Du Idiot! Du hast ihn direkt hier hereinlaufen lassen und nicht mal das Messer dabei, um dich zu schützen
Langsam, ohne ein Geräusch zu verursachen, stellte Dean die ungeöffnete Bierflasche auf den Küchentresen. Er war hellwach, in vollkommener Alarmbereitschaft. Er ging leise in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, und sah sich automatisch nach möglichen Ausgängen und Gegenständen, die sich als Waffe eigneten, um.
Als Dean wieder bei der Verandatür angekommen war, hörte er Tommy McClane laut lachen, und sein Herz schlug schneller. Was als Nächstes passierte, würde davon abhängen, wie schwer Tommy McClane es sich machte.
„Was die Leute bei einer Schlacht wie der von Bull Run nicht verstehen“, sagte Tommy, „ist, wie sehr die echten Augenzeugenberichte über das, was da passiert ist …“
Er verstummte, als Dean von hinten an sie herantrat.
„Keine Bewegung“, murmelte Dean über Tommys Schulter und warf Sam die Autoschlüssel zu. „Hol das Auto her! Das Messer ist an seinem Platz. Hol es!“
„Dean, warte!“
„Das Haus wimmelt nur so von Hexenbeuteln. Das ist ’ne verdammte Todesfalle.“
„Dean“, sagte Sam. „Die McClanes sind nicht besessen. Das ist Hoodoo.“
„Diese Beutel, die Sie gesehen haben, sind Schutzgegenstände“, sagte Tommy überraschend gelassen. Er drehte sich zu Dean um und verzog ungläubig das Gesicht. „Sie wollten mich doch nicht ernsthaft mit meiner eigenen Grillgabel aufspießen?“
„Das war das Einzige, was ich finden konnte“, nuschelte Dean. Er legte die Gabel zur Seite und blickte Sam an. „Ist da noch etwas, das du vergessen hast, mir zu erzählen?“
„Du warst schon misstrauisch genug. Ich wollte es nicht noch schlimmer machen.“
„Ja, toll“, schnaufte Dean wütend. „Jetzt habe ich mein Bier drinnen gelassen.“ Als er wieder zurück ins Haus ging, konnte er spüren, wie McClanes Blick auf seinem Rücken brannte.
Das muss ich mir einbilden, dachte er. Das ist nur so ein dummes Klischee.
Als er zurück auf die Veranda kam, hatte Nate sein E-Book ausgeschaltet und hörte sich zusammen mit Sam Tommy McClanes Theorie darüber an, wie der Süden den Krieg verloren hatte.
„Diese Sache mit der Schlinge ist nur das eine“, sagte McClane. „Als das letzte Jahr des Krieges angebrochen war, sind Lees Soldaten einfach nur noch verzweifelt gewesen. Die Männer haben alle möglichen Arten von Voodoo aus Louisiana auf dem Schlachtfeld eingesetzt. Zur Hölle, am Ende hat die Konföderiertenarmee sie sogar regelrecht dazu ermutigt. Zuerst war es nur harmloser Kram – Schutzzauber und Heilkräuter. Diese Dinge waren durch den Sklavenhandel hierhergekommen und wurden von der Lokalkultur absorbiert, und zwar ohne Rücksicht auf die Trennlinien zwischen den Hautfarben. Auch die weißen Bauernjungen, die reihenweise draußen an der Front starben, waren damit vertraut. Und zu diesem Zeitpunkt benutzten die Konföderierten alles, was sie in die Hände bekamen, um die Union aufzuhalten.“
McClane schüttelte den Kopf.
„Aber die Sache ging furchtbar nach hinten los. Auch hier in Mission’s Ridge. Nehmen wir zum Beispiel die Schlacht, die dieses Wochenende nachgestellt wird. Da war der Süden drauf und dran zu gewinnen. Und dann, ganz plötzlich, ohne dass es sich jemand erklären kann, sind die konföderierten Truppen aufeinander losgegangen. Die Geschichtsbücher behandeln diesen Vorfall als eine Art Aufstand, einen fatalen Zusammenbruch der Kommandokette. Aber es war mehr als das. Es war ein verdammtes Massaker, und es war der Grund, warum die Stadt dem Norden in die Hände fiel.“
„Lassen Sie mich raten“, sagte Dean. „Jubal Beauchamp war mittendrin.“
„Und er trug die Schlinge“, sagte McClane. „Da gibt es keinen Zweifel.“
„Und wo ist sie jetzt?“
Tommy McClane blickte sie müde an.
„Wo immer das Ding auch ist“, sagte er, „wir können froh sein, dass wir es los sind. Es gibt schon einen Grund, warum ich über jeder Tür und jedem Fenster meines Hauses Schutzzauber angebracht habe.“
„Haben Sie jemals von etwas namens ‚Moa’ah‘ gehört?“
Tommy zuckte bei der bloßen Erwähnung sichtlich zusammen.
„Wo haben Sie denn das aufgeschnappt?“
„Sagen wir einfach, ich habe damit nähere Bekanntschaft gemacht“, sagte Dean.
„Das ist unmöglich. Wenn Sie ihm begegnet wären, würden Sie nicht hier sitzen und davon erzählen.“
„Nun, ich hatte etwas Hilfe.“
„Glauben Sie wirklich, dass es so mächtig ist?“, fragte Dean.
„Es sitzt innerhalb der Schlinge.“ Jede Spur von Humor war aus McClanes Gesicht verschwunden. „Und diese Knoten wurden in der Hölle geknüpft.“
Ihr Motelzimmer war blau und grau gestrichen. Die eine Seite des Raumes war mit Fotos von Unionssoldaten und Gemälden von Yankees dekoriert. In der anderen Hälfte hingen Rebellenflaggen und Nachbildungen von Gebrauchsgegenständen der Konföderierten. Eine imaginäre Mason-Dixon-Linie verlief sauber zwischen den beiden durchgelegenen Einzelbetten.
„Willst du Lee oder Sherman?“, fragte Sam.
„Hä?“
„Nord- oder Südstaaten?“
Dean antwortete nicht. Er legte sich einfach auf eines der Betten und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er starrte hinauf zum Deckenventilator, der die feuchte Nachtluft in Bewegung versetzte.
Nach einem Moment des Schweigens stellte Sam den Laptop auf den Schreibtisch und ging online, um nach Bildern von verschiedenen Arten von Schlingen zu suchen. Durch die Stille hindurch konnte er spüren, wie es in seinem Bruder vor Anspannung zu brodeln begann. Als er es nicht mehr ignorieren konnte, drehte Sam sich um und blickte ihn an.
„Dean? Gibt es etwas, was du mir sagen möchtest?“
Dean bewegte sich nicht.
“Nö.“
„Du willst also die ganze Nacht daliegen und dem Ventilator beim Rotieren zuschauen?“
„Ich dachte gerade daran, mir die Zähne zu putzen.“
„Komm schon! Wenn du noch mehr dunkle Gedanken in dich hineinfrisst, wirst du irgendwann explodieren.“
Dean setzte sich schnell im Bett auf. Seine dunklen Augenringe ließen ihn zugleich erschöpft und voller nervöser Energie wirken. Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
„Dein Kumpel McClane spricht über die Hölle, als hätte er selbst eine Weile dort eingesessen. Dabei könnte ich dort den verdammten Fremdenführer für ihn spielen.“
„Er weiß von der Schlinge“, sagte Sam.
„Und das ist die andere Sache. Was weiß er wirklich? In Geschichte bin ich etwas schwach auf der Brust, und mir könnte es gar nicht gleichgültiger sein, wer den Bürgerkrieg gewonnen hat und warum. Ich bin hier, um dieses Ding auszuräuchern und anschließend aus Dodge City zu verschwinden.“
„So einfach ist es nicht.“ Sam stand vom Schreibtisch auf. „Worum geht es dir eigentlich? Um McClane oder um mich?“
Dean blieb stehen und blickte ihn von der anderen Seite des Zimmers her an.
„Es ging eigentlich mal um uns, Sammy. Dich und mich und Bobby, und das war’s. Jetzt geht es um dich und mich und irgendwen, dem du an irgendeinem x-beliebigen Tag gerade dein Vertrauen schenkst. Und offen gesagt gefällt mir das nicht gerade.“
„Nun, jetzt ist es etwas zu spät, um ihn außen vor zu lassen“, sagte Sam. „Also, konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, um diesen Fall zu lösen.“
Er setzte sich wieder an den Computer und fügte hinzu: „Schau dir das mal an!“
Er klickte sich zurück bis zu dem digitalisierten Bild von Jubal Beauchamp, das den Henkersknoten in der Schlinge um seinen Hals zeigte. Dean stellte sich hinter ihn und starrte mit verschränkten Armen auf den Bildschirm herunter.
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