„Also, Sie und Dave waren zusammen“, sagte Sam. „Wie lange?“
„Ein Jahr oder so. Er hat im Restaurant über das hier geredet, nach einer Weile hatte er mich angesteckt. Ich habe eigentlich im Hauptfach Kommunikationswissenschaften studiert, aber mein Nebenfach war amerikanische Geschichte. Dann hat Dave mich zu einer Nachstellung der Schlacht von Gettysburg eingeladen, und danach war ich Feuer und Flamme.“ Sie lächelte ein wenig angesichts ihrer Erinnerungen. „Es hat ihm gefallen, dass das unser Geheimnis war. Selbst die anderen im Zweiunddreißigsten wussten nicht, dass ich eine Frau bin.“
„Waren sie beide noch ein Paar, als er gestorben ist?“
Sarah schüttelte den Kopf.
„Ich habe vor ein paar Monaten Schluss gemacht.“
„Warum?“
„Es war wegen Dave – er hatte sich verändert. Ich meine, eine Weile war ich wirklich beeindruckt, wie sehr er sich darauf konzentrierte, jedes kleinste Detail mit absoluter Authentizität darzustellen. Aber irgendetwas war plötzlich anders. Er war nicht mehr Dave. Er war die ganze Zeit lang nur noch Jubal Beauchamp. Er hatte sich in seiner Figur verloren.“
„Aha!“
„Es gab Probleme am Arbeitsplatz. Mit den Kunden, meine ich. Wir arbeiteten in einem Flughafenrestaurant, also kommt unsere Kundschaft von überall her. Dave hat angefangen, mit den Gästen über die Konföderation zu sprechen und darüber, wie der Süden den Krieg gewonnen hätte. Das kam nicht gerade gut an.“
„Autsch!“, sagte Dean.
„Sie mussten ihn feuern. Aber Dave war das egal. Er sagte, dass er dann wenigstens mehr Zeit hätte, sich auf seine eigentliche Arbeit zu konzentrieren.“
„Jubal Beauchamp zu sein?“, fragte Sam.
„Ganz recht.“
„Aua!“, sagte Dean. „Alleinstehender weißer Konföderierter …“
Sam warf seinem Bruder einen strengen Blick zu und wandte sich wieder an Sarah.
„Gab es irgendeinen bestimmten Punkt, ein Ereignis, nach dem alles anders war?“
„Eigentlich“, sagte Sarah, „ist genau das der Grund, warum ich hier bin. Nachdem es aus und vorbei war, habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, an welchem Punkt alles schiefgegangen ist.“ Die junge Frau zögerte kurz und fuhr dann fort: „Dave und ich sind vor ungefähr vier Monaten wegen einer Hochzeit nach Mission’s Ridge gekommen. Einer der Jungs aus dem Zweiunddreißigsten hat in der Pfingstkirche geheiratet.“
„Da habe ich heute auch eine Hochzeit gesehen“, sagte Dean.
„Dort wird ständig geheiratet“, sagte Sarah. „Die Rollenspieler lieben es, in dieser Kirche zu heiraten, weil es das einzige Gebäude ist, das die Unionsarmee nicht niedergebrannt hat, als sie durch Mission’s Ridge gezogen ist. Phil Oiler, haben Sie ihn kennengelernt?“
„Ich glaube schon.“
„Ein Versicherungsmakler aus Atlanta. Er war derjenige, der dort geheiratet hat, und er wollte das natürlich in Uniform tun. Also haben wir uns alle dafür zurechtgemacht. Das gesamte Zweiunddreißigste Georgia kam in Galauniform.“ Sie stockte, und ihre Miene verfinsterte sich. „Aber irgendwann zwischen der Zeremonie und dem Empfang sind Dave und Phil eine Zeit lang verschwunden.“
„Wohin verschwunden?“
„Das ist es ja. Das weiß keiner. Sie waren fast eine Stunde weg. Natürlich war die Braut total wütend, weil der Fotograf und alle anderen draußen standen und darauf warteten, zum Empfang zu gehen. Dann, in letzter Minute, sind sie aufgetaucht, als ob nichts gewesen wäre. Die Leute haben gedacht, sie wären kiffen gegangen. Aber Dave hat so etwas nicht gemacht.“
Sie atmete lange und tief ein, dann ließ sie die Luft langsam entweichen.
„An diesem Abend, beim Empfang, habe ich das erste Mal bemerkt, dass Dave sich sehr verändert hatte. Er bat mich, ihn Jubal zu nennen. Ich dachte, er wäre betrunken, aber er tat es wieder und wieder. Sein Akzent war auch stärker. Er begann, unsanft mit mir umzuspringen
wenn wir allein waren. Und das, was er so sagte – das war einfach schrecklich. Ein paar Wochen später habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich habe meine Sachen gepackt und bin ausgezogen. Dann, als ich gehört habe, was gestern passiert ist …“ Ihre Augen glänzten feucht. „Ich musste einfach hierher zurückkommen.“
„In voller Uniform?“
Die Frau zögerte und wählte ihre Worte sorgfältig aus.
„Ich wollte mit Phil reden“, sagte sie schließlich. „Ich dachte, er würde mir vielleicht etwas mehr dazu sagen können, was mit ihm und Dave an diesem Tag in der Kirche passiert ist. Und natürlich konnte ich nicht als Sarah Rafferty zu ihm gehen. Ich musste als Private Will Tanner kommen.“
„ Haben Sie mit Phil gesprochen?“, fragte Sam. „Haben Sie ihn gefragt, was bei der Hochzeit passiert ist?“
Sie nickte.
„Er hat gesagt, dass er und Dave in den Keller gegangen sind, um einen Joint zu rauchen.“ Ihre blauen Augen blitzten vor Wut. „Er hat mich angelogen. Und jetzt ist Dave tot.“
„Haben Sie mit Sheriff Daniels gesprochen?“
„Das habe ich versucht. Es interessiert sie nicht. Ich verstehe das nicht
Ich dachte, wenn ich zu ihr komme und die Wahrheit über mich und Dave sage, dass sie dann ein wenig genauer hinschauen würde. Dass sie mir helfen würde, herauszufinden, was schiefgelaufen ist. Aber es ist fast so, als ob sie auf einer ganz anderen Mission wäre.“
„Wie denn?“, fragte Sam neugierig.
„Ich weiß nicht. Es ist, als wüsste sie mehr, als sie sich anmerken lassen will
als wäre sie hinter etwas her.“
Dean und Sam tauschten Blicke und schwiegen einen Moment. Dann fragte Sam Sarah: „Was genau hat Sheriff Daniels zu Ihnen gesagt?“
„Nun, ich habe ihr erzählt, was in der Kirche passiert ist. Das wollte sie wirklich wissen. Aber als ich keine ihrer Fragen beantworten konnte, hat sie das Interesse verloren.“ Sarah runzelte die Stirn. „Glauben Sie denn auch, dass sie etwas zu verbergen hat?“
„Es ist zu früh, um das zu sagen“, antwortete Sam.
„Schauen Sie“, sagte Sarah, „wenn Sie etwas wissen, müssen Sie es mir sagen. Dave war mir nicht egal. Ich möchte die Wahrheit erfahren.“
Sie rieb sich die Augen. „Darum dachte ich, dass Sie beide vielleicht – ich meine, ich habe gehört, dass Sie gesagt haben, Sie seien Bundesagenten, also …“
Sam berührte ihren Arm.
„Nun, wir tun, was wir können. Wenn Ihnen sonst noch etwas einfällt, irgendetwas, reden Sie nicht mit dem Sheriff. Kommen Sie direkt zu uns.“
Er gab ihr eine Visitenkarte mit einer Handynummer.
„Das werde ich.“ Sie blickte auf ihre Kappe, die sie immer noch mit einer Hand umklammerte. „Sie kennen inzwischen sowieso mein Geheimnis.“
„Morgen früh“, sagte Sam, „fahren wir zum Schlachtfeld und reden mit Phil Oiler über seinen Hochzeitstag.“
„Ich danke Ihnen beiden.“ Sie hielt ihnen einen Fetzen Papier hin. „Das ist meine Handynummer.“
„Wir melden uns“, sagte Dean und griff nach dem Papierstück. Während sie zum Auto gingen, betrachtete Dean die Nummer und atmete tief durch. Dabei stieß er die Luft ruckartig in einem erschöpften Seufzer aus.
„Was für ein Tag! Alles, was ich jetzt noch will, ist ins Hotel, einen Absacker trinken und ein bisschen den Erotikkanal schauen.“
Sam schüttelte den Kopf.
„Nicht heute Abend, Dean.“
„Was? Warum? “
„Ich möchte, dass du ein paar Leute kennenlernst.“
Sam rief Bobby an, als sie unterwegs zum Haus der McClanes waren. Während er Bobby nach der Judasschlinge und dem Moa’ah fragte, erklärte er Dean nebenbei den Weg. Eine längere Gesprächspause entstand, und Sam hörte im Hintergrund Seiten rascheln.
„Es sieht so aus, als gehörten Geschichten über die Schlinge zu den ganz frühen Überlieferungen aus dem Bürgerkrieg“, sagte Bobby schließlich. „Es gibt sogar Lieder über das Ding.“
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