„Was ist mit Moa’ah?“
„Für mich scheint es, als wären Moa’ah und Judasschlinge zwei Seiten ein und derselben Medaille. In dieser besonderen Region des Südens ist er die treibende Kraft hinter beinahe jeder Art von schlechtem Mojo, die man sich nur vorstellen kann. Wie so eine Art Brandbeschleuniger. Hört sich an, als hätte euer Bürgerkriegssoldat etwas davon abbekommen, während er die Schlinge getragen hat.“
„Also, auch wenn die Schlinge selbst weg ist …“, begann Sam.
„Moa’ah bleibt trotzdem kleben. Jep.“
„Was können wir dagegen unternehmen?“
„Fürs Erste gar nichts. Geht diesem Moa’ah bloß verdammt noch mal aus dem Weg, bis ich mehr Informationen habe. Ich rufe zurück, sobald ich etwas herausgefunden habe.“
„Danke, Bobby!“ Sam legte auf und sah Dean an. Dann bemerkte er, dass der Impala so langsam fuhr, dass er im Licht der Scheinwerfer jeden einzelnen Kiesel und alle Grasbüschel auf dem Weg erkennen konnte. „Was ist los?“
„Wir haben uns verfahren“, sagte Dean. „Das kann hier nicht richtig sein.“
„Nein, haben wir nicht.“ Sam zeigte geradewegs durch die Windschutzscheibe. „Tommy hat mir den Weg beschrieben. Bieg hier nach links ab! Schau mal – da oben auf dem Hügel!“
„‚Tommy‘ also? Hört sich an, als wärt ihr beide schon ganz dicke miteinander.“
„Also …“, sagte Sam. „Als er erst mal herausgefunden hatte, dass wir Jäger sind …“
Dean wandte ihm den Kopf zu und starrte ihn an.
„Warte mal“, sagte er, und seine Stimme wurde lauter. „Du hast es ihm erzählt? Was ist denn eigentlich der Sinn und Zweck einer Tarnidentität, wenn du –“
„Warte erst mal ab, das ist schon in Ordnung“, schnitt Sam ihm das Wort ab. „Er ist derjenige, der Rufus angerufen hat.“
„Klar, das hat er dir erzählt …“
Sam fühlte, wie langsam Wut in ihm aufstieg.
„Tut mir leid, Dean, ich hatte meinen tragbaren Lügendetektor gerade nicht dabei.“
„Aber das ist es ja gerade – du solltest so etwas gar nicht brauchen“, antwortete Dean und wollte nicht nachgeben. „Vertraue niemals einem Fremden, Sam! Das ist die Grundregel der Dämonenjagd. Nimm mal an, dieser McClane hat Rufus’ Namen einfach fallen lassen, um an uns ranzukommen. Jetzt gehen wir da ohne Deckung rein, und er weiß bereits alles über uns.“
„Nicht alles“, entgegnete Sam.
„Was? Bist du nicht mehr dazu gekommen, ihm zu erzählen, dass du die Apokalypse ausgelöst hast? Warte es nur ab – das findet er bestimmt ganz von alleine heraus.“
„Schön, ich sag dir was. Ich rufe jetzt Bobby noch mal an und frage, ob er McClane kennt. Dann wird sich zeigen, ob er Bescheid weiß.“
„Vergiss es!“, grollte Dean. „Jetzt sind wir schon da.“
Sam drehte sich wieder nach vorne und schaute durch die Windschutzscheibe auf den Lichtkegel, den die Scheinwerfer auf die Straße warfen. Sie kurvten eine ringförmig angelegte Zufahrt entlang, das Herrenhaus im Südstaatenstil erstreckte sich oberhalb und lag halb verloren inmitten von Pappeln und Weiden, die über dem Haus hingen wie Trauernde über einem aufgebahrten Verstorbenen. Alles war hoffnungslos verfallen, aber Sam konnte sich gut vorstellen, wie das Haus in seiner Glanzzeit ausgesehen hatte. Damals, als die abblätternde Farbe noch frisch gewesen war und die imposanten dorischen Säulen noch kerzengerade gestanden hatten.
Inzwischen war alles abgesackt, und die Flügel und Kuppeln gaben der Schwerkraft nach. Das ganze Gebäude schien sich langsam in die Südstaatenerde zu senken. Es wirkte, als hätten Tommy McClane und sein Sohn ihre gesamte Energie in die Arbeit für die Historische Gesellschaft gesteckt und dabei die Instandhaltung ihres eigenen Zuhauses vernachlässigt.
Im Haus brannte Licht – es schien gedämpft durch die großen Fenster. Auf der Veranda hing eine Laterne, deren Licht im Abendwind flackerte.
Sie parkten neben einem großen schwarzen Ford Ranger, stiegen aus und sahen zur Veranda hoch, die sich über die gesamte Vorderseite des Hauses erstreckte. Dort saßen zwei Gestalten im Schein der Laterne und blickten zu ihnen herunter. Sam nahm den moosigen Geruch eines Sumpfes wahr, der irgendwo in der Nähe liegen musste.
„Mr McClane?“, rief Sam nach oben.
„Sam“, sagte Tommy. „Ich freue mich, dass Sie sich entschlossen haben, meine Einladung anzunehmen.“
Sie erklommen die knarrende Treppe zur Veranda, auf der Tommy und Nate auf Stühlen aus Bambusrohr saßen. Sam sah, dass beide gelesen hatten. Tommy hielt ein Buch des Pulitzerpreisträgers Tony Hurwitz über den Bürgerkrieg in der Hand, während Nate vollkommen gefesselt auf ein flaches Ding herunterstarrte, das Sam als elektronisches Lesegerät identifizierte. Es warf ein geisterhaftes Licht auf sein Gesicht.
„Der Junge ist eine Leseratte, was soll ich sagen?“, meinte Tommy. „Als ich in seinem Alter war, habe ich Batman-Comics gelesen. Er hat sich dieses Ding zum Geburtstag gewünscht und es seither nicht mehr aus der Hand gelegt.“
„Tommy, das hier ist mein Bruder Dean“, sagte Sam.
„Ich freue mich, Sie kennenzulernen“, sagte Tommy und streckte die Hand aus.
„Ein ziemlich beeindruckendes Haus haben Sie hier“, sagte Dean und schlug ein.
„Es gehört seit fünf Generationen meiner Familie. Wir wollten es schon verkaufen, aber der Zusammenbruch am Immobilienmarkt kam uns dazwischen. Sieht so aus, als säßen wir hier erst mal fest.“
„Was liest du denn da?“, fragte Dean den Jungen.
Nate grinste verlegen und hielt den Kindle hoch, sodass Dean draufschauen konnte. Hammer of the Gods: Die Led-Zeppelin-Saga.
Dean zog die Augenbrauen hoch.
„Du magst Zeppelin?“
„Ich habe versucht, den Jungen dazu zu kriegen, die Allmans oder Skynyrd zu hören …“ Tommy schüttelte den Kopf. „Vollkommen sinnlos.“
„Zeppelin sind die besten“, sagte der Junge. „Ich lese gerade, wie sie im Riot House in LA abgefeiert und Möbel aus dem Zimmer in den Pool geworfen haben.“
Dean nickte.
“Du weißt schon, dass die Hälfte von dem, was in dem Buch steht, Bockmist ist?“
„Jep, ist aber immer noch ziemlich gut.“
„Ja“, grinste Dean. „Ist es.“
„Möchten Sie ein Glas Eistee?“, fragte Tommy und deutete mit dem Kopf auf die Mason-Gläser, die neben ihm auf dem Tisch standen. „Oder etwas Stärkeres? Ich hätte da ein Bier im Kühlschrank.“
„Da würde ich nicht Nein sagen“, sagte Dean.
„Bedienen Sie sich. Gehen Sie durch die Tür und weiter geradeaus, letztes Zimmer links.“
Dean öffnete die Tür mit dem Fliegengitter. Beim Eintreten fühlte er sich von der schieren Größe des Hauses wie erschlagen. Es war ein altes und irgendwie majestätisches Wrack von einem Herrenhaus, das viel zu groß für den Mann und seinen Sohn war. Die Zimmer, in die er unterwegs einen Blick werfen konnte, waren großzügig mit abgenutzten Möbeln, Tischen, Lampen und Antiquitäten ausgestattet, die so aussahen, als ob sie bei einer Auktion Tausende von Dollars einbrächten. Dean fragte sich, ob etwas Wesentliches verändert worden war, seit die Vorfahren der McClanes hier gelebt hatten. Er ging durch einen Rundbogen in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche Beck’s heraus. Während er sich umdrehte, blickte er nach oben und entdeckte einen Besen über der Tür.
Er blieb wie angewurzelt stehen.
Was zur Hölle
?
Über dem Eingang war außerdem ein kleiner Stoffbeutel angebracht. Ein weiterer war über dem Fenster, direkt zu seiner Linken angenagelt. Tatsächlich war jeder Eingang mit einem kleinen Gegenstand versehen, den man leicht übersehen konnte. Dort hingen ein Bündel Hühnerknochen, die mit einem Haar zusammengebunden waren, und ein Stück Rohleder, das um ein paar Federn und Tierzähne gewickelt war.
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