Die Zuhörerinnen nahmen diese Erklärungen mit unterschiedlichen Reaktionen auf. Offenbar stimmten die meisten der guten Beurteilung zu, die Aluph ihrer Freundin aussprach. Aber hier und da wurde doch auch eine Augenbraue hochgezogen oder ein leises ungläubiges Lachen laut.
»Es gibt da noch ein anderes Feld, das mich sehr freut: das Feld E «, sagte Aluph, und Cynthia beugte sich eifrig vor. »Es ist etwas, das wir in diesen Tagen so dringend nötig haben in unserer Stadt, in der uns nachts auf den Gehwegen die Verzweiflung packt, solange dieser Mörder noch auf freiem Fuß ist. Es ist das Feld, in dem die Hoffnung angesiedelt ist. Ich muss sagen, Cynthia«, er senkte respektvoll die Stimme, »Ihr zeigt selbst im Angesicht des Unglücks eine grenzenlose Hoffnung, dass sich die Dinge bessern werden. Optimismus ist gewiss das größte Geschenk. Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich Köpfe untersucht habe, in denen so viel Schwermut sitzt, wie man es sich kaum vorstellen kann. Wie erfrischend für mich, jemandem mit einem Charakter wie dem Euren zu begegnen. Das macht mich hoffnungsvoll für die Zukunft.«
Cynthia fasste diese Erklärung als Kompliment auf und wurde dementsprechend rot. Ihre Freundinnen nickten verständig, manche sogar ein wenig neidisch, und die verblüffend übereinstimmende Meinung war die, dass fast jede der Damen Mrs Ecclestopes Kopf schon vorher für ganz und gar ungewöhnlich gehalten und es nur nie ausgesprochen habe.
»Abschließend, liebe Cynthia, möchte ich Euch zu Eurem Glück und Eurem Charakter gratulieren. Ihr seid einzigartig unter den Urbs Umidanern.«
Die Wangen der guten Dame glühten regelrecht, als Aluph seine Ausführungen beendet hatte, und sie war ganz atemlos. »Oh, Mr Buncombe«, japste sie, »Ihr habt meinen Tag gerettet. Wartet nur, bis ich das Arthur erzähle. Wie wird er sich freuen zu erfahren, dass er eine so kluge Frau hat. Manchmal denke ich nämlich, dass er daran zweifelt.«
»Ich bin überzeugt, es wird eine höchst willkommene Eröffnung für ihn sein«, sagte Aluph, während er eine elegante Verbeugung machte und sich dann zurückzog.
Der Butler, der an der Tür gelauscht hatte, übergab Aluph einen Lederbeutel mit Münzen.
»Mrs Ecclestope war offenbar zufrieden«, sagte er in fragendem Ton.
»Das denke ich doch«, sagte Aluph. »Ich habe ihr vorgeschlagen, dass sich auch ihr Gatte den Kopf untersuchen lassen sollte.«
»In der Tat, Sir«, sagte der Butler unbeirrbar, »eine wirklich raffinierte Idee, wenn Ihr mich fragt. Und sich vorzustellen, dass manche Leute das alles als Q-U-A-T-S-C-H abtun!«
»Was für eine Vorstellung!«, sagte Aluph lächelnd. »Was für eine Vorstellung!«
Kapitel 23

Eine grausige Entdeckung
Da hat’s jemand erwischt!«, tönte der Schrei eines Jungen vom Ufer des Foedus. »Da hat’s jemand erwischt!«
Ein aus dem Fluss auftauchender Körper stieß bei den Urbs Umidanern immer auf Interesse. Für gewöhnlich handelte es sich bei den Opfern des Foedus um fremde Seeleute von den Schiffen, die mit exotischen und duftenden Ladungen über den Fluss segelten. Oft hatten diese Schiffe schon viele Wochen auf See hinter sich, sodass die durstigen Matrosen bei der erstbesten Gelegenheit von Bord gingen und zielstrebig in die Kneipen am Hafen stürmten. Nach einer langen durchzechten Nacht war dann schon manch betrunkener Matrose auf dem nassen Deck ausgerutscht und im Fluss gelandet. Und das bedeutete das Ende. Im Winter, wenn die unerbittliche Kälte das Flusswasser zu einer zähflüssigen Masse verdickte, war das Spritzgeräusch beim Eintauchen eines schweren Gegenstands, eines Menschen oder von etwas anderem, nur sehr leise. Und sollte doch jemand den Sturz gehört haben, konnte man in einer Stadt wie Urbs Umida nicht unbedingt mit der Hilfsbereitschaft der Einwohner rechnen.
Irgendwann wurden alle diese Leichen natürlich an die Oberfläche getrieben. Fremde, die man nach ihrer Hautfarbe und ihrem Aussehen identifizierte, wurden sorgfältig nach Gold (Zähne und Ohrringe) durchsucht, ehe man sie in den Fluss zurückwarf. Man handelte dabei nach der Vorstellung, dass schließlich jeder ordentliche Seemann sein Grab in den Wellen finden wolle. Außerdem gab es die stille Übereinkunft, dass, wer eine Leiche entdeckte, ein Anrecht auf die Beute besitze. Daher das aufgeregte Geschrei des Jungen. Diesmal jedoch sollte er enttäuscht werden, denn es war nur die Leiche von Harry Etcham, die der Foedus freigab.
Harry, zu Lebzeiten ein wohlbeleibter Mann, sah als Toter noch aufgedunsener aus. Nachdem er in den Fluss gestoßen worden war, hatte er sich in einem Gewirr von Wasserpflanzen verfangen und lag nun schon seit Tagen im Foedus neben dem Pfeiler des dritten Brückenbogens. Wenn man sehr genau hinschaute, ließ sich knapp unterhalb der Wasseroberfläche seine Nasenspitze erkennen.
Nun würde er nie mehr erfahren, wer ihn über die Mauer gestoßen hatte, doch mit diesem Problem war er weder der Erste noch der Letzte. Der Foedus, der ihn länger im Griff gehabt hatte als die meisten anderen, wurde seines aufgeweichten runzligen Körpers schließlich überdrüssig und spülte ihn ans Ufer nahe der Treppe. Er landete nicht auf dem, sondern im Uferschlamm (aufgrund seines Gewichtes) und bildete dort eine deutliche Vertiefung, etwa so wie manch ausgestorbenes Meerestier aus längst vergangenen Zeiten. Kaum hörten die Leute das Geschrei des Jungen, kamen sie von allen Seiten herbeigerannt, um zu sehen, was es gäbe. So viel Aufmerksamkeit wie an diesem Tag war dem armen Harry zu Lebzeiten nie vergönnt gewesen.
Rein zufällig ging gerade in diesem Augenblick Aluph Buncombe über die Brücke. Er pfiff vergnügt vor sich hin, die Börse mit dem klimpernden Inhalt sicher an der Innenseite seiner Kniehose festgebunden. Gerade kam er von einer sehr erfolgreichen Sitzung bei einer von Cynthia Ecclestopes Freundinnen, wo man ihm außerdem weitere Aufträge in ihrem vornehmen Kreis in Aussicht gestellt hatte. Er traf gleichzeitig mit Wachtmeister Coggley am Schauplatz ein, der sich gerade mühsam durch die dicht stehende Menge kämpfte.
»Zurücktreten! Zurück!«, knurrte er. Widerwillig kam man der Aufforderung nach und Aluph nutzte geschickt den frei werdenden Gang, um dem Wachtmeister dicht auf den Fersen zu folgen. Coggley stieg vorsichtig zum schlammigen Ufer hinunter und beugte sich mit vor Ekel hochgezogener Lippe über Harrys Leiche.
»Ich brauche Hilfe!«, rief er zu den Zuschauern hinauf, doch er blickte nur gegen eine Wand steinerner Gesichter.
»Wartet, ich helfe Euch«, sagte Aluph und stieg ebenfalls hinunter. Sein Interesse an derart grausigen Dingen unterschied sich schließlich von dem der anderen Einwohner. Ihm ging es nicht um Geld oder Sensationslust, sondern um wissenschaftliche Erkenntnisse. Was er in den Salons auf der anderen Seite des Flusses auch sagen mochte, Aluph hatte tatsächlich ein echtes Interesse an der »Landkarte des Schädels«. Vor Kurzem hatte er die Theorie formuliert, dass die Bestimmung von Schädelregionen möglicherweise einen Hinweis darauf liefere, ob der Betreffende zu Missgeschicken neige. Er überlegte außerdem, und das war ein absolut spannender Gedanke, dass sich vielleicht sogar daraus schließen ließe, ob eine Person etwa mehr als eine andere dazu bestimmt sei, einem Mörder zum Opfer zu fallen. Zurzeit verständlicherweise ein aktuelles Thema.
Angenommen, es wäre tatsächlich so, dachte er bei sich. Ich könnte dazu beitragen, dass Menschen in der Lage wären, ihrer Ermordung aus dem Weg zu gehen. Ich wäre eine Art Schädel-Wahrsager. Er brauchte nicht erst seinen Kopf abzutasten, um zu wissen, dass eine solche Begabung äußerst förderlich für seinen beruflichen Erfolg wäre. Wachtmeister Coggley musterte Aluph von Kopf bis Fuß, bemerkte die feine Aufmachung und das Monokel und fragte sich, was ein solcher Mann auf der südlichen Flussseite zu suchen habe. Er zog die Schultern hoch.
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