»Das meint er nicht ernst, oder?«, fragte Billy.
»Kann man bei meinem Dad schwer sagen. Er droht immer damit, mich auf eine Kadettenanstalt zu schicken oder so.« Lane schüttelte den Kopf. »Ich hab langsam genug von dem Scheiß. Ich schwöre, wenn ich achtzehn bin, mach ich den Abflug, und wenn mein Alter mich aufzuhalten versucht, hau ich ihm eine rein.«
Billy unterdrückte ein Lächeln. Lane redete immer davon, wie er seinem Dad »eine reinhauen« oder »in den Hintern treten« würde. Letzte Woche, als sie ein Lotterielos auf dem Boden gefunden hatten, hatte Lane gesagt, dass er bei einem Gewinn von zu Hause weggehen und eine Wagenladung voll Hundekacke schicken würde, die auf dem Auto seines Vaters abgeladen werden sollte. Lanes Pläne waren immer witzig, aber sie hatten auch etwas Trauriges, und Billy war dankbar, dass er nicht die Eltern seines Freundes hatte.
Lane blickte die Auffahrt entlang. »Wo ist dein Rad?«
Billy nickte in Richtung Straßenrand. »Ich habe es da hinten gelassen. Ich dachte, vielleicht schläft dein Bruder. Ich wollte ihn nicht wecken.« Als er das letzte Mal vorbeigekommen war, hatte er nach Lane gerufen, anstatt an die Tür zu klopfen oder zu klingeln, und Lanes Mutter war herausgekommen, lächelnd wie immer, und hatte ihm mit höflicher Stimme, aber stählernem Unterton mitgeteilt, dass er das Baby aufgeweckt hatte.
Lane lachte. »Du glaubst, dein Rad würde ihn aufwecken? Da ist die Türklingel ja lauter!«
»Und? Hab ich ihn wieder geweckt?«
»Nein. Es geht ihm gut. Sei nicht so ein Angsthase. Was glaubst du denn, was meine Mutter mit dir machen wird? Dir eine runterhauen?«
Das war möglich, dachte Billy, aber er sagte nichts. Er ging die Auffahrt entlang zu dem Strauch, wo er sein Rad abgestellt hatte, während Lane sein eigenes Rad holte, und bald sausten die beiden über die Straße.
Obwohl das Land auf dem Hügel seit über zwei Jahren zur Bebauung freigegeben war, waren erst wenige der großen Grundstücke verkauft worden, und noch weniger waren schon bebaut. Da war das Haus der Chapmans, Dr. Koslowskis Haus, das Haus von Al Houghton, dem Pine Top Acres gehörte, und ein paar teure Ferienhäuser, die von Leuten errichtet worden waren, die sie nie benutzten. Ansonsten war die eingeebnete Kuppe des Hügels nur die Heimat von Bäumen und Felsen und Büschen.
Billy und Lane traten in die Pedalen und fuhren auf der gepflasterten Straße an der ländlichen Residenz des Doktors vorbei. Die Aussicht von dort war spektakulär. Zur Linken lag die Stadt, weiße Gebäude aus Holz und braune Schindeldächer, die zwischen den sommerlich grünen Bäumen hervorlugten, und dahinter die gezackte Hügelkette. Zur Rechten war der Wald, der sich im wechselnden Muster von Hügel und Tal, Hügel und Tal bis zum Horizont erstreckte, unterbrochen nur von den gerodeten Flächen und den winzigen, zusammengewürfelten Flecken entfernter Ortschaften.
Die Jungen sausten die Straße entlang. Sie hatten vor, die indianischen Ruinen am Fuß des Hügels zu besuchen. Ein Team von Archäologiestudenten der Arizona State University war gestern zu ihrem alljährlichen Sommerworkshop eingetroffen, und Billy und Lane hofften, von ihnen eingeladen zu werden, sich an der Erkundung zu beteiligen.
Sie hatten das Ausgrabungsteam im vergangenen Sommer entdeckt, auf dem Labyrinth kaum erkennbarer Pfade, die vom Forstweg abzweigten, der sich durchs Tal zog. Sie hatten aus der Ferne sich bewegende Farbflecken im Grün des Waldes entdeckt und waren hingefahren, um nachzuforschen. Die Grabung war bereits seit einem Monat im Gange gewesen, und der Anblick, der sich ihnen bot, versetzte beide in Erstaunen. Fünfzehn oder zwanzig Männer und Frauen gruben mit winzigen Kellen in flachen, quadratischen Löchern, die mit Leinen und Pfosten exakt abgesteckt waren. Die Archäologen untersuchten Tonscherben und Gegenstände aus Stein und staubten die Objekte mit kleinen, schwarzen Pinseln ab. Neben einem verbeulten Pick-up in der Mitte der Wiese lagen Reihen von Knochen und Schädeln
und indianischen Schmucksteinen. Im Umkreis der Grabungsstätte waren Teile einer niedrigen Steinmauer freigelegt worden.
Die beiden Jungen hatten mit ihren Rädern am Rand der Wiese gestanden, bis jemand sie entdeckt und »He!« gerufen hatte. Daraufhin waren sie fluchtartig losgefahren und hatten wild in die Pedalen getreten.
Doch am nächsten Tag schon waren sie zurückgekehrt.
Und am Tag darauf kamen sie noch einmal wieder.
Wie neugierige wilde Tiere gewöhnten sie sich an die Archäologiestudenten, und die Studenten gewöhnten sich an sie. Eines Tages, als sie sozusagen gezähmt waren, hatten sie den Mut aufgebracht, das Camp zu betreten.
Es war eine außergewöhnliche Erfahrung gewesen. Billy und Lane hatten beobachtet und versucht, den Studenten nicht im Weg zu stehen. Dann hatte der Grabungsleiter, ein Professor, sie ein paar Pfeilspitzen aus dem harten Boden herausschaben lassen. Es hatte Spaß gemacht und war unheimlich spannend gewesen, und obwohl die Jungen keines der Fundstücke behalten durften, hatten beide auf der Stelle beschlossen, später Archäologen zu werden.
Die Straße schlängelte sich in Kurven abwärts, und sie fanden den Pfad, der vom Asphalt weg über ein freies Grundstück in den Wald führte. Billy sprang mit dem Rad die kleine Böschung hinunter; Lane folgte ihm. Dann hatten sie auch schon das Grundstück überquert und verschwanden zwischen den Bäumen. Der Pfad wand sich durchs Unterholz und folgte dem Lauf eines längst ausgetrockneten Bachs, der in das Tal am Fuße des Hügels hinabführte. Sie sausten über den sandigen Boden. Kleine Eidechsen flitzten aus der Spur ihrer rasenden Reifen; Vögel flatterten aus den Sträuchern auf und erhoben sich lautstark zeternd in die Luft. Schließlich erreichten sie den Fuß des Hügels, und Billy kam mit schlitternden Reifen zum Stehen. Lane stoppte neben ihm. Von weiter her auf der rechten Seite drangen leise Gesprächsfetzen und Rockmusik an ihre Ohren, und sie drehten ihre Räder herum.
Obwohl die niedrigen, steinernen Umrisse der Anasazi-Gebäude sich über den gesamten Talboden erstreckten, konzentrierte das Team der Universität sich jeweils nur auf einen kleinen Abschnitt. Im vergangenen Jahr hatten die Studenten am nördlichen Ende des Tals gegraben, in der Nähe der Wiese, aber dieses Jahr schien es, als hätten sie diese Idee aufgegeben und versuchten, am dicht bewaldeten Südende nach Artefakten zu suchen.
Billy und Lane hatten den Grabungsort erreicht, ehe sie es bemerkt hatten, und hielten dicht am Rand der kleinen Lichtung. Unter mehreren Bäumen waren Klapptische und -stühle aufgestellt worden; darauf lagen Bücherstapel und Schachteln und verschiedene Werkzeuge. Der Teppich aus braunen Kiefernnadeln, der normalerweise den Boden bedeckte, war entfernt worden, und die flache, nackte Erde war in quadratische Flächen aufgeteilt. Leuchtend blaue und rote Zelte waren in dem Bereich aufgestellt, allerdings nicht genug, dass das ganze Team darin schlafen konnte. Die Studenten selbst waren um ihren Professor versammelt, ein Mann mittleren Alters mit beginnender Glatze, Präsident-Lincoln-Bart und der Sonnenbräune eines Goldsuchers.
Die Jungen stellten ihre Räder an den Büschen ab und gingen langsam und scheu vorwärts. Einige Gesichter der Studenten waren ihnen vom vergangenen Jahr bekannt, aber die meisten waren neu, und Lane und Billy wussten nicht, wie man auf sie reagieren würde.
Die Blicke der Frauen und Männer schwenkten vom Professor auf die beiden Jungen, die sich vorsichtig über den aufgegrabenen Erdboden bewegten. Der Professor drehte sich um. Als er sie wiedererkannte, legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. »Ich habe mich schon gefragt, wann ihr auftaucht«, sagte er. Seine Stimme war brüchig und heiser. »Bereit zur Arbeit?«
»Deshalb sind wir gekommen«, antwortete Lane.
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