedrängten Körper. Er bildete eine sichere und köstliche Zuflucht, in der Cathérine ihre kummerbeladene Seele barg. Was würde Arnaud sagen, wenn sie spräche, was täte er? Er würde sie zurückstoßen, würde sie in die Kälte treiben, in der ihre Seele erstarrte … und hier fühlte sie sich doch so gut, so wohl an ihn gelehnt! Es war so schön, ihn neben sich zu fühlen, von seinen wiedergewonnenen Kräften beschützt, von seiner ganzen Liebe, die nur er ihr zu geben wußte. Leidenschaftlich ergriff sie eine der verletzten Hände ihres Gatten. Die Wunden waren wieder aufgegangen, aber das Blut war bereits getrocknet.
Sie preßte die Lippen darauf.
»Ich liebe dich …«, flüsterte sie. »Oh, ich liebe dich so sehr!« Er antwortete nicht, drückte sie nur noch fester an sich, fast tat er ihr weh, und Cathérine spürte, daß er gegen die Versuchung ankämpfte, sie ganz zu besitzen … Sein dunkler Blick glitt prüfend über die verschlossenen Gesichter der schweigsamen Krieger Mansours. Sie bildeten um das Feuer eine Kette unbeweglicher, rätselhafter Gestalten, deren sonnengebräunte Haut, durch das Tragen des Selham sonst leicht blau getönt, vom flackernden Feuer erhellt wurde. Niemand beachtete das Paar. Die Unversehrten pflegten die Verwundeten, aber keiner sprach. Diese Kriegsmänner standen noch unter der Nachwirkung des bestandenen Kampfes, aber da sie von Kindheit an das gefährliche Leben gewohnt waren, verschwendeten sie keinen Augenblick, ihre verlorenen Kräfte wiederherzustellen. Wer konnte sagen, ob der nächste Kampf, der ihnen bevorstand, nicht noch in dieser Nacht stattfand?
Dies fremdartige, fast unwirkliche Bild sollte Cathérine noch lange verfolgen. Diese Nacht im Herzen des Gebirges war wie eine Rast in einer von Dschinns bevölkerten Höhle, Dämonen aus orientalischen Märchen, die man ihr bei Fatima oder im Harem erzählt hatte … Bald tauchte die hohe Gestalt Mansours am Feuer auf. Er sagte seinen Männern leise einige Worte in einem Dialekt, den Cathérine nicht verstand, kam dann ruhig um das Feuer herum und setzte sich neben Arnaud. Einer der beiden Diener, die Ben Zegris begleiteten, trat näher, in seinen verschränkten Händen Datteln und Bananen tragend. Der Maure nahm davon und bot sie, mit einem kurzen Lächeln, dem Ritter an. Es war die erste höfliche Geste, die er ihm bezeigte, aber durch diese Geste anerkannte er ihn als ebenbürtig. Arnaud dankte ihm schweigend mit einer Neigung des Kopfes. »Die Herren des Krieges erkennen sich beim ersten Zusammenprall der Waffen«, erklärte Mansour einfach. »Du bist einer der Unsrigen!«
Und Schweigen senkte sich wieder herab. Die Männer stärkten sich, aber Cathérine konnte nichts essen. Dauernd schweiften ihre Augen zu der am Eingang der Grotte stehenden Sänfte. Eine im Innern angezündete Öllampe verwandelte sie in eine Art großer Laterne, in der Abu al-Khayr bei dem Verwundeten wachte. Von Zeit zu Zeit drang ein Stöhnen zu der jungen Frau, und jedesmal krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Gleich würde Arnaud Abu ablösen, damit der kleine Arzt etwas ruhen konnte, und sie würde ihn begleiten. Aber sie wußte schon, daß dies eine Prüfung wäre und das schreckliche Gefühl der Ohnmacht, das sie empfand, angesichts des verletzten, vielleicht tödlich verwundeten Riesen noch verschärfen würde … Ein Wolf heulte im Gebirge, und Cathérine erbebte. Wieder eine schlechte Vorbedeutung …
Die Not der jungen Frau erratend, beugte Arnaud sich zu ihr und flüsterte mit leiser, leidenschaftlicher Stimme:
»Nie sollst du mehr leiden, ma mie … Nie wirst du wieder frieren, nie hungern, nie mehr Angst haben! Vor Gott, der mich hört, schwöre ich, daß ich mein Leben damit zubringen werde, dich vergessen zu machen, was du erduldet hast!«
Als der Trupp der Rebellen nach fünf Tagen Almeria erreichte, lebte Gauthier noch, aber es war klar, daß er im Sterben lag. Trotz des hartnäckigen Kampfes Abu al-Khayrs, Catherines und Arnauds gegen den Tod entfloh das Leben nach und nach dem riesigen Körper.
»Jetzt kann man nichts mehr tun«, gestand der Arzt schließlich ein. »Man kann sein Leben nur noch verlängern. Er müßte eigentlich noch in dieser Nacht sterben, wenn er nicht eine so ausgezeichnete Konstitution hätte. Und er will auch nicht leben«, fügte er nach einem Augenblick des Überlegens hinzu, »er hilft mir nicht!«
»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Cathérine.
»Daß ihm am Leben nichts mehr liegt! Ich würde sagen … ja, ich würde sagen, daß er glücklich ist zu sterben! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so gelassen zu seinem eigenen Ende beiträgt.«
»Aber ich will, daß er lebt!« lehnte Cathérine sich in einer fast kindlichen Zornesanwandlung auf. »Man muß ihn zwingen!«
»Da kannst du nichts machen! So ist es eben! Ich glaube, er hält seine irdische Aufgabe für beendet, seitdem du deinen Gatten wiedergefunden hast.«
»Wollt Ihr damit sagen, daß ich ihn nicht mehr interessiere?«
»Du interessierst ihn nur zu sehr, meiner Meinung nach! Und genau aus diesem Grunde, denke ich mir, ist er froh zu sterben.«
Diesmal antwortete Cathérine nicht. Sie verstand, was der kleine Arzt sagen wollte. Gauthier glaubte, nachdem sie Arnaud nun wiedergefunden hatte, sei kein Platz mehr für ihn in ihrem Leben. Vielleicht hatte der Gefährte ihrer dunklen Tage auch nicht den Mut, an ihrem Glück teilzunehmen. Das konnte sie verstehen, wenn sie sich auch jetzt wegen der Nacht von Coca Vorwürfe machte, als wäre es ein Verbrechen gewesen. Indem sie ihn vor dem Wahnsinn rettete, hatte sie eine Mauer zwischen ihnen errichtet.
In jedem Fall mußte Gauthier die Gemahlin Arnauds de Montsalvy verlassen …
»Wie lange wird er noch leben?« fragte sie.
Abu zuckte die Schultern.
»Wer kann das wissen? Vielleicht noch einige Tage, aber ich glaube eher, nur einige Stunden. Seine Kräfte lassen schnell nach … dennoch hatte ich gehofft, daß die Meeresluft einen wohltuenden Einfluß auf ihn haben würde!«
Das Meer! Cathérine hatte es mit ungläubigem Staunen von einem Hügel aus erblickt. Es breitete sich, so weit das Auge reichte, schimmernd, seidig, von einem tiefen, prächtigen Blau, in dem die Sonne Diamanten funkeln ließ. Es umrahmte einen goldfarbenen, weichen Strand, eine riesige Stadt* von blendender Weiße, die von einer ebenso weißen Festung beherrscht wurde, und einen Hafen, in dem Schiffe mit vielfarbigen Segeln schaukelten. Hohe Palmen wiegten ihre dunkelgrünen Wedel im Meereswind gegen den blendendblauen Himmel.
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