Dann kamen die Elben des Tales herbei, begrüßten sie und führten sie durch das Wasser zu Elronds Haus. Ein herzliches Willkommen wurde ihnen bereitet, und an diesem Abend hörten viele Ohren gespannt dem Bericht ihrer Abenteuer zu. Gandalf erzählte, denn Bilbo war still und schläfrig geworden. Das meiste kannte er ja, denn er war schließlich dabeigewesen. Aber ab und zu machte er ein Auge auf und hörte zu, wenn eine Geschichte an der Reihe war, die er noch nicht kannte.
Auf diese Weise erfuhr er, wo Gandalf gewesen war, denn er belauschte ein Gespräch zwischen dem Zauberer und Elrond. Daraus entnahm er, daß Gandalf einem großen Rat aller weisen Zauberer beigewohnt hatte, den Meistern der überlieferung und der guten Zauberkunst, und daß sie endlich den Geisterbeschwörer aus seiner finsteren Zwingburg südlich des Nachtwaldes vertrieben hatten.
»Nicht mehr lange«, bemerkte Gandalf, »und der Nachtwald wird bestimmt eine glücklichere Gegend werden. Der Norden ist von diesem Schrecken für lange Zeit befreit. Aber ich wünschte, er wäre aus der ganzen Welt verbannt.«
»Das wäre wirklich gut«, antwortete Elrond. »Doch ich fürchte, das wird nicht zu unserer Zeit geschehen, vielleicht auch für viele Jahre danach nicht.«
Als die Geschichten ihrer Reise erzählt waren, kamen andere Geschichten an die Reihe und abermals andere, Geschichten aus lang zurückliegender Zeit und auch neue Geschichten, ja sogar Geschichten aus überhaupt keiner Zeit, bis Bilbos Kopf auf die Brust sank und er bequem in einer Ecke zu schnarchen begann. Als er aufwachte, fand er sich in einem weißen Bett wieder.
Der Mond schien durch das offene Fenster, unter dem Elben laut und klar an den Ufern des Flusses sangen.
»Singt, Freunde, singt alle, fallt ein in die Weise,
der Heidewind spielt um die Baumwipfel leise.
Der Mond und die lauschenden Sterne verweilen
über dem Ufer, den Eschen und Erlenzeilen.
Tanzt, Freunde, tanzt alle und schließet den Reigen,
das Gras weht wie Samt, wie Wind in den Zweigen,
der silberne Fluß trägt die Schatten der Weiden
als feinstes Gespinst aus schimmernden Seiden.
Kein Leid mehr, kein Kummer, die Ängste vergangen,
zu End das Lied, das wir Elben ihm sangen,
Steig hinter die Hügel, schweigsamer Mond –
schlaf, Ufergesträuch, schlaf, wer in Rivendell wohnt.«
»Gut, ihr fröhliches Volk«, sagte Bilbo und lehnte sich aus dem Fenster. »Welche Stunde zeigt der Mond eigentlich an? Euer Wiegenlied würde einen betrunkenen Ork aufwecken! Aber ich danke euch!«
»Und Euer Schnarchen einen versteinerten Drachen – aber wir danken Euch«, antworteten sie ihm mit Gelächter. »Es geht jetzt auf den Frühtau zu, und Ihr habt fest geschlafen seit Anbruch der Nacht.
Morgen vielleicht seid Ihr von Eurer Müdigkeit geheilt.«
»Ein kleiner Schlaf in Elronds Haus ist ein großartiges Heilmittel«, sagte Bilbo. »Aber ich will noch besser geheilt werden. Also auf ein zweites ›gute Nacht‹, liebe Freunde!« Und damit kroch er ins Bett zurück und schlief weit in den Morgen hinein.
Bald fiel in Elronds Haus alle Müdigkeit von ihm, und es gab früh und spät viel Spaß und Tanz mit den Elben des Tales. Aber selbst ein solches Haus konnte Bilbo nicht lange aufhalten, denn er dachte immerzu an sein eigenes Zuhause. Nach einer Woche sagte er Elrond Lebewohl, beschenkte ihn und ritt mit Gandalf davon.
Als sie das Tal verließen, verdunkelte sich der Himmel, Wind kam auf, und Regen schlug ihnen ins Gesicht.
»Der Mai ist eine lustige Zeit«, sagte Bilbo. »Aber mir scheint, wir haben ihn hinter uns und kommen nach Hause. Dies ist der erste Vorgeschmack.«
»Es ist noch ein langer Weg«, entgegnete Gandalf.
»Aber es ist der letzte«, sagte Bilbo.
Sie kamen an den Fluß, der die eigentliche Grenze der wilden Einöde bildete, und zu der Furt unter dem Steilufer, an die ihr euch vielleicht erinnert. Der Fluß führte Hochwasser, das kam von der Schneeschmelze und vom tagelangen Regen. Aber sie überquerten ihn, wenn auch mit einiger Schwierigkeit, und dann eilten sie weiter, obgleich es Abend wurde. Sie wollten den letzten Abschnitt ihrer Reise hinter sich bringen.
Und dieser letzte Teil verlief ebenso wie der erste, ausgenommen, daß sie nur zu zweit und schweigsamer waren und diesmal keinen Trollen begegneten. Jeder Punkt des Weges rief Bilbo die Ereignisse und Gespräche wieder ins Gedächtnis, die nun ein ganzes Jahr zurücklagen – ihm schien es, als seien mehr als zehn vergangen –, so daß er natürlich rasch den Platz wiedererkannte, an dem das Pony in den Fluß gefallen war und wo sie das böse Abenteuer mit Tom, Bert und Bill zu bestehen hatten.
Nicht weit ab vom Weg fanden sie das Gold der Trolle, das sie vergraben hatten, noch unberührt verborgen. »Ich habe genug auf Lebenszeit«, sagte Bilbo, als sie es ausgegraben hatten. »Nehmt es, Gandalf, ich wette, Ihr könnt mehr damit anfangen als ich.«
»Tatsächlich, das kann ich«, erwiderte der Zauberer. »Aber teile, und teile gerecht! Ihr werdet es vielleicht nötiger haben, als Ihr annehmt.«
So taten sie das Gold in Säcke und hängten sie ihren Ponys, die darüber gar nicht erfreut waren, an den Sattel. Danach kamen sie nur noch langsam voran, denn meistens mußten sie neben ihren Ponys hergehen. Aber das Land war grün, und der Hobbit trottete zufrieden durch das hohe Gras. Er wischte sich den Schweiß mit einem roten Seidentaschentuch aus dem Gesicht – nein, nicht ein einziges seiner eigenen hatte die Reise überlebt, er hatte dieses Tuch von Elrond borgen müssen –, denn der Juni hatte den Sommer gebracht, und das Wetter war wieder klar und heiß.
Wie alle Dinge ein Ende haben, so auch diese Geschichte. Es kam der Tag, an dem sie jenes Land wiedersahen, in dem Bilbo geboren und erzogen worden war und wo die Landschaft und die Bäume ihm ebenso bekannt waren wie seine Hände und seine Zehen. Als sie eine Anhöhe erreichten, sah Bilbo seinen Berg in einiger Entfernung liegen, und er hielt an und sagte plötzlich:
»Wege wandern weit und lang
über Felsenpässe, unter Eichen,
folgen tief hinab dem Höhlengang,
folgen Fluß und Strom, die nie das Meer erreichen,
über Schnee, den weiß der Winter ausgesät,
Juniblumen wehen mit den Winden,
über Steine, Moos, im Dämmern spät,
unterm Mond in alten Sommerlinden.
Wege wandern weit und still,
Wolken ziehen drüber her und Sternenlieder
doch den müden, alten Füßen will
Rast die Heimat geben wieder.
Augen, die das Feuer sahen und das Schwert,
Schreckenstat und Unheil, wilde Pfeile,
schauen endlich, was sie lang entbehrt:
Wiesensaum und altvertrauter Bäume Zeile«
Gandalf schaute ihn an. »Mein lieber Bilbo, irgend etwas ist mit Euch los. Ihr seid nicht mehr der alte Hobbit.«
So überquerten sie die Brücke, gingen vorbei an der Mühle am Fluß und kamen endlich zu Bilbos Haustür.
»Kreuzschwerenot!« rief Bilbo. »Was geht hier vor?« Ein geschäftiges Kommen und Gehen herrschte vor seiner Tür. Leute aller Art, achtbare und weniger achtbare, drängten sich auf seiner Schwelle. Sie gingen hinein, kamen heraus, nicht einmal ihre Füße wischten sie auf der Matte ab, wie Bilbo mit höchstem Mißfallen feststellen mußte.
Wenn er schon überrascht war, so waren es die Leute noch mehr. Bilbo war mitten in eine Auktion geraten. Ein großer Anschlag in Rot und Schwarz hing an der Tür und kündigte an, daß am 22. Juni die Herren Wühler, Wühler & Graber, den nachgelassenen Besitz des seligen Bilbo Beutlin, Hochwohlgeboren, von Beutelsend, unter dem Berg, Hobbingen, versteigern würden. Beginn der Versteigerung pünktlich zehn Uhr. Jetzt war es fast Mittagszeit, und das meiste hatte schon seine Käufer zu den unterschiedlichsten Preisen gefunden, spottbillig oft, wie es bei Auktionen nun einmal zuzugehen pflegt. Bilbos Vettern, die Sackheim Beutlins, waren sogar schon eifrig dabei, die Zimmer auszumessen, ob wohl ihre eigenen Möbel hineinpaßten. Kurz, Bilbo war für tot erklärt worden, und nicht jeder war glücklich darüber, daß diese Annahme sich als falsch erwies, selbst wenn er so tat.
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