Als sie so dastanden, auf die Mauer zeigten und durcheinanderredeten, rief Thorin ihnen zu: »Wer seid ihr« (er rief mit sehr lauter Stimme),"die ihr kommt, als wolltet ihr Krieg tragen zu den Toren von Thorin, Sohn von Thrain, König unter dem Berg. Was wollt ihr?«
Aber sie antworteten nicht. Einige wandten sich rasch zurück, die anderen gafften noch eine Weile das Tor an und seine Befestigung, und dann folgten sie ebenfalls. An diesem Tag wurde das Lager verlegt, mitten zwischen die ausgreifenden Bergflanken. Die Felsen hallten von Stimmen und Liedern wider, wie sie es für eine lange, lange Zeit nicht mehr getan hatten. Auch Elbenharfen waren zu hören und süß klingende Musik. Und wie das Echo heraufdrang, war es, als erwärmte sich die kalte Luft, und ein Duft von Waldblumen und Frühling stieg zu den Zwergen herauf.
Da wünschte Bilbo nichts sehnlicher, als aus der dunklen Festung zu entfliehen. Er wollte hinuntergehen und an der Fröhlichkeit und dem Schmaus am Lagerfeuer teilnehmen. Auch einige der jüngeren Zwerge waren gerührt und murmelten, daß ihnen ein anderer Ausgang ihres Abenteuers lieber gewesen wäre und daß sie dieses Volk draußen besser als Freunde willkommen heißen sollten.
Doch Thorin schaute finster drein.
Dann brachten auch die Zwerge Harfen und Instrumente aus dem alten Schatz und musizierten, um sein Gemüt zu beschwichtigen. Aber ihr Lied war dem der Elben nicht vergleichbar. Es ähnelte sehr dem alten Gesang, den sie in Bilbos kleiner Hobbithöhle angestimmt hatten.
Doch dieses Lied gefiel Thorin. Er lächelte wieder und wurde fröhlich. Sogleich berechnete er die Entfernung zu den Eisenbergen und wie lang es dauern würde, bis Dain den Einsamen Berg erreichen konnte, falls er sogleich aufgebrochen war. Aber Bilbos Herz wurde schwer: Die Rede klang allzu kriegerisch.
Am nächsten Morgen sahen sie früh eine Schar Speerträger den Fluß überqueren und das Tal heraufkommen. Mit sich führten sie das grüne Banner des Elbenkönigs und das blaue Banner vom See. Sie kamen heran, bis sie dicht vor der Mauer unter dem Eingang standen.
Wieder rief ihnen Thorin mit lauter Stimme zu: »Wer seid ihr, die ihr in Waffen zu den Toren Thorins, des Sohns von Thrain, König unter dem Berg, kommt?« Diesmal erhielt er Antwort.
Ein großer Mann schritt nach vorn, dunkles Haar, grimmiges Antlitz, und er schrie: »Gruß, Thorin!
Warum verschanzt Ihr Euch wie ein Räuber in seiner Höhle? Noch sind wir keine Feinde. Wir freuen uns, daß Ihr, was keiner zu hoffen wagte, noch am Leben seid. Wir kamen und nahmen an, daß wir niemand mehr hier am Leben fänden. Jetzt aber, da wir Euch hier treffen, ist es angebracht, Unterhandlung zu führen und Rat zu halten.«
»Wer seid Ihr, und worüber wollt Ihr unterhandeln?«
»Ich bin Bard. Durch meine Hand wurde der Drache erschlagen und Euer Schatz befreit. Geht Euch das nichts an? Mehr noch: Ich bin Abkomme und rechtmäßiger Erbe Girions von Dal, und in Eurem Schatz befindet sich manches aus seinem Schatz und seiner Stadt, was der alte Smaug gestohlen hat.
Ist das nicht eine Angelegenheit, über die gesprochen werden muß? Weiter zerstörte Smaug in seiner letzten Schlacht die Wohnungen der Menschen von Esgaroth, und noch diene ich ihrem Meister. Ich will für ihn sprechen und fragen, ob Ihr kein Herz habt für die Sorgen und das Elend seines Volkes?
Sie halfen Euch in Eurem Elend, und als Dank habt Ihr, wenn auch ungewollt, ihnen einzig Zerstörung gebracht.«
Nun, dies waren ehrliche und gerechte Worte, so stolz und grimmig sie auch gesprochen wurden.
Bilbo dachte, daß Thorin dies auch sogleich zugeben würde. Natürlich erwartete Bilbo nicht, daß sich irgend jemand jetzt daran erinnerte, wie einzig und allein er die verwundbare Stelle des Drachen entdeckt hatte. Und daran tat er gut, denn keiner erwähnte es. Aber Bilbo hatte auch nicht damit gerechnet, was Gold, auf dem ein Drache lange gebrütet hat, für eine unwiderstehliche Macht ausübt.
Und was in den zwergischen Herzen vorgeht, blieb ihm immer ein Rätsel.
Viele Stunden hatte Thorin bei diesem Schatz verbracht. Tief hatte sich die Begierde in ihm festgefressen. Obgleich er hauptsächlich nach dem Arkenjuwel gefahndet hatte, war er doch von mancher anderen Herrlichkeit, die dort umherlag, gewaltig angezogen worden. Es waren Kleinodien, mit denen sich viele alte Erinnerungen an Sorge und Arbeit verbanden.
»Ihr setzt Eure anfechtbarste Forderung an die letzte und wichtigste Stelle«, antwortete Thorin. »Kein Mensch hat Anspruch auf den Schatz meines Volkes, weil Smaug, der ihn stahl, ihm Haus und Leben raubte. Der Schatz gehört nicht ihm. Also können auch Smaugs Untaten nicht damit bezahlt werden.
Güter und Hilfe, die wir den Menschen vom See verdanken, werden wir anständig bezahlen – in angemessener Frist. Aber nichts geben wir unter Druck und Gewalt her, nicht einen roten Heller.
Solange ein bewaffnetes Heer vor unserer Tür liegt, betrachten wir es als einen hergelaufenen Haufen von Räubern und Strauchdieben. Ich möchte bloß wissen, welches Erbteil Ihr unserer Verwandtschaft zuerkannt hättet, wenn Ihr den Schatz unbewacht und uns erschlagen gefunden hättet.«
»Die Frage ist berechtigt«, antwortete Bard. »Doch Ihr seid nicht tot, und wir sind keine Räuber. Mehr noch, der Reiche soll über alle Rechtsansprüche hinweg mit dem Bedürftigen Mitleid haben, der sich seiner annahm, als er selbst bedürftig war. Außerdem sind meine anderen Ansprüche unbeantwortet geblieben.«
»Wie ich schon sagte: Mit bewaffneten Menschen, die vor meinem Tor liegen, verhandle ich nicht. Und mit dem Volk des Elbenkönigs, den ich in wenig guter Erinnerung habe, schon gar nicht. In dieser Auseinandersetzung ist kein Platz für sie! Packt Euch jetzt, ehe die Pfeile schwirren! Wenn Ihr noch einmal mit mir reden wollt, so schickt zuerst das Elbenheer heim in die Wälder, wohin es gehört! Und dann kehrt zurück und legt Eure Waffen nieder, wenn Ihr der Torschwelle naht!«
»Der Elbenkönig ist mein Freund. Er hat dem Volk am See in seiner Not beigestanden, und das, ohne daß es einen Anspruch hatte, einzig aus freundnachbarlicher Hilfe«, antwortete Bard. »Wir geben Euch Zeit, Eure Worte zu bereuen. Nehmt Euren Verstand zusammen, ehe wir wiederkehren!« Dann gingen sie ins Lager zurück.
Noch ehe einige Stunden verflossen waren, kamen die Bannerträger zurück. Trompeter traten vor und bliesen ein Signal.
»Im Namen von Esgaroth und im Namen des Waldes«, rief einer, »wir sprechen zu Thorin, Thrains Sohn Eichenschild, der sich selbst König unter dem Berg nennt. Wir fordern ihn auf, die vorgetragenen Ansprüche anzuerkennen. Sonst sei er zum Feinde erklärt. Als mindestes soll er ein Zwölftel des Schatzes an Bard, den Drachentöter und rechtmäßigen Erben von Girion, ausliefern. Von seinem Teil wird Bard Hilfe an Esgaroth leisten. Aber wenn Thorin Freundschaft und Ansehen in den Ländern draußen genießen will, wie seine Vorväter es taten, dann mag er auch vom eigenen Teil beitragen zur Hilfe für die Menschen vom See.«
Da ergriff Thorin einen Hornbogen und schoß einen Pfeil auf den Sprecher. Er schlug in den Schild und blieb zitternd stecken.
»Wenn das Eure Antwort ist«, erwiderte der Sprecher, »so erkläre ich den Berg für belagert. Ihr sollt erst abziehen können, wenn Ihr selbst um Frieden und Unterhandlung bittet. Rechnet nicht mit bewaffneten Angriffen – wir liefern Euch Eurem Gold aus. Eßt es auf, wenn es Euch gefällt!«
Damit eilten die Botschafter rasch davon. Die Zwerge blieben zurück und waren sich selbst überlassen. So grimmig war Thorin geworden, daß keiner, selbst wenn er gewollt, es gewagt hätte, ihn zu tadeln. Aber in Wirklichkeit schienen die meisten Thorins Meinung sogar zu teilen ausgenommen vielleicht der alte, dicke Bombur und Fili und Kili. Bilbo mißbilligte natürlich den ganzen Verlauf der Angelegenheit. Er hatte mehr als genug vom Berg. Und drinnen belagert zu werden war ganz und gar nicht nach seinem Geschmack.
Читать дальше