Dain aber teilte den Schatz weise, denn es war natürlich nicht länger mehr die Rede davon, Balin und Dwalin, Dori und Nori und Ori, Oin und Gloin, Bifur, Bofur und Bombur oder Bilbo den geplanten Anteil zu geben. Bard allerdings erhielt ein Vierzehntel allen Goldes und Silbers, ob verarbeitet oder nicht verarbeitet, denn Dain sagte: »Wir wollen den Vertrag des toten Thorin achten, denn er hat seinen Arkenjuwel zurückerhalten.«
Ein Vierzehntel war ein über alle Maßen großer Reichtum, größer als ihn manch sterblicher König sein eigen nennt. Von diesem Schatz sandte Bard dem Meister der Seestadt einen großen Anteil an Gold, und großzügig belohnte er seine Freunde und die Männer, die ihm gefolgt waren. Dem Elbenkönig gab er die Smaragde Girions, Juwelen, wie sie der König besonders liebte und die Bard von Dain erhalten hatte.
Zu Bilbo aber sagte Dain: »Dieser Schatz gehört so gut Euch, wie er mir gehört. Indessen können die alten Vereinbarungen nicht aufrechterhalten werden. Zu viele haben einen Anspruch, weil sie ihn mitgewonnen und mitverteidigt haben. Obgleich Ihr bereit wart, all Eure Forderungen fallenzulassen, möchte ich nicht, daß Thorins Worte, die er bereut hat, sich erfüllen. Von allen möchte ich Euch am reichsten belohnen.«
»Sehr freundlich von Euch«, entgegnete Bilbo. »Aber für mich ist es wirklich eine Erleichterung. Wie in aller Welt sollte ich einen so großen Schatz ohne Mord und Totschlag den ganzen Weg nach Hause tragen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Und ebensowenig weiß ich, was ich zu Hause mit ihm anfangen soll. Ich bin sicher, daß er in Euren Händen besser aufgehoben ist.«
Schließlich stimmte Bilbo zu, zwei kleine Kisten zu nehmen, eine mit Gold und eine mit Silber (soviel ein kräftiges Pony tragen konnte). »Das ist gerade das, was ich schaffen kann«, sagte er. Dann war es Zeit, von den Freunden Abschied zu nehmen.
»Lebt wohl, Balin«, sagte er. »Und lebt wohl, Dwalin. Lebt wohl, Dori, Nori, Ori, Oin, Gloin, Bifur, Bofur und Bombur! Mögen eure Bärte sich niemals lichten!« Zum Berg gewandt, fügte er hinzu: »Lebt wohl, Thorin Eichenschild. Und Fili und Kili! Möge euer Andenken niemals vergessen werden!«
Die Zwerge vor dem Tor verbeugten sich tief Aber die Worte blieben ihnen in der Kehle stecken. »Lebt wohl, und viel Glück auf allen Euren Wegen!« erwiderte Balin schließlich. »Wenn Ihr uns je wieder besucht und unsere Hallen wieder schön eingerichtet sind, so soll es ein wunderbares Fest werden.«
»Und wenn ihr jemals bei mir zu Hause vorbeikommt« sagte Bilbo, »so klopft nicht erst an! Tee gibt es um vier. Aber jeder von euch ist zu jeder Zeit willkommen.«
Dann machte er sich auf den Weg.
Das Elbenheer war auf dem Marsch. Und wenn es auch traurig anzusehen war, wie viele für immer in ihren Reihen fehlten, so waren doch alle froh, daß die Welt des Nordens für lange Zeit glücklicher sein würde. Der Drache war tot, und die Orks waren vernichtet, und ihre Herzen freuten sich schon, daß nach dem Winter ein fröhlicher Frühling kommen würde.
Gandalf und Bilbo ritten hinter dem Elbenkönig, und neben ihnen schritt Beorn einher, wieder in menschlicher Gestalt. Er lachte und sang mit lauter Stimme den ganzen Weg. So zogen sie bis zum Saum des Nachtwaldes, nördlich der Stelle, wo der Nachtwaldfluß herauskam. Dann hielten sie an, denn der Zauberer und Bilbo wollten den Wald nicht betreten, wenn auch der König sie herzlich bat, eine Weile Gäste in seinen Hallen zu sein. Sie beabsichtigten, dem Saum des Waldes bis zu seinem Nordende zu folgen und die Einöde zu durchqueren, die zwischen ihm und dem Grauen Gebirge lag.
Es war ein langer, unerfreulicher Weg, aber jetzt, da die Orks vernichtet waren, schien er sicherer zu sein als die schrecklichen Pfade unter den Bäumen. Außerdem nahm auch Beorn diesen Weg.
»Lebt wohl, o Elbenkönig!« sagte Gandalf. »Fröhlichkeit sei in Eurem grünen Wald, denn die Welt ist wieder jung! Und fröhlich sei Euer ganzes Volk!«
»Lebt wohl, o Gandalf!« erwiderte der König. »Mögt Ihr immer dort auftauchen, wo man Eure Hilfe am meisten braucht und am wenigsten erwartet! Je öfter Ihr in meinen Hallen erscheint, je mehr werde ich mich freuen!«
»Ich möchte Euch bitten«, sagte Bilbo plötzlich stotternd und verlegen auf einem Bein stehend, »diese Gabe anzunehmen!«, und er holte ein silbernes Perlenhalsband hervor, das Dain ihm beim Abschied gegeben hatte.
»Womit habe ich eine solche Gabe verdient, o Hobbit?« fragte der König.
»Nun, hm, ich dachte, versteht Ihr«, antwortete der Hobbit ziemlich verlegen, »daß man sich schließlich, hm, für Eure Gastfreundschaft, hm, ein bißchen erkenntlich zeigen sollte. Ich meine, sogar ein Meisterdieb hat seinen Stolz. Ich habe viel von Eurem Wein getrunken und von Eurem Brot gegessen.«
»Ich nehme Eure Gabe an, o Bilbo«, sagte der König ernst.
»Und Euch ernenne ich zum Elbenfreund und segne Euren Weg. Möge Euer Schatten niemals kürzer werden (sonst wird das Stehlen zu leicht)! Lebt wohl!«
Bilbo mußte viele Mühsale und Abenteuer bestehen, ehe er daheim anlangte. Die Wildnis war noch immer Wildnis geblieben, und in jenen Tagen gab es außer Orks noch manche andere Gefahr. Aber Bilbo wurde gut geführt und gut beschützt – der Zauberer war bei ihm und ein gutes Stück Wegs auch Beorn. Und so geriet er nie in eine ernste Gefahr. Im Mittwinter erreichten sie Beorns Haus, und dort blieben beide für eine Weile. Weihnachten waren sie gut aufgehoben und hatten eine fröhliche Zeit.
Von weit her kamen Menschen auf Beorns Einladung zum Festschmaus. Die Zahl der Orks in den Nebelbergen war klein geworden. Noch saß ihnen der Schreck in den Gliedern, und sie hielten sich in den tiefsten Löchern verborgen. Die Warge aber waren aus den Wäldern verschwunden, so daß die Menschen ohne Furcht reisen konnten. Beorn wurde später ein großer Häuptling in diesen Gegenden und dem Wald. Es wird erzählt, daß viele Generationen lang die Menschen aus seinem Geschlecht Macht hatten, sich in Bären zu verwandeln. Einige waren grimmig und böse, aber die meisten waren in ihrem Herzen so wie Beorn, wenn auch weniger groß und stark. In ihren Tagen wurden die letzten Orks aus den Nebelbergen verjagt, und ein neuer Friede kam für die Einödgrenze.
Es wurde Frühling, ein heller, milder Frühling mit strahlenden Sonnentagen, ehe Bilbo und Gandalf schließlich von Beorn Abschied nahmen. Und obgleich Bilbo Heimweh hatte, ging er mit Bedauern, denn die Blumen in Beorns Garten waren im Frühling nicht weniger wunderbar als im hohen Sommer.
Kurz, sie machten sich auf den langen Weg und erreichten den Paß, wo die Orks sie gefangen hatten.
Aber sie kamen früh am Morgen dort oben an, und als sie zurückblickten, sahen sie strahlend hell die Sonne über den ausgedehnten Landschaften leuchten. Dort hinten lag der Nachtwald, blau in der großen Entfernung. Und selbst im Frühling sah sein näher gelegener Saum noch düster grün aus. Am Rande des Horizonts aber war der Einsame Berg zu erkennen. Auf seinem höchsten Gipfel schimmerte immer noch Schnee.
»So folgt Schnee auf Feuer, und selbst Drachen finden ihr Ende«, sagte Bilbo, und damit wandte er dem großen Abenteuer den Rücken. Die Tukseite in ihm wurde sehr müde, und die Beutlinseite nahm von Tag zu Tag an Stärke zu. »Ich habe jetzt nur noch den einzigen Wunsch, möglichst bald in meinem gemütlichen Armsessel zu sitzen!« sagte er.
Gerade am 1. Mai kamen sie zurück an den Rand des Tales von Rivendell, wo das Haus an der Einödgrenze stand. Wieder war es Abend. Ihre Ponys waren müde, besonders das eine, das ihr Gepäck trug. Und jeder fühlte den Wunsch nach Rast und Ruhe. Als sie den steilen Pfad hinunterritten, hörte Bilbo die Elben wieder in den Bäumen singen, als ob sie seit ihrem Abschied nie aufgehört hätten. Und als die Reiter in die unteren Waldlichtungen kamen, begannen sie ein Lied, das ganz ähnlich ihrem Lied von damals war.
Читать дальше