„So beruhigen Sie sich doch bitte!“, bat sie.
Als Klawdija Stepanowna gegangen war, stand Mark auf, um die Tür hinter ihr abzuschließen, aber da erinnerte er sich, dass die Türen im Erholungsheim keine Schlösser hatten. Also sank er wieder in den Korbsessel zurück. Langsam verflüchtigte sich der Wein aus seinem Kopf. Zurück blieb eine tiefe Kränkung.
Er wollte nicht allein sein.
Er ging auf den Balkon hinaus und sah nach, ob Kusma noch etwas zu fressen hatte.
Dann blickte er zum benachbarten Balkon hinüber – jetzt hätte Mark nichts dagegen gehabt, sich mit dem Dichter Wjatscheslawin zu unterhalten. Aber dort war alles still.
Mark wusch sich das Gesicht, nahm den Käfig mit Kusma und machte sich zum Meer auf, ging aber nicht bis zum Strand, sondern setzte sich auf einen kleinen Felsen, auf dem man einen geschmackvollen Pavillon errichtet hatte.
„Man achtet uns nicht“, meinte Mark und blickte den Vogel an. „Niemand braucht uns, dich und mich…“
Und wieder wollte Mark weinen, aber dieses Mal hielt er die Tränen zurück.
Abends erzählte er Wjatscheslawin vor dem Essen von seiner Kränkung. Sie saßen im Zimmer des Dichters, das ebenfalls klein und gemütlich war, und tranken Portwein. Was Mark im Zimmer der Jewsjukows passiert war, fand der Dichter sehr symbolisch. Dann geriet das Gespräch in irgendwelche historischen Labyrinthe, aber Mark wollte beim Thema bleiben. Er hörte einer Stimme zu, der Stimme eines Menschen, der mit ihm fühlte und ihn auch zu verstehen schien. Umso mehr, weil sie einer verwandten Tätigkeit nachgingen.
Als die Sendezentrale an das Abendessen erinnerte, schlug der Dichter vor, dass Mark sich im Speisesaal zu ihm an den Tisch setzen solle. Es stellte sich heraus, dass er sich vor ein paar Tagen ebenfalls mit seinen Tischnachbarn zerstritten hatte, und so setzten sie sich in die andere Ecke des Speisesaals.
Gegen Abend konnte sich Mark endgültig beruhigen. In sein Zimmer zurückgekehrt schlug er das Buch auf, das ihm der Dichter geschenkt hatte, las stichprobenartig etwa zwanzig Gedichte und beschloss, dass sie ihm in Zukunft nützlich sein würden. Es ließen sich darunter einige gelegentlich benötigte thematische Gedichte finden: über die Arbeit der Eisenbahner und Weichensteller, über Köche, über die Zuckerproduktion.
Bis zum Urlaubsende blieb noch eine Woche.
Mark verbrachte sie in der Gesellschaft des Dichters. Seine früheren Tischnachbarn mied er – sogar Waltusow, der eigentlich gar nichts damit zu tun gehabt hatte. Während dieser Zeit besuchte Mark noch einige interessante Vorträge für die Feriengäste. Beinahe hätte er eine bezaubernde Frau kennengelernt. Aber er hielt sich zurück: Was brachte es denn, eine Woche für das Kennenlernen aufzuwenden, um dann an Abschiedsschmerz und ähnlichen Gefühlen zu leiden?
Drei Tage vor der Abreise sonnten sie sich zu dritt am Strand, Mark, der Dichter und Kusma. Sowohl Mark als auch der Dichter durften auf ihre Bräune stolz sein – auf dieses äußere Zeichen für eine verbesserte Gesundheit. Diesmal sprachen sie über kreative Arbeit, über Dienstreisen, auf denen Wjatscheslawin sich am Beispiel von Vertretern unterschiedlichster Berufsgruppen in deren Probleme hineinfinden musste, und darüber, wie schwierig es manchmal war, diese Tätigkeitsmodelle mit ihren Problemen wieder hinter sich zu lassen. Besonders schwer war es dem Dichter gefallen, das Modell eines bekannten Chirurgen namens Bakulew wieder aufzugeben.
Plötzlich wurde das Gespräch von donnerndem Gepolter unterbrochen, auf das ein Schrei folgte, der sogleich von mehreren Stimmen begleitet wurde. Immer wieder wurden dabei die Worte „Einen Arzt! Einen Arzt!“ wiederholt.
Mark und Wjatscheslawin sprangen auf und liefen, ohne sich anzuziehen, in ihren schwarzen Badehosen nach oben an den Ort des Geschehens.
Auf dem Platz vor dem Hauptgebäude des Erholungsheims angekommen, bot sich Mark und dem Dichter der Anblick einer Menge von Steinbrocken und darunter der zertrümmerte Körper eines Mannes, der auf unnatürliche Weise mit dem Gesicht zu Boden lag.
„Ich hab ihm noch zugerufen, geschrien habe ich!“, erzählte ein dort stehender Feriengast, weiß wie Papier, dem Direktor des Erholungsheims und seine Stimme überschlug sich dabei vor Aufregung. „Aber er ist trotzdem auf das Dach geklettert, dann ist er auf den Vorbau zu diesen Statuen hinabgestiegen, um sie zu betrachten und zu betasten… Und bei der letzten dann, bei der „Kolchosbäuerin“, ist er gestolpert und hat sich an ihr festgehalten, um nicht zu stürzen, und dann ist er mit ihr gemeinsam… herunter…! Und nicht ausgelassen hat er sie!“
Mark wurde übel.
„Aber das ist doch Genosse Jewsjukow!“, sagte einer, der sich über den Kopf des liegenden Mannes gebeugt hatte. „Seine Frau ist auch hier… Man muss sie verständigen…“
„Gehen wir!“, stieß Mark den Dichter in die Seite. „Mir ist nicht gut…“
Sie gingen zur Seite und blieben stehen.
Mark bückte sich hinter einen Strauch, aber sein Magen wollte sich nicht erleichtern. „Äußerst symbolisch! Äußerst!“, sagte Wjatscheslawin mit erschütterter Stimme. „Das war doch der, der dich angeschrien hat, oder?“
„Ja…“, presste Mark hervor, ohne sich aufzurichten, und übergab sich.
Als er fertig war, drehte er sich zum Dichter um.
„Ich gehe in mein Zimmer. Tu mir einen Gefallen, geh zum Strand und hol meine Matte und den Käfig mit Kusma!“
Der Dichter nickte und schlug den Weg ein, der zum Meer führte.
In der Schule wurden Vorbereitungen für den Festtag getroffen.
„Mehr nach links, nach links!“, kommandierte Vizedirektor Kuschnerenko die beiden älteren Schüler, die ein Spruchband mit der Aufschrift „Unser Wissen für das Vaterland!“ gegenüber vom Haupteingang aufhängten. „So… hervorragend!“
Sie hatten noch viel Arbeit vor sich. Es wäre gut, wenn wir bis zum Abend fertig würden, dachte der Vizedirektor, wenn nicht, dann müssen wir auch noch nachts weiterarbeiten. Schließlich ist noch nicht einmal das Erdgeschoß fertig, dann noch drei Stockwerke und auch noch die Klassenzimmer und die Fassade der Schule…
Banow saß in seinem Büro und dachte angestrengt nach.
Da läutete das Telefon.
Ein Beamter vom Narkompros ließ ihn wissen, dass ein Bote mit einem „Fest-Attribut“ zur Schule unterwegs war. Er verabschiedete sich rasch und legte auf.
Banow verzog den Mund. Er wusste nicht, was unter einem „Attribut“ zu verstehen war, und vielleicht hatte er deshalb den Eindruck, als habe der Beamte am Telefon mit unverhohlener Herablassung mit ihm gesprochen.
Ohne anzuklopfen kam Vizedirektor Kuschnerenko ins Zimmer. Er sah Banow bekümmert an.
„Möglicherweise haben wir nicht genug Nägel!“, sagte er.
„Sie müssen reichen“, entgegnete der Schuldirektor nicht wenig erstaunt. „Sag mir am Nachmittag Bescheid, wenn wir wirklich zu wenig haben, dann fragen wir bei der Baustelle!“ Banow deutete mit dem Kopf zum Fenster, wo eine neue Ziegelmauer zu sehen war, die zu einem im Entstehen begriffenen Gebäude gehörte.
Kuschnerenko verließ das Zimmer.
Während Banow auf den Boten wartete, trommelte er mit den Fingern auf den Tisch. Auf dem Gang war Lärm zu hören. Er hatte Lust auf Tee.
Da klopfte es an der Tür.
Der Lehrer Moschajkin kam herein und hielt ein Porträt von Kalinin in der Hand. Er grüßte und tastete mit seinem Blick die Zimmerwände suchend ab.
Banow blickte ihn verwundert an.
„Genosse Direktor…“, sagte Moschajkin, „wir müssen es aufhängen. Es wurde angeordnet, dass es in der Direktion ein Porträt geben muss…“
Banow biss sich auf die Unterlippe und ließ seinen Blick ebenfalls über die Wände des Zimmers wandern: Es gab drei Wände, an der einen hing das Dserschinskij-Porträt, an der zweiten die Uhr und an der dritten stand ein Bücherregal.
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